| # taz.de -- Albaniens Reste der Vergangenheit: Enver Hoxhas böse Blicke | |
| > Übers ganze Land verteilt sind Hoxhas Mini-Bunker zu finden: Relikte | |
| > vergangener Zeiten, die vom Wahn des Diktators erzählen. | |
| Bild: Badespaß neben den Resten eines Ein-Mann-Bunkers | |
| Enver Hoxha: ein Diktator der Superlative? Auf jeden Fall der Mann, der als | |
| albanischer Präsident den ersten atheistischen Staat der Welt ausrief und | |
| somit jede Form der Religionsausübung per Dekret verbot. | |
| Der Mann, der die höchste jemals erbaute Bunkerdichte aus dem Boden | |
| stampfte – Schätzungen gehen von bis zu einem Bunker pro vier Einwohner | |
| aus. Der Mann, dem nach seinem Tod das zweifellos absurdeste Museum und | |
| Mausoleum der Welt gewidmet wurde, ein architektonisches, heute | |
| verwahrlostes UFO im Zentrum von Tirana. 30 Jahre sind seit Hoxhas Tod | |
| vergangen und 25 Jahre seit der politischen Öffnung und Demokratisierung | |
| Albaniens. | |
| Dem gegenüber stehen vierzig Jahre sozialistische Diktatur in höchst | |
| rigoroser Auslegung und unter massivem Führerkult. Grund genug für eine | |
| Reise ans untere Ende Europas, das erst im vergangenen Jahr offizieller | |
| Beitrittskandidat der EU wurde. Wie verarbeitet eine Gesellschaft eine | |
| derart brutale Diktatur und in der Folge einen derart schwindelerregenden | |
| Wandel zum Kapitalismus? | |
| Albanien lockt Touristen vor allem an seine zahlreichen Strände und es geht | |
| hier keineswegs so verwegen oder exotisch zu, wie die jahrzehntelange | |
| rigorose Isolierung des Landes vermuten lassen könnte. Die Hotels, etwa | |
| nahe der bekannten Hafenstadt Durres, haben zumeist schon westlichen | |
| Standard. Zuckerwatte, Eiscreme und abendliche Flanierbeschallung fehlen an | |
| den Strandpromenaden des Landes ebenso wenig wie gut gelaunte Gigolos, | |
| Open-Air-Restaurants und fliegende Händler. | |
| Wem dieser Trubel schnell zu viel wird, dem sei eine Reise mit der | |
| albanischen Eisenbahn etwa von Durres nach Elbasan empfohlen. Die Eisenbahn | |
| umweht noch der abblätternde Hauch des Sozialismus, die Fahrkosten für die | |
| etwa 150 Kilometer lange Strecke belaufen sich auf wenige Euro und die | |
| maximale Streckengeschwindigkeit beträgt etwa 20 Kilometer in der Stunde. | |
| Optimale Bedingungen, um Ausschau zu halten nach Albaniens faszinierenden | |
| Überresten der jüngeren Vergangenheit: den vielen Bunkeranlagen mit Späh- | |
| und Schießscharten, kleine Scheißhaufen der Überwachung, verstreut übers | |
| ganze Land. Surreale Grüße – während Hoxhas Regime gediehen sie überall, | |
| auf Äckern, unter Bäumen, aber auch in Städten, neben Häusern oder | |
| Telefonzellen. Zumeist Ein-Mann-Bunker, überdauern manche bis heute, ihr | |
| abgerundetes Dach mit dem darunter liegenden Sicht- und Gewehrschacht nur | |
| knapp über den Boden ragend, während die Standfläche in die Erde | |
| eingelassen ist. | |
| Das landesweite Wuchern dieser Bunkerpilze fasziniert: in Stein geronnene | |
| Obsession eines Diktators, steinerner Beton-Fanatismus, Beton-Fetischismus. | |
| In der paranoiden Kulmination der Diktatur während der 70er und Anfang der | |
| 80er Jahre übersäten die Bunker das Land wie ein Pickelteppich. Jedem | |
| Albaner war ein Bunker zugeteilt, den er im Falle eines Angriffs | |
| aufzusuchen und zu verteidigen hatte. In Sichtweite zueinander, eine Kette | |
| von Blicken knüpfend. | |
| ## Hoxhas Pickelteppich | |
| Heute, da viele Bunkeranlagen abgebaut oder eingerissen wurden oder auch | |
| einfach nur zugewuchert sind, wird die Suche nach ihren letzten Vertretern | |
| zu zunächst kindlichem Vergnügen. Suchend wandert der Blick: Rotkäppchens | |
| Pilze, da sind sie ja! Sie haben etwas Romantisches, Poetisches unter den | |
| Dornenhecken, verstörte Objekte des Zeitlosen. Es scheint, als erzählten | |
| sie von vergangenen Kämpfen der Partisanen gegen den Faschismus, von rauen | |
| Kerlen mit selbstgedrehten Zigaretten, von klaren Feindbildern, visionären | |
| Idealen und vom Feuer, das dem Helden die sozialistische Suppe kocht. | |
| Zu dieser Faszination können auch die Überreste römischer Siedlungen und | |
| der berühmten römischen Handelsstraße Via Egnatia in Elbasan in | |
| Zentralalbanien kaum in Konkurrenz treten; der Reisende verlässt dieses | |
| Städtchen gerne nach einem Blick auf die weitgehend achtlos verlassenen und | |
| kaum gekennzeichneten Ausgrabungsstätten. | |
| ## Reisen mit Kleinbussen | |
| Wie gut, dass Fortbewegung in Albanien so einfach ist: die zahlreichen | |
| privaten Kleinbusse fahren zwischen allen städtischen Destinationen des | |
| Landes, die Distanzen sind gering und die Straßen gut befahrbar. | |
| So lässt sich von Elbasan aus schon in wenigen Stunden die Hauptstadt | |
| Tirana ansteuern, und hier bietet die Nationalgalerie einen spannenden | |
| Zugang zum albanischen künstlerischen wie zeitgeschichtlichen | |
| Selbstverständnis. Die Hallen zeigen zum Teil noch die sozialistischen | |
| Kunstwerke, und eher nebenbei fällt ein Blick auf ein besonders schönes | |
| Bild: Darauf abgebildet ein Mann mit Laute, im nächtlichen Feld ein Lied | |
| singend, während ihm die sozialistischen Partisanen am Lagerfeuer gebannt | |
| und ergriffen lauschen. | |
| Das blaue Bild selbst scheint dieses Lied zu singen, das voller Sehnsucht, | |
| Wehmut und Hingabe ist, voller Gefühl und Wärme und Ja zu diesem dunklen | |
| Nachthimmel, diesem Moment und dem noch ungewissen Ausgang des Kampfs gegen | |
| die faschistischen Besetzer. Es ist das Bild eines Träumenden. Im Museum | |
| erklärt dazu ein kleines Schild: Das Bild „Der Epos der Morgensterne“ wurde | |
| 1973 beim Kongress der Albanischen Künstler und bei der 4. Vollversammlung | |
| der Arbeiterpartei Albaniens als zu pessimistisch kritisiert. | |
| ## Straflager für den Künstler | |
| Der Künstler, Edison Gjergo, wurde im Januar 1974 verhaftet, seine Kunst | |
| verboten und aus dem Museum entfernt. Er konnte fortan nicht mehr | |
| künstlerisch arbeiten und war jahrelang im Straflager inhaftiert, weil der | |
| Gesichtsausdruck des Sängers die einwandfreie sozialistische Begeisterung | |
| vermissen lasse, es sei ein zu pessimistischer Ton in seinem Blick. So wird | |
| auch der Besuch im Kunstmuseum zur historischen Lehrstunde. | |
| Das Straflager als Erziehung zur Zuversicht? Tatsächlich waren die | |
| Straflager Orte bitteren Hungers, waren geprägt von Seuchen, Krankheit und | |
| Tod. Mehrere hunderttausend Albaner saßen hier während der sozialistischen | |
| Diktatur ein und zigtausende starben in der Haft. Die Kontrolle des | |
| sozialistischen Albaniens reichte so bis zu den Gefühlen – auch die | |
| Darstellung eines nächtlichen Liedes hatte dem System zu dienen. | |
| Die Erfassung und Kontrolle der Träume aller Bürger blieb zwar eine | |
| Fiktion, nach dem Ende des Regimes ausgemalt vom albanischen Schriftsteller | |
| Ismail Kadare, jeder Tagtraum aber erlag angesichts der massiven Repression | |
| der Selbstzensur. | |
| ## Geschichte verfälschen | |
| Die Verfolgungen infizierten natürlich auch das Zentralkomitee der Partei: | |
| von seinen 31 Mitgliedern wurden 8 zum Rücktritt gezwungen, 9 ermordet, nur | |
| 14 überlebten ihr Amt. 1981 wurde der langjährige Weggefährte und | |
| Stellvertreter Hoxhas, Mehmet Shehu, eliminiert und als Suizidant | |
| deklariert, seine Frau und sein Schwager ermordet, seine Söhne ins | |
| Straflager gebracht. Die Memoiren Hoxhas mussten neu geschrieben und | |
| aufgelegt werden, war Shehu darin doch stets als engster Kampfgenosse | |
| beschrieben. Im Nationalmuseum, vorübergehend wegen „Arbeiten“ geschlossen, | |
| wurden die Bilder des einst mächtigen Stellvertreters und seiner | |
| Angehörigen entfernt oder sie wurden von den Leinwänden wegretuschiert. | |
| Enver Hoxha pflegte Personenkult. In Berat etwa, aufgrund der vielen in die | |
| Berghänge geschmiegten fensterreichen Häuschen die „Stadt der tausend | |
| Fenster“ genannt und heute Teil des Unesco-Weltkulturerbes, wurde auf eine | |
| umliegende Hügelkette in riesigen Lettern das Wort „ENVER“ graviert. | |
| Während man auch heute die wunderschön auf einem Hügel gelegene, | |
| romantische Altstadt besichtigt, sucht der umherschweifende Blick fast wie | |
| von selbst noch immer diesen Schriftzug. | |
| Hoxha suchte während seiner Diktatur den Schulterschluss mit den | |
| sozialistischen Großimperien und ihren überzeugtesten Ideologen – | |
| linientreu genug war ihm letztlich keiner. Er brach 1961 die intensiven | |
| Beziehungen zur UdSSR radikal ab, da er den sowjetischen Abfall vom | |
| Stalinismus verurteilte. Auch die darauf folgende Allianz mit dem | |
| maoistischen China kündigte er 1978 auf, die hinreichende Leidenschaft der | |
| chinesischen Führung in der Auslegung der marxistisch-leninistischen Ideale | |
| vermissend. | |
| ## Misstrauen und Verfolgungswahn | |
| Es sagt viel aus über die seelische Verfasstheit eines Diktators, wenn ihm | |
| die rücksichtslosesten Ideologen als Weicheier erscheinen. Hoxhas Antwort | |
| auf den Abbruch seiner diplomatischen Beziehungen war die völlige | |
| Isolation, die Verschanzung im Konzept Feindschaft. Die Pilzbunker | |
| buchstabieren es in Brailleschrift. Die Bunker gravierten Misstrauen ins | |
| Land. | |
| Die exorbitante Betonproduktion und die für die Bunker notwendigen | |
| Stahlimporte schädigten die albanische Wirtschaft nachhaltig – aber das | |
| Volk sei für die Verwirklichung des Sozialismus auch bereit, Gras zu | |
| fressen, so die damalige Propaganda. | |
| Misstrauen wurde Staatssystem, der Verfolgungswahn kehrte sich gegen sich | |
| selbst: Das Bunkersystem, gedacht für die Feinde von außen, wurde zur | |
| räumlichen Inszenierung totalitärer Beobachtung der Feinde im Inneren. Die | |
| Pilze gifteten überall warnend: Du stehst unter Beobachtung! Ihre Kuppeln | |
| ragen aus dem Boden hervor wie übel gelaunte Krötenaugen, der stets | |
| gerichtete Blick des Verdachts. Trägt dein Gesicht das ausreichende Maß an | |
| Begeisterung für die sozialistische Sache zur Schau? | |
| ## Kreative Umwandlung | |
| Die Überreste der Pilzbunker sind letzte noch sichtbare Symptome einer | |
| Staat gewordenen seelischen Erkrankung. Doch was sind ihre seelischen | |
| Spuren? Was ist aus den Kindern dieser Kultur von Hass, Verfolgung und | |
| Trauma geworden und was aus ihren Vätern und Müttern? Sucht man Antworten | |
| auf diese Fragen in den noch verbleibenden Bunkern, zeigt sich kreatives | |
| Potenzial: der Entsorgung der Vergangenheit durch überwucherndes Vergessen | |
| stehen vielfältige Formen der Neunutzung entgegen – von der Umwandlung in | |
| kleine Wohnhäuser, Kioske und Cafés bis hin zu Hühnerställen und | |
| Werkzeuglagern. | |
| Und Hoxhas krankhafte Paranoia, die wie eine absurde Umformung zur | |
| Staatsreligion wirkt, findet in der Neunutzung als geheimes Liebesnest und | |
| schließlich sogar als kleine Kapelle eine erstaunlich romantische | |
| Auflösung. | |
| In der Hügelkette bei Berat prangt denn auch weit sichtbar tatsächlich ein | |
| neues Wort: NEVER. Vielleicht ist die Geschichte wirklich vorbei? | |
| 16 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Vera Kattermann | |
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