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# taz.de -- Kosten für die Pflege: Ein Pflegeheim muss funktionieren
> Bald gibt es noch mehr Pflegebedürftige als heute und vermutlich noch
> weniger Pflegekräfte. Das Geld für den Pflegeausbau müssen alle
> aufbringen.
Bild: 2035 könnten eine halbe Million Pflegekräfte in Altenheimen in Deutschl…
Pflege macht arm. Sehr rasch und sehr radikal. So zumindest liest sich die
Geschichte eines 71-jährigen Mannes, der in Augsburg für den Heimplatz
seiner Frau jeden Monat 6.194 Euro bezahlen muss. Die Pflegeversicherung
übernimmt, so heißt es in dem Text einer Münchner Tageszeitung weiter,
lediglich 1.775 Euro. Demnächst seien alle seine Ersparnisse aufgebraucht,
eine Zusatzversicherung habe er bereits aufgelöst.
Ja, Pflege kann arm machen. Über ein Drittel der Bewohner:innen in
Pflegeheimen sind den Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge auf
Sozialhilfe angewiesen. Manche sind im Laufe ihrer Zeit in der Einrichtung
in die staatliche Hilfe gerutscht, andere waren schon darauf angewiesen,
als ihr Leben dort begann. Pflege ist bekanntermaßen eine teure
Angelegenheit, [1][ein Heimplatz kostet dem Verband der Ersatzkassen (vdek)
zufolge zwischen 2.000 und 4.000 Euro.] Einen Teil davon übernimmt die
Pflegeversicherung, je nach Pflegegrad der gepflegten Person bis zu rund
2.000 Euro. Für die Betroffenen in den Pflegeeinrichtungen steigen die
Kosten aktuell erneut, laut vdek um durchschnittlich rund 350 Euro
monatlich – wegen höherer Energie- und Lebensmittelkosten, vor allem aber
wegen gestiegener Löhne für das Pflegepersonal.
Niemand kann wollen, dass jene Fachkräfte, die unter großen physischen und
psychischen Anstrengungen Hilfsbedürftige rund um die Uhr versorgen,
weiterhin unangemessen bezahlt werden. Aber mehrere Hundert Euro mehr im
Monat muss man erst einmal haben. Vor allem als Rentner:in. 1.370 Euro
durchschnittlich landen laut Arbeitsministerium im Monat auf dem Konto bei
Ruheständler:innen im Westen, im Osten sind es 1.255 Euro.
Für diese Rentenhöhe muss man 40 Jahre lang in die Rentenversicherung
eingezahlt, also durchgängig gearbeitet haben. Viele sogenannte
Boomer:innen taten das aber gar nicht, erinnert sei an das
Arbeitslosenheer in den 1990er Jahren. Gebrochene Erwerbsbiografien sind
für jene, die schon jetzt im Ruhestand sind, und auch für die, die das in
den kommenden Jahren sein werden, eine Normalität, die sich heute
angesichts des Arbeitskräftemangels kaum jemand vorstellen kann.
## Das erste Jahr im Heim ist das teuerste
Das Pflegedilemma ist den Entscheidungsträger:innen, wie die Politik gern
bezeichnet wird, durchaus bewusst. Und sie versucht, es abzumildern – ein
wenig zumindest. Gerade wurde die Pflegeversicherung teurer,
Beitragszahler:innen müssen nun 20 oder 30 Euro im Monat mehr
bezahlen. Darüber kann man sich ärgern. Man kann es aber auch als
Investition in die eigene Zukunft sehen. Jede und jeder kann gegen Ende
des Lebens zum Pflegefall werden – und möchte dann sicher allumfassend und
fürsorglich betreut werden. Und das [2][auch bezahlen können.]
So ganz alleingelassen, wie das bei all den berechtigten Klagen über das
Pflegedilemma erscheint, werden Betroffene und ihre Angehörigen allerdings
nicht. So zahlt ab 1. Januar 2024 der Staat den Heimbewohner:innen
mehr Geld für den Eigenanteil, 2025 erhöht sich der Betrag dann noch
einmal. Konkret heißt das: Auch im ersten, im Übrigen teuersten Jahr in
einer Pflegeeinrichtung, übernimmt der Staat jetzt 15 Prozent des
Eigenanteils, bislang waren es 5 Prozent. Ohnehin sinken ab dem 2. Jahr in
einem Pflegeheim kontinuierlich die Kosten für die Pflegebedürftigen oder
ihre Angehörigen, die sie aus eigener Tasche bezahlen. Nach wenigen Jahren
ist es nur noch die Hälfte.
Das ist der aktuelle Stand. Ob das so bleibt, ist indes nicht ausgemacht.
Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt stetig, Demograf:innen rechnen
2030 mit 5,75 Millionen Pflegebedürftigen (jetzt sind es rund 5 Millionen),
2050 könnten es 7,25 Millionen sein. Ihre Pflege muss dann nicht nur
bezahlt werden, sie muss auch geleistet werden können. Schon jetzt
[3][fehlt allerorten Fachpersonal.] Die Härte dieses Jobs schreckt viele
ab, sich beispielsweise als Altenpfleger:in ausbilden zu lassen. Für
100 freie Stellen stehen laut Arbeitsagentur nur 19 arbeitslose
Pflegekräfte zur Verfügung. Dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge
könnten [4][2035 etwa 500.000 Pflegekräfte fehlen].
Nun ist ein Pflegeheim keine Kneipe, die mangels Personal einfach mal
dichtmachen kann. [5][In einem dystopischen Szenario] vegetieren alte
Menschen in ihren verschmutzten Betten vor sich hin, sie sterben nicht an
Altersschwäche, sondern an nicht erfolgter Fürsorge.
Das will natürlich niemand. Die Ampelregierung hat sich eine
[6][„freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung“ in den
Koalitionsvertrag geschrieben,] diese solle „geprüft“ werden. Auch die
gesetzliche Pflegeversicherung war in den 1990er Jahren mal eine
freiwillige Leistung. Übrigens: Ein [7][Pflegeheimplatz für 6.000 Euro ist
nicht unbedingt nötig].
21 Jul 2023
## LINKS
[1] /Betreuung-im-Alter-wird-teurer/!5945089
[2] /Debatte-um-das-Renteneintrittsalter/!5894522
[3] /Pflegenotstand-/!5941283
[4] /Zuwanderung-von-Fachkraeften/!5948297
[5] /Zukunft-der-Altenpflege/!5930408
[6] /Bundesrat-billigt-Pflegereform/!5941295
[7] /Seniorenwohnen/!5929280
## AUTOREN
Simone Schmollack
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