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# taz.de -- Betreuung im Alter wird teurer: Luxus Pflege
> Die Mutter unserer Autorin lebt seit einem Schlaganfall in einem
> Pflegeheim. Die Betreuung hat ihren Preis – und dieser ist erneut
> gestiegen.
Bild: Die Pflegefrage ist auch eine soziale Frage
Jetzt liegt sie nur noch im Bett. Auf dem Rücken, den Blick – wenn sie
nicht schläft – an die Zimmerdecke gerichtet. Trete ich an ihr Bett, hebt
sie kurz eine Hand – ein Zeichen, dass sie merkt, dass jemand da ist. Meine
Mutter hatte vor zehn Jahren einen Schlaganfall, seitdem ist sie halbseitig
gelähmt und kann nicht mehr sprechen, sie ist komplett auf Hilfe
angewiesen. Sie muss gewindelt, [1][gewaschen und seit Längerem auch
gefüttert werden]. All diese Dinge tun Mitarbeiter:innen in dem Pflegeheim
am Rande Berlins, in dem meine Mutter seit neun Jahren lebt. Ich könnte all
das nicht leisten, [2][ohne meinen Job als Journalistin aufzugeben].
Dieser „Luxus“ der Fremdbetreuung hat seinen Preis. Ein Heimplatz kostet
dem Vergleichsportal 24h-Pflege-Check zufolge insgesamt bis zu 4.000 Euro
im Monat. Die Pflegeversicherung übernimmt je nach Pflegegrad zwischen
1.000 und 2.000 Euro, den Rest müssen die Bewohner:innen selbst zahlen.
Der „Rest“ kann – abhängig vom Zustand der pflegebedürftigen Person und…
Standard des Heims – bis zu 3.000 Euro und mehr betragen.
Jetzt steigen die Kosten erneut, laut des Verbands der Ersatzkassen
durchschnittlich um rund 350 Euro monatlich. Das liegt vor allem an den
höheren Löhnen des Pflegepersonals. Job- und Gehaltsportalen zufolge
verdienen Pflegekräfte 3.000 bis 4.000 Euro brutto – für einen Vollzeitjob.
Viele Mitarbeiter:innen reduzieren wegen der physischen und
psychischen Belastung ihre Arbeitszeit.
Früher, als meine Mutter noch aufstehen konnte, musste sie aus dem Bett
gehoben und in den Rollstuhl gesetzt werden. In einem Ruck, sonst wäre sie
der Pflegekraft aus den Armen gerutscht. Die Pflegekräfte können sie
halten, sie haben das gelernt. Trotzdem brauchen sie Kraft dafür. Auf der
Station meiner Mutter haben sie rund um die Uhr zu tun: Waschen, Essen
zubereiten, Bettlägerige windeln und auf die Seite drehen, Bettwäsche
wechseln, Tee kochen. Dazwischen telefonieren, mit Angehörigen sprechen,
Formulare ausfüllen, Patientenakten aktualisieren.
## Die Pflegelücke schließen
Immer weniger Menschen wollen diese Arbeit tun. Aber [3][immer mehr
Menschen werden auf Hilfe angewiesen sein]. Aus den aktuell 5 Millionen
Pflegebedürftigen werden laut dem Wissenschaftlichen Institut der Privaten
Krankenversicherung 2030 schon 5,75 Millionen Pflegebedürftige, 2050
könnten es 7,25 Millionen sein. Man muss keine Prophetin sein, um zu ahnen,
dass Pflege immer teurer wird – für alle Seiten, also für
Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige, aber schon jetzt auch für alle
Beitragszahler:innen der Pflegeversicherung.
Der Beitragssatz wurde [4][gerade von 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent
angehoben], für Kinderlose auf 4 Prozent. Manchen mag es nicht gefallen,
dass sie jetzt 20 oder 30 Euro mehr für etwas bezahlen müssen, das für sie
gefühlt in weiter Ferne liegt. Für Normalverdiener:innen ist das aber
nicht viel Geld. Und es ist – um es salopp zu sagen – eine Investition in
die eigene Zukunft.
Dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft zufolge werden bis 2035 rund
307.000 Pflegekräfte fehlen. Arbeitsminister Hubertus Heil wirbt gerade in
Indien um Pflegekräfte, die in Deutschland arbeiten sollen. Bislang kommen
sie von den Philippinen, aus Vietnam, Indonesien, Bosnien. Der
SPD-Politiker versucht, die Pflegelücke wenigstens ein bisschen zu
schließen. Aber die abwandernden Fachkräfte fehlen dann in ihren
Heimatländern.
Wieso nicht Asylbewerber:innen, die bereits hier sind, zu Pflegekräften
ausbilden? Und beispielsweise Sprachhürden dafür senken. Seit einigen
Wochen bekommt meine Mutter von einem jungen Mann aus Ghana Essen gereicht,
wird von ihm gewaschen und gekämmt. Er kann sich mit ihr verständigen –
nonverbal.
18 Jul 2023
## LINKS
[1] /Steigende-Pflegekosten/!5948368
[2] https://www.zeit.de/kultur/2019-03/pflege-altenpflege-pflegezeitgesetz-fami…
[3] /Zukunft-der-Altenpflege/!5930408
[4] /Kommentar-Erhoehung-des-Pflegebeitrags/!5540184
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Alten- und Pflegeheime
Altern
soziale Ungleichheit
Fachkräftemangel
Care-Arbeit
Pflege
Ampel-Koalition
Schwerpunkt Armut
Pflegekräftemangel
Rauchen
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