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# taz.de -- Trendland Albanien: Kurz vorm Supermegahype
> Menschen aus Westeuropa lieben es, in vermeintlich exotischen Regionen
> wie Osteuropa zu urlauben. Solange sie den Ort für sich beanspruchen
> können.
Bild: Auf einmal wollen sie alle hin: Balkone mit Meerblick in Albanien
Ein Freund erzählte mir letztens von seinen Urlaubsplänen mit einer
Bekannten: [1][Albanien] – am besten so schnell wie möglich, bevor, wie
seine Bekannte sagt, der Supermegahype da völlig ankommt. „Warum machen
eigentlich alle plötzlich Urlaub in Albanien?“, [2][fragte die Journalistin
Judith Liere bei Twitter].
Und als ich in diesem Jahr da war, im noch nicht ganz, aber fast
Superhypeland, da saß im Bus vom Flughafen nach Tirana hinter mir dieser
deutsche Typ um die 40, aber optisch bei seinem Studi-Macholook
hängengeblieben. Zerzauste Haare, offenes Hemd, aus dem sein Brusthaar
herauslugte. Er erklärte seiner deutlich jüngeren Freundin aufgebracht,
dass das hier, als er früher da war, noch der echte Osten gewesen sei,
richtig kaputt. Und jetzt: Alles verwestlicht. Und teuer! Noch schlimmer
sei übrigens Prag.
Es ist ein unangenehmes Muster von privilegierten Menschen aus Westeuropa,
Urlaub in vermeintlich exotischen Regionen zu gatekeepen. Die Länder als
Urlaubsziel mit subtil imperialistischem Ansatz für sich und nur für sich
zu beanspruchen und dann irgendwann als „zu touristisch“ abzuwerten. Nach
dem Motto: Was, du fährst dahin? Da war ich vor drei Jahren schon, aber
jetzt geht das echt gar nicht mehr klar, da sind ja alle. Im Tweet von
Liere könnte man Albanien durch alle möglichen anderen Länder ersetzen, in
die Billigairlines wie Wizz Air fliegen, die zum Hype und deswegen für
einige nicht mehr besonders genug geworden sind.
Vor allem in Osteuropa, denn Langstreckenflüge machen sich nicht gut in der
heroischen Explorererzählung. Wandern und [3][raven in Georgien], baden in
Montenegro, Kunst angucken bei der Manifesta im Kosovo – geht alles gar
nicht mehr. Zu viel los. Zum Exklusivitätsgedanken kommt die Sehnsucht nach
dem Kaputten, dem vermeintlich Authentischen. Urlaubsgatekeeper denken so
sehr an sich, dass sie lieber ein ruinöses Ostland als Statussymbol
bereisen, als diesem Land eine städtebauliche Entwicklung zuzugestehen, und
regen sich dann zu Hause über ein Schlagloch auf.
## Anpassung an die Gatekepper
Albanien jedenfalls, im Übrigen schon ziemlich lange ziemlich touristisch
für Einheimische und die riesige albanische Diaspora im Ausland, hat seinen
Wert als Fast-Supermegahype längst erkannt und versucht sich zumindest
teilweise an die Gatekeeper anzupassen. Denn die haben, auch wenn sie
überall den billigsten Angeboten hinterherjagen, oft mehr Geld zur
Verfügung als das monatliche albanische Durchschnittseinkommen von
umgerechnet 654 Dollar. „Wir wollen Touristen, die länger bleiben und mehr
ausgeben“, sagte die albanische Umwelt- und Tourismusministerin Mirela
Kumbaro vor Kurzem in einem Interview.
Darum werden auch für die Gatekeeper Angebote geschaffen, um das
„Naturerlebnis Albanien“ zu ergründen und sich besonders zu fühlen. Der
Nationalpark Prespa wird beispielsweise als Wanderparadies erschlossen.
Aber: Konzept und Hilfe kommen nicht etwa aus Kumbaros Ministerium, sondern
aus Bienenbüttel in Niedersachsen. Dort sitzt die Terolog GmbH, und die
hilft mit, das Naturerlebnis Albanien an die Gatekeeper zu verkaufen.
Solange letztlich Geld in Albanien oder vergleichbaren
Beinahe-Supermegahype-Ländern bleibt [4][und tatsächlich auch noch
Rücksicht auf die Natur genommen wird], ist das ja eine gute Sache. Die
Gatekeeper sollten sich nur bewusst darüber werden: Sie sind
Tourist*innen wie alle anderen auch, nicht unbedingt besser als andere
und in der privilegierten Situation, überhaupt verreisen zu können. Sie
sind Teil einer Industrie, die vielen Menschen in armen Ländern das
Überleben sichert. Ein angemessenes Trinkgeld sollte also schon drin sein.
8 Aug 2023
## LINKS
[1] /Wildfluss-Vjosa/!5919111
[2] https://twitter.com/judithliere/status/1681301981074448385
[3] /Tifliser-Technoproduzent-Gacha-Bakradze/!5939282
[4] /Touristiker-ueber-Urlaub-2023/!5943858
## AUTOREN
Johann Voigt
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Schwerpunkt Klimawandel
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