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# taz.de -- Überteuerte Pflegeheime: Altern in guter Gesellschaft
> Ein Platz in einem Pflegeheim ist nahezu unerschwinglich geworden. Die
> Kommunen müssen jetzt radikal umdenken.
Bild: Im Alter braucht man einen guten Pflegeschutz-Schirm
Alle wollen alt werden, aber niemand will es sein. „Alter“ ist in
Deutschland ein Unwort. Statt eine älter werdende Gesellschaft als Chance
zu sehen, reduzieren Politik und Profession den demografischen Wandel auf
Überschriften wie „[1][Pflegenotstand]“, „Pflegekatastrophe“ und
„Kostenlawine“. Uns droht die Zukunft einer ambulanten und stationären
Pflege, die pflegebedürftige Senioren professionell versorgt
beziehungsweise entsorgt – ohne Integration in ihr bislang gewohntes
soziales und kommunales Leben.
„Professionell, teuer und kalt“ – wollen wir in einer solchen älter
werdenden Gesellschaft leben? Das aktuelle Alternativmodell, die
Familienpflege, ist ebenfalls ein Auslaufmodell. Wie und wo also wollen wir
dann alt werden? In rein professionell betriebenen Pflegeheimen oder an
Orten, in denen Pflegebedürftige eingebettet sind in kümmernde Netzwerke?
Fünf Millionen Pflegebedürftige gibt es heute in Deutschland, 2030 werden
es sechs Millionen sein. Rund 800.000 leben heute vollstationär in
Pflegeheimen, fünf von sechs Bedürftigen werden zu Hause versorgt, weil sie
es so wollen. Über 90 Prozent der Älteren wollen möglichst lange in den
eigenen vier Wänden leben. Die meisten von ihnen werden von ihren
Angehörigen gepflegt. Bald wird der Eigenbeitrag für einen Pflegeheimplatz
bei rund 3.000 Euro im Monat liegen. 2020 waren es noch gut 2.000, im Jahr
2023 bereits 2.740 Euro. Weil das viele der betroffenen Senioren nicht
zahlen können, springen Familien oder Sozialämter ein. Immer mehr
Pflegeheime schließen aus Kostengründen, immer weniger kommen neu dazu.
Die nächste Generation Pflegebedürftige wird sich einen Platz ohnehin nicht
mehr leisten können, weil ihre Renten niedriger ausfallen. Hinzu kommt: Die
Lebenszeit in Pflegeeinrichtungen wird immer kürzer. Die durchschnittliche
Verweildauer ist zuletzt um drei auf 25 Monate zurückgegangen.
## Für Menschen ab 80 dann die „Beendigungsbehörde“
Vor drei Jahren hielt die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine
Vogler, eine viel beachtete Rede und malte ein düsteres Zukunftsszenario an
die Wand: Im Jahr 2033 werde es keine ambulante Pflege mehr geben, sondern
nur noch Heime, in denen die Pflegebedürftigen in Massen versorgt werden.
Für Menschen ab 80 und mit schlechten Prognosen gebe es eine
„Beendigungsbehörde“ für [2][den Lebensabschluss]. Finanziell
leistungskräftigere Senioren leben dann in „Lebensabendhäusern“, wo sie
professionell gut versorgt werden.
Hat diese rein professionell betriebene Pflege eine Zukunft? „Nein“, sagen
der Theologe und Soziologieprofessor, Reimar Gronemeyer, und Oliver
Schultz, Mitherausgeber der Zeitschrift Demenz, in ihrem jüngst
erschienenen Buch „Die Rettung der Pflege“. Sie zerstöre die Eigenkräfte
der Menschen. Stattdessen müsse an die Stelle der „Pflege“ treten:
Anteilnehmen, Kümmern, Versorgen, das
Sich-füreinander-(demokratisch)-Engagieren.
Demokratisch heißt: Die Aufgabe der Pflege wird resozialisiert und findet
in der kommunalen Nachbarschaft statt. Das alte Modell der reinen
Pflege(heime) läuft aus.
Die „Caring Society“ setzt auf einen Mix aus [3][professioneller] und
lokaler Pflege. Es geht darum, Nachbarschaften zu schaffen, die den Alltag
der Menschen, nicht nur der Älteren, lebenswert machen. Flexible
Wohninfrastrukturen und Projekte, die Pflege in den Alltag integrieren und
dabei die Pflegebedürftigen mit einbinden. Mit Pflegebedürftigen und ihren
Familien werden Vereinbarungen getroffen: „Wie mobil wollt ihr sein? Wie
können wir euch dabei unterstützen?“ Pflege wird lebensweltlich und
integrativ.
## „Age friendly“ ist weltweit ein Trend
Netzwerke aus Familie, Freunden und Nachbarschaft entstehen. Alters-WGs
verbinden das Bedürfnis der Älteren, möglichst lange in den eigenen vier
Wänden und nicht in einem Heim leben zu müssen, mit der Notwendigkeit, sie
gut und effizient zu betreuen. Caring Communities fördern den Verbleib in
der gewohnten Umgebung und verhindern präventiv den Wechsel in stationäre
Pflege. In einer älter werdenden Gesellschaft sind funktionierende hybride
Netzwerke unerlässlich, um im Alter gut versorgt zu werden. Kommunen, die
sich zu „Caring Communities“ entwickeln, können damit viel gewinnen,
wirtschaftlich, sozial und demokratisch: durch attraktive Wohn- und
Nachbarschaftsformen, Quartierärzte und -schwestern, Telemedizin und einen
Mix aus professioneller Pflege und ehrenamtlichem Kümmern.
Die Zukunft gehört diesen „altersfreundlichen Kommunen“. „Age friendly�…
weltweit ein Trend, mehr als 150 Länder haben sich in dem WHO-Netzwerk
„Age-friendly Cities and Communities“ zusammengetan. 2010 gegründet, will
das Netzwerk Städte und Gemeinden ermutigen, altersfreundlich zu werden.
Wer aufgenommen werden will, muss einen umfangreichen Kriterienkatalog
erfüllen. Die finnische Stadt Tampere hat es geschafft, indem sie älteren
Menschen eine barrierefreie Umgebung ermöglicht hat. Die lokale
Stadtplanung setzt auf verkehrsberuhigte Zonen und altersgerechte Wege. Von
der neuen urbanen Barrierefreiheit profitieren auch andere
Bevölkerungsgruppen wie Eltern mit kleinen Kindern und Menschen mit
körperlichen Beeinträchtigungen.
Unter den über 1.500 Mitgliedern sind aber nur wenige deutsche Städte und
Gemeinden. Das muss sich ändern. Auch wenn es keinen Masterplan für eine
kommunale Altersstrategie gibt, müssen sich Kommunen zu Orten für alle
Lebensalter wandeln. Dabei kommt es vor allem auf die „jungen Alten“ an,
die über Zeit, Geld und Fitness verfügen. Die lokale Pflege älterer
Menschen wird zum neuen kommunalen Wachstumsmarkt. „Kommunal und präventiv
vor ambulant und stationär“ ist der Weg in die altersgerechte Zukunft.
Dieser Text erscheint auch in der kommenden Ausgabe von „Kommunal“.
11 Apr 2024
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## AUTOREN
Daniel Dettling
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