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# taz.de -- Die Suche nach gerechtem Kaffee: Nicht die Bohne
> Gourmetkaffee ist in den letzten Jahren populärer geworden. Oft kommt er
> von kleinen Röstereien, aber auch die großen Kaffeeunternehmen mischen
> mit.
Bild: Transparenter Kaffee im Hamburger Café Malina Stories
Hamburg/Bremen taz | Die Kaffeemühle rattert, spuckt feines Kaffeepulver in
den Siebträger, der Duft der frisch gemahlenen Bohnen hängt in der Luft.
Mit dem Tamper – dem Espressostampfer – drückt Sali das duftende
Kaffeepulver im Siebträger fest, lässt ihn in die Halterung gleiten, und
wenig später rinnt der Espresso dampfend in die Cappuccinotasse. Parallel
dazu öffnet die Barista das Dampfventil an der Espressomaschine, schäumt
die Milch auf, die sie wenig später routiniert in die Tasse rinnen lässt –
am Ende prangt [1][ein schickes Herzchenmuster] auf der Oberfläche des
Cappuccino.
Alltag im Malina Stories in Hamburg-Barmbek. Das Café hat vor fünf Jahren
eröffnet und sich einen Ruf mit feinem Porridge, grandiosem Kuchen und
leckerem Kaffee erworben. Inhaberin Kerstin Häseker wollte dabei nichts dem
Zufall überlassen und hat schon vor der Eröffnung nach Kaffeebohnen
gesucht, die den Unterschied machen. „Dank eines Tipps von einem Freund
haben wir sie schließlich mit Rocinante von Quijote Kaffee gefunden“, sagt
die Gastronomin.
Diese Rösterei sitzt auch in Hamburg, im Stadtteil Rothenburgsort. Die
bunten Kilobeutel „Rocinante“, die in der Schublade unter der
Espressomaschine auf ihren Einsatz warten, stammen genauso von dort wie ein
rundes Dutzend weiterer Kaffeespezialitäten.
Schon frühmorgens duftet es im Hinterhof von Quijote nach frisch gerösteten
Kaffeebohnen, Während sich im vorderen Teil des Geländes die Büros und die
Halle befinden, wo die Kaffeebeutel lagern, sitzt in der hinteren Halle die
Rösterei, deren Tor zum Hinterhof hinausgeht.
Die Nachfrage nach Quijote Kaffee ist in den letzten Jahren kontinuierlich
nach oben gegangen, die Produktion und damit auch das Kollektiv sind
deswegen im Laufe der Jahre von zwei auf sechzehn Personen gewachsen. Eine
niegelnagelneue 60-Kilogramm-Röstanlage hat den alten 30-Kilogramm-Röster
ersetzt, sie ist direkt mit der dahinterstehenden Verpackungsmaschine
verbunden.
Die aromatischen Bohnen werden nach der Röstung und der Abkühlungsphase
angesaugt und landen wenig später in den bunten, recycelbaren Tüten mit dem
Logo von Quijote Kaffee, auf denen der Ritter von der traurigen Gestalt mit
seinem Knappen Sancho Pansa prangen, die für eine bessere Welt eintreten.
## Mindestens 84 Punkte auf der SCA-Skala
„Unsere Devise ist: gemeinsam besser werden“, sagt Andreas „Pingo“ Fels…
einer der beiden Gründer:innen von Quijote Kaffee. Der Mann mit den
raspelkurz geschorenen blonden Haaren steht regelmäßig selbst am Röster,
ist im 16-köpfigen Kollektiv für den Einkauf bei den
Partner-Genossenschaften in Ecuador verantwortlich und dort das Gesicht von
Quijote. Das Kollektiv ist in der europäischen Kaffeeszene recht bekannt,
denn es vollbringt das Kunststück, solidarischen Handel mit Qualität zu
verbinden.
In die mattschwarze Röstanlage, in der gerade die Bohnen abkühlen und die
Halle mit ihrem Duft fluten, kommt nur Rohkaffee mit mindestens 84 Punkten
auf der SCA-Scala. Die ist das Maß aller Dinge in der Kaffeewelt. Der von
der amerikanischen Specialty Coffee Association (SCA) definierte Standard
stuft die Qualität der Kaffeebohnen nach international verbindlichen
Kriterien in einer Skala von eins bis einhundert Punkte ein. Dabei werden
die Kaffeebohnen in einem standardisierten Test, dem „cupping“, von
Experten – sogenannten Q-Gradern – nach klar definierten Kriterien
bewertet. Alle Kaffeebohnen, die oberhalb von 80 Punkten liegen, gelten als
Spezialitätenkaffees. Folgerichtig ist alles, was die Hamburger Rösthalle
verlässt, Gourmetkaffee, der zu fairen Preisen auf den Markt kommt.
Das wird in der Branche natürlich genau beobachtet, denn der Kaffeemarkt
hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren stark verändert. Neben dem
traditionellen Supermarktkaffee ist der Gourmetsektor mit den
Spezialitätenkaffees immer wichtiger geworden. Auf diesem Markt landen
knapp zehn Prozent des verkauften Kaffees.
Dort werden dann auch ganz andere Preise gezahlt als an der
Supermarktkasse. Genau das macht den Gourmetmarkt so attraktiv, denn beim
Supermarktkaffee sind die Gewinnmargen extrem niedrig. Beim Gourmetkaffee
dagegen lasse sich gut verdienen, sagt Andreas Felsen. Genau deshalb bieten
die großen Kaffeeunternehmen, Tchibo Darboven oder Melitta, mittlerweile
auch Gourmetkaffee an und machen den oft engagierten, kleineren
Spezialitätenröstereien Konkurrenz.
Doch es gibt Unterschiede. Bei Quijote Kaffee etwa stehen die Röstprofile,
die Kaufverträge und Importmengen auf der Homepage. „Wir agieren
transparent, machen alles publik und zahlen derzeit mindestens 3,35
US-Dollar pro Pfund Arabica-Rohkaffee“, erklärt Felsen. Er ist mindestens
einmal im Jahr bei den Produzenten vor Ort – in Ecuador. Die nächste Reise
steht im Herbst an und seine Kollektivkollegen halten es genauso. Sie
pflegen den Kontakt zu den Genossenschaften in Ecuador, Guatemala,
Honduras, Peru, Brasilien und Indien.
Aus diesen sechs Ländern wird Rohkaffee – ausschließlich von
Genossenschaften – importiert. Rund 250 Tonnen pro Jahr, von denen rund 175
Tonnen in der Quijote-Rösterei zu etwa 153 Tonnen Röstkaffee verarbeitet
werden. Der Rest geht an befreundete Röstkollektive, und ab und zu kommt
auch eine Kooperation hinzu, bei der kleinere Mengen direkt importierter
Bohnen mit befreundeten Röstereien verarbeitet werden.
Zu den fünf, sechs Genossenschaften aus Ecuador besteht der Kontakt seit
zwölf, dreizehn Jahren, Abnahmemengen und Qualität steigen kontinuierlich.
Das zahlt sich für die liefernden Genossenschaften aus: „Wir zahlen
Zuschläge, wenn die Bohnen über der Marge von 84 Punkten auf der SCA-Scala
liegen und beraten vor Ort“, erläutert Felsen. Ihn kennen die
Genossenschaften in erster Linie unter seinem Spitznamen Pingo.
Schulungskurse am Röster, der Besuch auf den Feldern und bei der
Verarbeitung der Bohnen gehören immer dazu, wenn der 50-Jährige vor Ort
ist.
Besonders wichtig ist die optimale Trocknung der Bohnen nach der Ernte,
denn das lässt sich schmecken. Mehrfach hat das Quijote-Kollektiv Zelte
finanziert, in denen die Kaffeebohnen geschützt in der Sonne trocknen.
Zudem wird anders als bei den großen Importeuren, ob die Hamburger
[2][Neumann Kaffee-Gruppe] oder Tchibo, die Ernte vorfinanziert: „Wir
zahlen 60 Prozent unserer Bestellmenge zinslos bei Vertragsabschluss, die
restlichen 40 Prozent bei Lieferung der Ware“, sagt Andreas Felsen und
checkt über den Probenzieher, ob die Bohnen in der Rösttrommel schon so
weit sind. Ein paar Minuten brauchen sie noch.
Vorfinanzierung ist selten im Kaffeemarkt, wo Genossenschaften oft noch
Wochen, manchmal auch Monate nach Versand ihrer Ware auf ihr Geld warten
müssen. Der solidarische Handel tut es trotzdem, auch wenn es schwer fällt,
die Ausfälle bei Ernteproblemen zu kompensieren, die der [3][sich immer
heftiger bemerkbar machende Klimawandel] mit sich bringt. Für Kerstin
Häseker vom Café Malina Stories ist das einer der Gründe, die für die
Quijote-Rösterei sprechen.
## Großröstereien wittern gute Geschäfte
Allerdings läuft der Betrieb in der konkurrierenden Melitta Manufaktur
Bremen kaum anders als bei Quijote Kaffee. Die Melitta Manufaktur befindet
sich gleich gegenüber der Großrösterei des Unternehmens in einem
unscheinbaren Industriebau mit dunkelblauem Schild, auf dem das
Melitta-Logo kaum zu übersehen ist.
Manufakturleiter Sven Bosma arbeitet mit Röstmeister Alfred Liere, einem
gebürtigem Guatemalteken, Hand und Hand in der geräumigen Rösthalle, in der
ein 60-Kilogramm-Röster und ein Hochregal stehen, in dem Dutzende von
Kaffeesäcke lagern. Daneben befinden sich die sechs oder sieben mit
Rohkaffee gefüllten Metallspender und die moderne Verpackungsmaschine.
All das unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der Ausstattung bei
Quijote Kaffee. Die Unterschiede werden erst klar, wenn man
Manufakturleiter Sven Bosma auf den Zahn fühlt. Der 47-Jährige ist Fan der
kenianischen Kaffeebohnen, hält sich jedoch bedeckt, was Ankaufspreise und
Ankaufmengen angeht. „Das ist bei Melitta Betriebsgeheimnis“, heißt es
lapidar. Das gilt nicht nur für die große Rösterei der Firma, die
Supermärkte und Discounter beliefert, sondern auch für die kleine
Spezialitätenmanufaktur, die im Februar 2020 eingeweiht wurde.
„Die Initiative zur Gründung der Manufaktur erfolgte aus dem Unternehmen
heraus. Wir können dank unserer Expertise im Kaffeehandel das Interesse der
Kund:innen, den Trend zu besonderen Kaffees, bedienen. Wir sind das erste
große Kaffeeunternehmen, das eine eigene Manufaktur aufgebaut hat“, erklärt
Nicole Böhmke. Sie ist Expertin für Spezialitätenkaffee bei Melitta und
gibt keine Informationen preis, ob die Edelkaffees aus Genossenschaften
oder von großen Kaffeefarmen stammen. „Das dürfen wir nicht weitergeben“,
heißt es von ihr.
Dieser Mangel an Transparenz ist typisch für viele große Kaffeeunternehmen,
die zwar immer wieder auf die Kaffeequalität verweisen, aber mit Fragen, ob
sie die Ernte vorfinanzieren, ob sie partnerschaftlich mit den
Produzent:innen umgehen, nur hilflos mit den Schultern zucken.
Genau das sei der Unterschied, sagt Andreas Felsen. Er rät jeder und jedem
Endverbraucher/in, die oder der guten, aber auch fairen Kaffee konsumieren
will, dazu, ihrer Spezialitätenrösterei oder ihrem Kaffeelieferanten die
Frage zu stellen: „[4][Was kommt bei den Bäuerinnen an, die den Kaffee
produzieren?]“
## Betretenes Schweigen bei Melitta
Bei Quijote Kaffee sind das zwischen dreißig und fünfunddreißig Prozent des
Endverkaufspreises, bei großen Kaffeeimporteuren, von denen auch viele
kleinere Röstereien einen Teil oder auch alle ihre Bohnen beziehen, sind es
oft nur zehn bis fünfzehn Prozent. Bei der Melitta-Manufaktur herrscht auf
die Frage betretenes Schweigen. Dabei will das Unternehmen bis 2030 nur
noch „Kaffee der Zukunft“ einkaufen, rösten und verkaufen: In der gesamten
Wertschöpfungskette sollen bis dahin Arbeits-, Umwelt- und
Menschenrechtsstandards eingehalten werden.
„Wir sind auf dem Weg“, sagt Nicole Böhmke und verweist auf eine Reihe von
„Communityprojekten“ zur Stärkung der „Resilienz der Farmgemeinschaften�…
Das sind ohne Zweifel positive Initiativen. Doch die Frage stellt sich, wie
innerhalb von gerade sieben Jahren der gesamte Einkauf umgestellt und fair
gestaltet werden soll.
Unstrittig ist, dass dabei [5][die Ankaufpreise] eine zentrale Rolle
spielen. Kaffeebäuer:innen müssen von den Bohnen, die oft ihre einzige
Einkommensquelle sind, in Würde leben können.
Doch in der Realität ist das oft nicht der Fall, schildert Andreas Felsen
seine Erfahrungen in Lateinamerika. Quijote Kaffee ist Teil von „The
Pledge“, einer 2019 gegründeten Initiative von 89 Spezialitätenröstereien
aus aller Welt. Sie fordert von den großen Kaffeeimporteuren auf dem
Weltmarkt, Einkaufspreise und Mengen offenzulegen. Die beteiligten
Röstereien selbst haben diese Daten auf ihren Homepages veröffentlicht.
## Auf Ausbeutung beruhende Geschichte
Im Kaffeemarkt mit seiner kolonialen, auf brutaler Ausbeutung beruhenden
Geschichte ist das ungewöhnlich – selbst unter den bis zu 200 Röstereien am
deutschen Markt, die direkt importieren und auf regelmäßigen Kontakt zu den
Lieferanten setzen. Zu vielen davon hat Quijote Kaffee Kontakt. Das
Lüneburger Rösterei- und Gastronomie-Kollektiv Avenir haben sie beraten, La
Gota Negra, ein Hamburger Röstkollektiv, nutzt die Quijote-Anlage. Mit
beiden sowie Aroma Zapatista und den Pionieren des solidarischen Handels in
Hamburg, Café Libertad, hat das Quijote Kollektiv zweimal einen Solikaffee
herausgebracht. Sämtliche Erlöse gehen an den Nationalen indigenen Kongress
(CNI) in Mexiko, wo Strategien für indigene Selbstbestimmung entwickelt
werden, sowie an die dortige zapatistische Bewegung.
Der Solikaffee ist sowohl ein Beispiel dafür, dass andere Strukturen im
Kaffeemarkt möglich sind, als auch eines für das Zusammenrücken der
Hamburger Kaffeekollektive. „Zusammen sind wir die drittgrößten
Kaffeeröster in der Hansestadt, nach Tchibo und Darboven. Gemeinsam wollen
wir zeigen, dass faire Strukturen im Kaffeemarkt möglich sind“, meint
Andreas „Pingo“ Felsen.
Es ist diese Einstellung, die Kund:innen wie Kerstin Häseker vom Café
„Malina Stories“ gefällt. Neben dem Rocinante-Kaffee führt die zum Café
gehörende Konditorei auch ein andere nachhaltige Produkte: etwa aus
Kaffeesatz gewonnene Kaffee-Pfirsich-Seife. Bei den Kund:innen in
Barmbek-Nord kommt sie gut an.
18 Jun 2024
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## AUTOREN
Knut Henkel
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