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# taz.de -- Albanien: Wo die Wilden wohnen
> Südlich der Karpaten leben die anderen. Wir Siebenbürger sind
> zivilisiert. Auf dem Motorrad und mit Vorurteil durch albanische Dörfer.
Bild: Die zugebaute Küste von Saranda in Albanien.
Ich stehe mit meinem Motorrad im Hafen von Korfu mit einem Ticket für die
Fähre nach Saranda, Albanien. Kahle Berge, mit ein paar Flecken Grün vor
mir. Willst du wirklich da rüber? Du kannst noch umkehren. Ich habe keine
konkrete Vorstellung, was mich dort erwartet. Die in meiner Kindheit
eingeflößten "Ideen" meiner Siebenbürgen-Vorfahren sind stärker: Schleimige
Monster erwarten mich, pocht es in meinem Innern.
Grenzformalitäten erledigen. Dann knattert die Fähre heran. Es passen vier
Autos und zwei Mopeds darauf. Ein Fährarbeiter hilft mir, das Moped
festzurren. Oben auf dem Deck sitze ich schweigend in der Menschenmenge.
Griechische Touristen, denke ich, mit ihren Gucci-Tütchen. Na toll, jetzt
bin auf dem Weg nach Albanien - und kein Albaner weit und breit
"Milate anglika? Sprechen Sie Englisch?", frage ich meine Nachbarin auf
Griechisch, die ungefähr in meinem Alter sein könnte. Sie strahlt mich an.
In perfektem Englisch säuselt sie zurück. Zwischendurch kommt der Arbeiter,
der beim Einstieg unsere Pässe eingesammelt hat, und verteilt sie wieder.
Alle Pässe in seiner Hand sind albanisch. Welcome in Albania.
Meine Nachbarin erklärt mir, wo man in Saranda übernachten kann und dass
die Straßen ganz gut seien. Zumindest an der Küste. Sie und ihre Familie -
die Töchter kichern mit ihren Freundinnen mir gegenüber - leben in Tirana
und machen gerade Urlaub. Logisch.Die Fähre knattert an der kahlen Küste
entlang. Saranda taucht auf, alles zugebaut. Wie kam ich eigentlich auf die
Idee, dass hier niemand lebt?
Im Hafen sind die Grenzformalitäten unproblematisch. Eine Uniformierte
checkt Pass und Fahrzeugpapiere. Das Moped ist ja schon registriert. Dann
darf ich durch. Zum ersten Mal sage ich mein erstes albanisches Wort auf:
fa-le-mi-de-i. Danke. Die Beamtin lächelt. Schon mal ein guter Anfang.
## Hotelsuche ohne Plan und Orientierung
Es ist mittlerweile dunkel, die Stadt busy. Einfach der Autokolonne
hinterher, denke ich. Die fährt an der Promenade entlang, ein Polizist
regelt die Show. Stop and go der fetten Fahrzeuge. Nachts sollte man auf
gar keinen Fall fahren, und so schere ich spontan aus der Kolonne direkt
auf den Parkplatz eines Hotels ohne Namen. Ein Mann steht mit seiner
Tochter oben auf der Treppe. Ich stelle das Moped ab und stampfe die
Treppen hoch. "Do you speak English?", ist meine Standardfrage. Er guckt
neugierig, die Tochter antwortet.
Eigentlich führt hier die etwa zehnjährige Tochter die Geschäfte. Zumindest
in diesem Augenblick. Ja, er hat ein Zimmer für mich. "Und mein Moped? Wo
lass ich das?" Er zeigt auf den offenen Parkplatz, der nicht abschließbar
ist und direkt neben der Straße liegt. Hm … "Der Parkplatz ist sicher",
wiederholt er. Nun gut. Das Zimmer ist guter Standard, günstig, mit
Klimaanlage.
Am nächsten Morgen fahre ich an der Küste entlang Richtung Norden nach
Vlora. Die gut asphaltierte Straße schlängelt sich am Hang entlang durch
verschlafene Dörfer. Egal wo ich anhalte, schaue ich in freundliche
Gesichter. Beim Wegfahren winken sie mir hinterher, obwohl wir kein Wort
ausgetauscht haben. Noch nicht. Diese Menschen sind neugierig, offen, aber
nicht abstandslos. Alles entspannt. Kaum Autos auf der Küstenstraße, dafür
etliche Tiere.
## Tier und Maschine im Einklang
Die freiesten Haustiere müssen in Albanien leben: Kühe, Schweine, Ziegen,
Esel, alle sind auf der Suche nach einem leckeren Häppchen. Einmal
beobachte ich einen Esel, der mitten auf der Straße eine verführerische
Wasserpfütze entdeckt. Da braust ein Lkw heran - nicht nötig, die Augen
schnell zu schließen, denn der Fahrer macht einen Bogen um das Tier herum.
Der Esel versteht und macht sich von dannen. Tier und Maschine im Einklang.
Unterwegs halte ich an, um zu fotografieren. Der Motor ist noch nicht
verstummt, da hüpfen Ziegen von oben herunter aus dem Nichts. Weiter, immer
weiter, die Landschaft saugt mich auf.
Eine große Stadt, trotzdem kaum Autos auf den Straßen, ab und zu gibt es
eine Ampel. Die Fußgänger überqueren die Straße, wo immer sie wollen, mein
Moped nehmen sie als Fahrzeug nicht wahr. Paradiesische Stille. An einem
Kiosk frage ich nach dem Weg. Ku eschti Fieri? Wo ist Fier? Immer
geradeaus, gestikuliert die Frau mit einem breiten Grinsen. Als ich wieder
aufsteige, ruft sie mir hinterher, um mir fröhlich zuzuwinken. Herrlich!
Langsam dämmert es mir, dass der Sinn des Lebens darin besteht, so
miteinander zu kommunizieren, dass man sich gegenseitig glücklich macht.
Und diese Menschen, die ich unterwegs treffe, zeigen mir, wie es geht,
trotz der Sprachbarriere. Ich habe noch Kraft, die Sonne steht senkrecht,
also fahre ich weiter nach Fier, um dann die Straße wieder in Richtung
Süden zu nehmen. Diesmal im Inland durch die Berge. Sind sie dort auch so
freundlich?, huscht ein Gedanke durch meinen Kopf. Wegschieben.
Fier ist eine große Stadt, ich mag es eher ländlich und beschließe, in den
anliegenden Dörfern eine Unterkunft zu suchen. Anhalten, durchfragen.
Tatsächlich, sechs Kilometer weiter soll es ein Hotel geben, erzählt mir
eine Frau - ob wir nicht zusammen einen Kaffee trinken wollen? Nein, leider
nicht, die Sonne geht bald unter, und im Dunkeln fahre ich nicht, versuche
ich ihr zu erklären.
Bammm! Fehlzündung! Die Maschine nimmt nur schlecht Gas an und stottert
erbärmlich. Na prima! Ich ahne, was passiert ist, dafür bräuchte ich
allerdings ein, zwei Stunden, um es zu reparieren, weil der Motor zu heiß
ist und ich nichts anfassen kann. Und bald ist die Sonne weg, ich bin ohne
Unterkunft. Ich fahre zum nächsten Haus und frage das Mütterchen, das vor
dem Haus sitzt, ob ich bei ihr übernachten darf. Sie versteht nur
Albanisch, aber dann tauchen ihre Söhne auf. Ich trage mein Anliegen auf
Englisch vor.
## Unerwartete Gastfreundschaft
Eine Sekunde zögern sie, dann lachen sie. "Ja, komm rein, sei unser Gast!"
Mein Moped schieben sie in den Vorgarten. Die Schwester serviert mir einen
herrlichen Mokka. Der Vater trudelt herein, und die Nachbarn kommen dazu.
Sie stellen mir viele Fragen, die ich gern beantworte. Wo kommst du her?
Wohin fährst du? Bist du verheiratet? Hast du Kinder? Willst du dir ein
Haus in Albanien kaufen? Was arbeitest du? Auf alle Fragen gebe ich eine
Antwort.
Zum Abendessen tischen sie eigene Erzeugnisse auf: Joghurt, Quark, Eier,
Hühnerfleisch, alles, was ein Bauernhof hergibt. Danach lege ich mich im
Zimmer der Schwester schlafen, und dank der frischen Luft wache ich erholt
früh am Morgen auf. Auf zu neuen Taten: den Vergaser runterschrauben,
Dichtung wechseln - die habe ich mitgebracht -, Moped läuft wieder.
Meine Gastgeber und die Nachbarn staunen. Sie laden mich ein, noch zu
bleiben, aber ich ziehe weiter. Heute bereue ich, nicht länger geblieben zu
sein.
4 Aug 2012
## AUTOREN
Christa Azzola
## TAGS
Reiseland Albanien
Tirana
Albanien
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