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# taz.de -- Experte über Wachstumsmarkt Altenpflege: „Spekulation spielt ein…
> Die Nachfrage nach Pflegeplätzen ist riesig. Warum viele Heime gerade
> trotzdem Insolvenz anmelden, erklärt der Experte Christoph Trautvetter.
Bild: Zumindest der Rollator gibt Halt: Eine Heimbewohnerin in Duisburg
taz: Herr Trautvetter, immer wieder melden Pflegeheime Insolvenz an.
Gleichzeitig altert die Gesellschaft und steigt der Bedarf. Wie passt das
zusammen?
Christoph Trautvetter: Das hat mehrere Gründe. [1][Der wichtigste ist der
Personalmangel]. Es gibt eine vorgeschriebene Mindestanzahl von
Pflegekräften pro Bett, und wenn die nicht eingehalten werden kann, dann
untersagen die Aufsichtsbehörden im Zweifel, diese Plätze zu belegen. Wenn
dann ein Heim halb leer steht, kann es schnell in die Pleite rutschen.
Deswegen sind auch einige Pflegeheimbetreiber bereit, horrende Summen an
Leihkräfte zu zahlen, die viel mehr kosten als das Stammpersonal – einfach,
weil sie so verzweifelt nach Pflegekräften suchen.
Der Fachkräftemangel befördert also die Pleitewelle. Was sind weitere
Gründe?
Wir haben im Pflegemarkt eine Expansionswelle erlebt von teilweise
finanzmarktgetriebenen Investoren. In Norddeutschland gibt es das Beispiel
einer Pflegeheimkette, [2][die Anfang des Jahres Insolvenz angemeldet hat].
Convivo war ein von einem Krankenpfleger gegründetes Unternehmen aus
Bremen. Dann wurde mit wenig eigenem Geld eine ganz schnelle Expansion
versucht, es wurden viele Pflegeheime dazugekauft. Im Prinzip wurde das
Wachstumsmodell der großen Investoren kopiert. Am Ende gab es aber
Finanzierungsprobleme, weil man sich beim Wachstum übernommen hat.
Wie funktionieren Wachstumsmodelle mit Pflegeheimen?
Im Prinzip wie Immobilienspekulation. Wenn ein Pflegeheim verkauft wird,
dann spekuliert der nächste Käufer, dass er mit diesem Pflegeheim hohe
Gewinne machen kann. Diese erwarteten Gewinne fließen in den Kaufpreis ein.
Das heißt, das Pflegeheim wechselt den Eigentümer schon zu sehr hohen
Kosten, mit der Erwartung von hohen Gewinnen. Wenn sich die nicht
realisieren lassen, wie geplant, dann droht die Insolvenz.
Welche Rolle spielt, dass seit September 2022 nach Tarif gezahlt werden
muss?
Das hat vor allen Dingen in Ostdeutschland zu einigen Veränderungen
geführt. Dort, wo weit unter Tarif gezahlt wurde, sind die Arbeitskosten
gestiegen – mit der Folge, dass die Unterbringungspreise gestiegen sind.
Die erhöhten Arbeitskosten wurden abgewälzt auf die Kunden.
Genau, denn die Nachfrage bleibt ja bestehen. Das stellt vor allem die
Gepflegten und die Familien vor große Herausforderungen und da, wo der
Staat einspringen muss, auch die Sozialkassen. Aber deswegen geht kein
Pflegeheim pleite.
Aber es führt zumindest dazu, dass Gewinne nicht durch Lohndrückerei
maximiert werden können, oder?
Für Lohndrückerei ist im Pflegebereich wegen der Regulierung und des
aktuellen Umfelds wenig Platz. Dafür können Betreiber zum Beispiel mit der
Immobilie Geld machen. Bei Convivo gehörte ein Großteil der Immobilien
irgendwelchen Finanzinvestoren. Convivo hat also nur den Betrieb übernommen
und die Immobilie gepachtet. Nur so konnten sie sehr schnell wachsen ohne
eigenes Kapital, aber sie sind dann pleitegegangen, weil sie am Ende die
Pachtkosten nicht mehr stemmen konnten. Die Parallelität zum
Immobilienmarkt ist sehr groß, weil die Immobilen ja ein großer Kostenblock
sind.
Sie haben sich [3][in einer Studie die stationäre Altenpflege in Bremen
genauer angeschaut]. Was hat sie interessiert?
Zwei Dinge: einmal die Eigentümerfrage und dann die Frage der
Geschäftspraxis.
In Bremen sind laut Studie 48 Prozent der Pflegeheime in privater
Trägerschaft, 52 Prozent sind gemeinnützig. Was haben Sie über die
Eigentümerstrukturen herausgefunden?
Die sind sehr vielfältig: Es gibt in Bremen zum Beispiel lokal verankerte
Private-Equity-Fonds. Es gibt milliardenschwere Privatinvestoren aus dem
In- und Ausland, die einzelne Pflegeheime aufkaufen. Und dann gibt es
börsennotierte Unternehmen aus Frankreich, wie zum Beispiel Korian oder
Dorea. Interessant ist auch, ob es sich um pflegeferne oder pflegenahe
Investoren handelt. Es gibt tatsächlich auch Finanzmarktakteure, die vorher
vielleicht in Pipelines und Schiffscontainer investieren, und dann schauen
sie in der Pflege vorbei.
Kann man einen Rückschluss von der Eigentümerstruktur auf die Qualität der
Pflege ziehen?
Die Qualität der Pflege zu bemessen, ist sehr schwierig. Dazu müsste man
umfangreiche Feldstudien und Vergleiche machen, die gibt es meines Wissens
nicht. Aber in Bremen gibt es eine Analyse der Aufsichtsbehörden, die sagt:
Bei den privaten Betreibern – leider nicht differenziert nach den
unterschiedlichen Gruppen – sind die gemeldeten Beschwerden größer als bei
den gemeinnützigen. Daneben kann man zumindest zentrale Kennzahlen
vergleichen: Wie ist die Mitarbeiterquote, die Pachtzahlung, werden
Immobilien besessen oder nicht? Wie sieht es aus mit Zinszahlungen oder
Verkaufserlösen?
Was können Sie schlussfolgern?
Dass im privaten Sektor Verkäufe und spekulatives Handeln eine große Rolle
spielen, was in den anderen Sektoren per definitionem schon nicht der Fall
ist. Dort, wo solche Verkäufe stattfinden, wird das häufig zum Problem,
weil eben durch diese Verkäufe quasi Gewinnerwartungen in den Verkaufspreis
einfließen, die dann den nächsten Investor unter Druck setzen, diese
Gewinnerwartung auch zu erfüllen.
Eine Gewinnspirale nach oben.
Genau. Aber wenn man sich die Pflegeinvestoren anguckt, muss man zumindest
sagen, dass es wenig kurzfristige Spekulation gibt. Der Großteil spekuliert
darauf, vielleicht nach zehn oder zwanzig Jahren ein Vermögen aufzubauen
und das dann weiterzuverkaufen.
Wie wird denn dieses Vermögen aufgebaut?
Da gibt es wieder unterschiedliche Modelle. Wenn die Immobilien nicht zum
Betrieb gehören, dann besteht das Vermögen im Geschäftswert. Da ist das
Sachvermögen meist sehr gering. Bei einem Verkauf werden trotzdem mehrere
Millionen Euro gezahlt – für ein funktionierendes Geschäftsmodell. Man
zahlt für die Organisation, die angestellten Pflegekräfte, das ausgelastete
Haus und den Kundenstamm; in der Erwartung, daraus dann jedes Jahr Erlöse
zu erzielen. Die machen keine großen Gewinne, schütten auch keine
Dividenden aus, aber sie hoffen, das bestehende Modell für ein paar
Millionen Euro mehr weiterverkaufen zu können. Die börsennotierten
Gesellschaften zahlen auch teilweise Dividenden aus.
Werden Gewinne auch durch Einsparung gesteigert? Spielt das eine Rolle?
Klar man kann vielleicht etwas an der Ausstattung sparen. Aber es gibt
keine riesigen Gewinnmargen bei Pflegeheimen. Dafür gilt die Pflege als
stabiles Investment, unabhängig von der Konjunktur. Das gilt vor allem für
gut ausgestattete Pflegeheime mit ausreichend Personal. Die machen nach wie
vor gute Gewinne, auch die gemeinnützigen Betreiber. Auch die machen schon
seit vielen Jahren Gewinne und haben teils große Rücklagen geschaffen, mit
denen sie jetzt ihre Immobilien gekauft haben. Es lohnt sich trotz
kleinerer Gewinnmargen so, dass auch gemeinnützige Betreiber am Ende
wachsen können.
Welchen Unterschied macht es, ob Betreiber die Immobilien besitzen oder
pachten?
Es gibt keinen eindeutigen Trend. Aber man sieht eine Tendenz, dass die
Pachtzahlungen bei denen, die ihre Immobilien auslagern, höher sind als die
Immobilienkosten der anderen. Das kann verschiedene Ursachen haben. Ein
Vorwurf, der öfter mal vorgebracht wird, ist, dass über die Pachtzahlung
versteckt Gewinne abfließen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Teilweise sind es miteinander verbundene Unternehmen. Die Pachtzahlung ist
ein Bereich, den man teilweise an die Krankenkasse weitergeben kann und
auch an die Kunden. Denn die Gebühr für das Pflegeheim besteht zur einen
Hälfte aus Kost und Logis und zur anderen Hälfte aus der Pflege, und da
gibt es mit den Krankenkassen festgelegte Sätze.
Und was ist der Vorwurf?
Dass teilweise etwas kreativ die Immobilienkosten erhöht werden. Es ist ein
weites Feld. Aber wie gesagt, es gibt auch viele Modelle, da liegt der
eigentliche Profit nicht im Pflegeheimbetrieb, sondern einfach beim Verkauf
der Immobilie.
Für Pflegeheimbewohner*innen bedeutet eine Insolvenz immer
Unsicherheit, auch wenn es nicht zwangsläufig zu Heimschließungen kommt,
manchmal wechselt nur der Betreiber. Leiden denn private Betreiber stärker
unter der Pleitewelle als gemeinnützige?
Der Personalmangel betrifft alle. Aber die gemeinnützigen Betreiber, die
das schon seit Jahrzehnten machen, leiden vielleicht etwas weniger akut,
weil sie oft langjähriges, verlässliches Stammpersonal haben. Wenn aber ein
Betreiber wechselt und alles neu organisiert, dann ist es wahrscheinlicher,
dass sich auch das Pflegepersonal neu orientiert.
29 Oct 2023
## LINKS
[1] /Demografie-und-Arbeitsmarkt/!5946608
[2] /Pflegebranche-unter-Druck/!5909238
[3] https://www.rosalux.de/publikation/id/50176/wem-gehoert-die-altenpflege
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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