Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Geschäfte mit Pflegebedürftigen: Wenn die Goldgrube erschöpft ist
> Ein Pflegeheim-Investor verklagt den Landkreis Hildesheim, weil er sich
> vom Betreiber betrogen fühlt. Hätte die Heimaufsicht eingreifen müssen?
Bild: Mit Pflegeheimen lässt sich viel Geld verdienen – aber auch verlieren
Hildesheim taz | Es ist schon ein sehr spezieller Fall, den die 8.
Zivilkammer des Landgerichtes Hildesheim in der vergangenen Woche zu
verhandeln hatte. Ein Investor und Unternehmer aus Kirchheim verklagt den
Landkreis Hildesheim auf 2,5 Millionen Euro Schadensersatz – weil er
glaubt, die Heimaufsicht des Landkreises habe ihre Amtspflichten verletzt.
Diese Klage hat eine lange und verwickelte Vorgeschichte, an der sich vor
allem die lokalen Zeitungen, [1][die Hildesheimer Allgemeine Zeitung] und
[2][die Alfelder Zeitung], nun schon seit einem Jahrzehnt die Finger
wundschreiben.
2011 hatte der Investor eine Immobilie in der Nähe von Hildesheim erworben,
in der sich auch zuvor schon ein Seniorenheim mit rund 120 Plätzen befand.
Die [3][Betreibergesellschaft war insolvent.] Der Unternehmer schloss einen
Vertrag mit einer neuen Betreibergesellschaft, die ab 2012 den Betrieb
übernahm.
Doch bald kam es zu Streitigkeiten zwischen dem Hauseigentümer und seinem
Pächter. Der Betreiber der Seniorenresidenz behauptete, gravierende Mängel
an der Immobilie festgestellt zu haben – darunter schwerwiegende
Brandschutzmängel – und kürzte die Pacht zunächst um 50 Prozent, stellte
später die Zahlungen ganz ein.
## Handwerkern Hausverbot erteilt
Eine Beseitigung der Mängel soll er allerdings, nach der Darstellung des
Immobilienbesitzers, dadurch sabotiert haben, dass er Architekten und
Handwerkern Hausverbot erteilte.
Der Investor unterstellt ihm daher ein spezielles Geschäftsmodell: Denn
[4][die Beiträge der Heimbewohner flossen ja weiter] – inklusive des darin
enthaltenen Anteils für Miet- und Investitionskosten. Daraus entspann sich
ein über mehrere Jahre andauernder Rechtsstreit, der vom Landgericht
Hildesheim ans Oberlandesgericht Celle und zurück wanderte.
In der Zwischenzeit sank die Belegungsquote des Heimes, Pflegekräfte
kündigten oder wurden entlassen, beklagten öffentlich die [5][unsäglichen
Arbeitsbedingungen]. Mehrere Arbeitsprozesse schlossen sich an, in denen es
um nicht gerechtfertigte fristlose Kündigungen und ausstehende Zahlungen
ging. Auch Pflegebedürftige und Angehörige beklagten die anhaltenden
Unruhen.
Der Pflegeheim-Betreiber setzte schließlich einen Liquidator ein, der eine
Auflösung des Geschäftsbetriebes vorbereiten sollte. Gleichzeitig suchte
der Investor eine neue Betreibergesellschaft und erwirkte einen
Räumungstitel. Umsetzen ließ sich der allerdings nicht mehr – zunächst,
weil der Investor die dafür aufzubringende Kaution von 850.000 Euro nicht
auf Anhieb aufzubringen vermochte.
## Investor: Heimaufsicht regelmäßig informiert
Mit dieser Kaution sichert sich der Staat ab, für den Fall, dass der
Räumungsbeschluss in einer weiteren Instanz kassiert wird und
Schadensersatzforderungen entstehen.
Am Ende war es ohnehin zu spät: Die Betreibergesellschaft meldete Insolvenz
an, forderte die Angehörigen der verbleibenden, teils hochbetagten 20
Bewohner auf, kurzfristig neue Plätze zu suchen und schickte das
verbliebene Pflegepersonal vorerst in den Urlaub – obwohl die nächste
Betreibergesellschaft schon in den Startlöchern stand und gern übernehmen
wollte.
Aus Sicht des Investors, der sagt, er habe die Heimaufsicht des Kreises ab
2015 regelmäßig über die Schwierigkeiten in der Einrichtung informiert,
hätte es verschiedene Zeitpunkte gegeben, an denen diese hätte eingreifen
können und müssen.
Dann wären ihm nicht Pachtzahlungen entgangen, die sich – seinen
Berechnungen zufolge – auf mittlerweile mehr als fünf Millionen Euro
(inklusive Zinsen) summieren.
## Für Geschäftsinteressen nicht zuständig
Tatsächlich hat sich die Heimaufsicht in dieser Angelegenheit von
Pressevertretern und Kommunalpolitikern eine Menge unangenehmer Fragen
gefallen lassen müssen – diese aber meist mit dem Hinweis auf Datenschutz
und laufende Verfahren nicht wirklich beantwortet.
Dass der Investor nun mit einer Amtshaftungsklage versucht, an sein Geld zu
kommen, ist vielleicht verständlich, aber möglicherweise nicht sehr
aussichtsreich, lässt der Vorsitzende Richter und Vizepräsident des
Landgerichtes, Jan-Michael Seidel, durchblicken. Dazu müsste der
Immobilienbesitzer nämlich erst einmal direkt von einer
Amtspflichtverletzung betroffen sein und nicht bloß mittelbar.
Die Amtspflichten der Heimaufsicht, wie sie im „Niedersächsischen Gesetz
über unterstützende Wohnformen (NuWG)“ festgeschrieben sind, dienten aber
ausschließlich dazu, die Rechte und die Würde der Bewohner zu schützen –
und nicht die finanziellen Interessen von Geschäftspartnern, erklärt
Seidel.
Dass, so argumentieren die Anwälte des Investors, stimme nicht so ganz:
Immerhin habe die Heimaufsicht laut Gesetz auch über die Eignung und
Zuverlässigkeit der Leitung zu wachen – und die sei hier ja offensichtlich
nicht gegeben gewesen.
## Gericht entscheidet im Januar
Der Anwalt des Landkreises wirft dem Kläger hingegen vor, sich nun nur an
das Amt zu wenden, weil er befürchten muss, beim Mangel an Insolvenzmasse
leer auszugehen. Außerdem habe er ja gar nicht alle Mittel ausgeschöpft, um
gegen den eigentlichen Schadensverursacher, den Inhaber der
Betreibergesellschaft, vorzugehen.
Der Investor wirft den Behörden seinerseits vor, ja nicht einmal überprüft
zu haben, ob der Heimbetreiber die ausstehenden Pachtzahlungen tatsächlich
auf einem Treuhandkonto geparkt habe, wie er es in den vorangegangenen
Gerichtsverfahren behauptet hatte.
Vier Wochen haben beide Parteien nun Zeit, ihre Argumente in einem
schriftlichen Verfahren detaillierter darzulegen. Einen weiteren mündlichen
Verhandlungstermin wird es nicht geben. Anfang Januar will das Gericht dann
seine Entscheidung verkündigen.
Der Seniorenheim-Betreiber hat mittlerweile ein neues Seniorenheim im Kreis
Hildesheim eröffnet und betreibt weitere Einrichtungen im Pflegesektor in
verschiedenen Bundesländern.
19 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.hildesheimer-allgemeine.de/meldung/seniorendomizil-hoheneggelse…
[2] https://www.alfelder-zeitung.de/Story/56462/Das-Gesch%C3%A4ft-mit-den-Alten
[3] /Experte-ueber-Wachstumsmarkt-Altenpflege/!5966617
[4] /Alten--und-Pflegeheime/!t5692900
[5] /Pflegepersonal-aus-Brasilien/!5936349
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Heimaufsicht
Niedersachsen
Alten- und Pflegeheime
Hildesheim
Pflege
Sozialverband
Pflege
Alten- und Pflegeheime
Senioren
Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pflegeversicherung unter Druck: Notoperation im Pflegesystem
Die demografische Entwicklung belastet die Sozialsysteme. Nun könnten die
Beitragssätze für die Pflegeversicherung deutlicher steigen als erwartet.
Studie zu Pflegepersonal: Hunderttausende Fachkräfte fehlen
Die Gesellschaft wird älter und es fehlen Pflegekräfte. Laut einer Studie
könnten höhere Löhne und bessere Jobbedingungen gegen den Mangel helfen.
Experte über Wachstumsmarkt Altenpflege: „Spekulation spielt eine Rolle“
Die Nachfrage nach Pflegeplätzen ist riesig. Warum viele Heime gerade
trotzdem Insolvenz anmelden, erklärt der Experte Christoph Trautvetter.
Personalmangel in Altenheimen: Gepflegter Notstand
Wegen Personalmangels muss das Pflegeheim Ulmenhof in Bernau bei Berlin zum
Jahresende schließen. Dieses Schicksal ereilt immer mehr Einrichtungen.
Kontrollen von Pflegeeinrichtungen: Ziemlich marodes System
Der Medizinische Dienst hat für Hamburgs stationären Pflegeeinrichtungen
eine lange Mängelliste erstellt. Und jetzt? Passiert zu wenig, sagt die
Linke.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.