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# taz.de -- Crowdfunding-Kampagne für Supermarkt: Es geht nicht um große Gewi…
> Bei SuperCoop im Wedding gibt es Biolebensmittel aus der Region zu
> günstigen Preisen. Der Laden ist zugleich ein Treffpunkt für vielfältige
> Menschen.
Berlin taz | Ein Supermarkt mit 900 Beschäftigten, die zugleich Kundschaft
und Eigentümer*innen sind – das ist die [1][SuperCoop] im Wedding. 350
weitere Mitglieder und 85.000 Euro für Investitionen ist das erklärte Ziel
der schon Ende Mai begonnenen Crowdfunding-Kampagne bei [2][Startnext].
„Uns geht es nicht um große Gewinne – nur dauerhaft stabil soll das
Unternehmen werden“, sagt der ehrenamtliche Aufsichtsratschef Claus Huth.
Morgens um acht beginnt die Arbeit in dem knapp 800 Quadratmeter großen
Laden in den Osramhöfen. Das heutige Früh-Team trifft sich zum ersten Mal
in dieser Zusammensetzung. Jemand hat schwungvolle Musik aufgelegt und alle
suchen ihre Namensschilder aus dem Zettelkasten. In den beiden Kühlräumen
stehen Rollwagen, auf denen die Abendschicht Gemüse- und Obstkisten
gestapelt hat. Eine Liste an der Tür informiert, welche Sorten welche
Lagertemperatur benötigen. Während sich die Verkaufsfläche nach und nach
füllt, ist die Gruppe längst ins Gespräch gekommen.
Um neun wird die Vordertür aufgeschlossen. Für Jong Sook Hwang ist es eine
Premiere, an der Kasse zu stehen. Verpacktes muss sie einfach nur über den
Scanner ziehen, bei losen Produkten das Bild mit der entsprechenden
Warengruppe wählen und dann Jonagold, Kohlrabi oder Sonnenblumenkerne
antippen. 4.000 Angebote gibt es – neben Lebensmitteln auch Saatgut, Seife,
Klopapier und vieles mehr.
Weil Jong Sook nicht weiß, wie sie die zurückgegebene Pfandflasche
verbuchen soll, wechselt eine Kundin kurz mal die Rolle. Bezahlt wird immer
mit Karte. Die Wartenden nutzen die Zeit für ein Schwätzchen oder studieren
die Waren im vermieteten Regal gegenüber der Kasse. Dort gibt es
Handpüppchen, Postkarten und einen Komposter aus Ton – alles Angebote von
Kleinunternehmen.
## So viel wie möglich aus der Nähe
Drei Stunden im Monat müssen alle Mitglieder arbeiten, die auch einkaufen
wollen. Manche kommen regelmäßig zu bestimmten Schichten, andere suchen
sich einen Termin, an dem es gerade passt. Ein Onlineportal macht
Organisation und Kommunikation einfach. Wer mehrmals fehlt, wird
„eingefroren.“
Jong Sook Hwang findet den Genossenschaftsladen vor allem praktisch, weil
sie um die Ecke wohnt. „Gemüse, Reis und Olivenöl sind hier sehr gut und
günstig“, sagt die 69-Jährige. Die Preise sind krumm, aber klar: Bei
Haltbarem beträgt die Marge 26 Prozent, bei Frischem 30 Prozent. Im Schnitt
ist alles 20 Prozent billiger als bei den Bioketten.
So viel wie möglich stammt aus der Nähe. Der Berliner Betrieb
[3][Speisegut] liefert bestes Gemüse der Saison aus Alt-Gatow und verdient
ohne Zwischenhandel deutlich mehr, als bei den großen Ladenketten zu holen
wäre. Zugleich können sich die SuperCoop-Mitglieder über üppige
Bio-Salatköpfe für 1,53 Euro freuen.
„Wir möchten ein Vertrauensverhältnis zu den Produzenten aufbauen und sie
unterstützen“, benennt Einkäuferin Eugénie Wateau einen Grundsatz der
SuperCoop. Die meisten der 50 Lieferanten sind klein wie [4][Roots
Radical], die in Friedrichshain pikante Soßen aus geretteten Lebensmitteln
herstellen. „Aber natürlich müssen wir auch Kompromisse eingehen“, gesteht
die 32-Jährige.
## Ein paar Massenprodukte gibt es auch
Viel Ware liefert auch der Berliner Bio-Großhändler Terra, und da lässt
sich trotz Nachfragen nicht immer herausfinden, woher etwas stammt. Ein
paar Massenprodukte gibt es auch in konventioneller Qualität, sodass ein
Pfund Nudeln auch schon für 93 Cent zu haben ist.
„Die SuperCoop macht es mir leicht, gute Lebensmittel einzukaufen, weil
sich hier Menschen ernsthaft mit den Produktionsbedingungen beschäftigen“,
sagt Nilu Deupmann, seit eineinhalb Jahren dabei. Wichtig ist vielen auch
die Möglichkeit, Leute zu treffen, die sie sonst nie kennengelernt hätten.
„Es herrscht eine Atmosphäre des Vertrauens – auch wenn man sich noch nicht
kennt, ist man doch irgendwie verbunden“, beschreibt Katrin Park ihr
Gefühl. Obwohl sie mit dem Rad eine Viertelstunde in die Oudenarderstraße
braucht, kommt die Mutter eines kleinen Kinds regelmäßig vorbei.
Fünf Angestellte hat der Laden, alles andere übernehmen die Mitglieder.
Aufsichtsrat Huth gerät ins Schwärmen, wenn er von der SuperCoop spricht:
„Dass das hier so gut funktioniert ist fantastisch und für mich in dieser
Größenordnung einzigartig.“ Der Jurist führt das vor allem auf den Mut
der vier Vorstandsfrauen zurück. Obwohl es ja durchaus um große Summen
geht und sie im Falle eines Scheiterns haftbar wären, haben sie von Anfang
an Verantwortung abgegeben.
Eugénie Wateau mit der Mitgliedsnummer eins lacht: „Wir waren sehr naiv,
was es bedeutet, einen Supermarkt aufzubauen und zu betreiben.“ Ihr nicht
gerade üppiges Gehalt und sämtliche anderen Wirtschaftsdaten sind für alle
transparent, die Mitgestaltungsmöglichkeiten groß.
## Dankeschön-Geschenke für Spender*innen
Und so arbeiten viele mehr als die drei Pflichtstunden im Monat. Zum
Beispiel Andreas Guba, der professionell mit Crowdfunding zu tun hat.
Jetzt in der heißen Kampagnenphase engagiert er sich etwa zehn Stunden pro
Woche: Ein Video muss gedreht, Dankeschön-Geschenke für Spender*innen
organisiert werden. Mit dem frischen Geld sollen neue Produktgruppen wie
Spielzeug aufgenommen, das Unverpackt-Angebot ausgeweitet und die
Café-Ecke neu gestaltet werden. „Das wird schon gut“, ist der 56-Jährige
überzeugt und ordnet noch schnell den neuen Klamotten-Verschenk-Schrank,
für den er die Verantwortung übernommen hat.
Einmal pro Woche gibt es ein Willkommenstreffen für Interessierte und Neue.
Das leitet heute Vicky Eckert, die im Rollstuhl sitzt. Sechs Leute haben im
Büro Platz genommen. Mehrere sind durch Bekannte auf die SuperCoop
aufmerksam geworden, eine Frau hat im Internet gezielt gesucht, einen Mann
haben die Fahnen mit den lachenden Rüben neugierig gemacht.
Der Beamer steht auf einem Eimer, Eckert klickt durch die Präsentation.
„Wir wollen respektvoll miteinander umgehen. Ist ja klar, Rassismus und so
was hat hier keinen Platz“, sagt die 29-Jährige. Sie erzählt von der
Generalversammlung, wo die Grundsatzentscheidungen fallen und von den 18
Arbeitsgruppen, die sich um Mitgliederbetreuung, Events, Käse, Datenschutz
oder die Website kümmern.
Übergabe an die Spätschicht: Acht Leute stehen im Kreis. Was wurde
geschafft, was ist noch zu tun? Um 20 Uhr schließt jemand das Eingangstor
zu. Das Gemüse verschwindet in den Kühlräumen, und jetzt muss noch der
ganze Laden geputzt werden. Mit Musik und einem Schwätzchen zwischendurch
kann auch das richtig Spaß machen.
2 Jul 2024
## LINKS
[1] https://supercoop.de/
[2] https://www.startnext.com/
[3] https://www.speisegut.com/
[4] https://rootsradicals.berlin/
## AUTOREN
Annette Jensen
## TAGS
Regionale Produkte
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Verbraucherschutz
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