| # taz.de -- Klinikclown über Pflege und Humor: „Weinen ist nur feuchte Traur… | |
| > Andreas Bentrup ist Klinikclown und Humortrainer. Ein Gespräch über | |
| > Lachen in Extremsituationen, Singen auf der Demenzstation und rote Nasen. | |
| Bild: Findet sich selbst weder besonders lustig noch locker: Andreas Bentrup | |
| wochentaz: Herr Bentrup, Sie arbeiten als Clown und Humortrainer mit | |
| Beschäftigten und Patienten in der Pflege, mit Dementen und Sterbenden. Wie | |
| kamen Sie auf die Idee? | |
| Andreas Bentrup: Ich habe mit 19 Zivildienst gemacht in der Intensivpflege | |
| in einem Seniorenzentrum. Nach neun Monaten war ich ausgebrannt und hatte | |
| eine Belastungsdepression. Ich habe erlebt, dass Menschen neben mir | |
| gestorben sind und dass die Kolleginnen aus der Pflege keine guten | |
| Kompetenzen hatten, damit umzugehen. Bei der ersten Frau auf meiner | |
| Station, die verstorben ist, bin ich zur Beerdigung gegangen, das wurde ein | |
| bisschen belächelt. Als ich danach statt in der Pflege in der Betreuung | |
| gearbeitet habe, bekam ich Zettel von der Hausleitung zugesteckt mit Namen | |
| von Leuten, die ich besuchen sollte. Das hat meine Perspektive verändert: | |
| Plötzlich hatte ich Zeit, auf die Menschen einzugehen. | |
| Wie kam es zur Clownerie? | |
| Parallel zum Zivildienst habe ich Straßentheater gemacht. Daraus entstand | |
| die Klinikclownerie. | |
| In Ihrer Vita steht Humortrainer H. H. H. – ist das ein Witz? | |
| Es steht für [1][„Humor Hilft Heilen“], das ist die Stiftung [2][von Eckart | |
| von Hirschhausen], die Clowns in Kliniken und Pflegeheime bringt und | |
| Workshops zum Thema Humor in der Pflege anbietet. Ich bin dort einer von | |
| vielen Humortrainern und leite den Workshopbereich. Ich entwickle Trainings | |
| etwa für „Humor in der Pflege“. Das Standardformat für solche Trainings | |
| stammt von Michael Christensen, einem der ersten Klinikclowns in den USA. | |
| Das Format hat drei tragende Säulen. Die erste ist Humor. Die zweite ist | |
| positive, wertschätzende Kommunikation. Und die dritte die Fähigkeit des | |
| Perspektivwechsels: Wie schnell gelingt es mir, mich in mein Gegenüber | |
| hineinzuversetzen? Das ist in der Pflege besonders wichtig. In einer | |
| krisenhaften Lage, bei einer schweren Erkrankung oder am Ende des Lebens | |
| geht es weniger darum, Humor zu versprühen. Sondern darum, mit den | |
| betroffenen Menschen zu kommunizieren, mit ihnen zu arbeiten. | |
| Humor ist also Arbeit? | |
| Ja, und ein ziemlich effektives Werkzeug. Wenn ich in eine Pflegestation | |
| komme, treffe ich auf Menschen, die unter hohem Zeitdruck [3][und | |
| schwierigen Bedingungen arbeiten] und als Team eine Art | |
| Schicksalsgemeinschaft bilden. Die haben sich einander nicht ausgesucht, | |
| müssen aber jeden Tag zusammen funktionieren und für die Patient:innen | |
| da sein. Was ich in Workshops mit denen trainieren kann, ist: Wie gelingt | |
| es mir, in den ersten Sekunden, nachdem ich ein Zimmer betreten habe, einen | |
| positiven Kontakt herzustellen? Wie komme ich in die Haltung des sozialen | |
| Gastgebers? Die Menschen, die kommen, sind in irgendeiner Form in Not oder | |
| Verwirrung. Die brauchen jemanden, der bereit ist, ein gutes Setting | |
| herzustellen. | |
| In der Pflege gibt es meist nur wenig Zeit für den einzelnen Menschen. | |
| Das hat wenig mit Zeitdauer zu tun, sondern mit Intensität. Wenn Sie sich | |
| erinnern, dann gab es auch in Ihrer Biografie sicher Menschen, die Ihnen in | |
| einem bestimmten Moment mit einem körpersprachlichen Signal oder nur einem | |
| Satz etwas mitgegeben haben, was sich heute noch warm anfühlt. | |
| So etwas wie eine ausgestreckte Hand oder ein aufmunterndes Wort zur | |
| richtigen Zeit? | |
| Ja, ich trainiere mit den Leuten, sich die Frage zu stellen: Wer möchte ich | |
| gerade im Leben meines Patienten, meiner Patientin sein? Möchte ich die | |
| Sonne ins Zimmer lassen oder den Stress? Das ist keine Frage von Zeit, das | |
| ist die Kraft des Augenblicks. Ich zeige mit einer Geste, mit einem | |
| verständnisvollen Blick: Ich bin an dir als Mensch interessiert. Ich bin | |
| auch Teil des Systems, ich mache aber das Beste daraus. | |
| Im Internet gibt es Clips von Ihnen als Klinikclown. Zusammen mit einer | |
| Partnerin sieht man Sie auf der Kinderkrebsstation, in der | |
| Palliativstation. Geht es gar nicht darum, jemanden zum Lachen zu bringen, | |
| sondern schlicht Trost zu spenden? | |
| Alle Gefühle wollen wertgeschätzt werden. Wenn Sie gerade traurig sind, | |
| dann ist Ihr Bedürfnis, das gespiegelt zu sehen. Das tue ich als Clown. | |
| Einmal habe ich einer älteren Frau „Die Gedanken sind frei“ auf einer alten | |
| Spieluhr vorgespielt. Da hat sie sehr geweint. Ihr Sohn hat mir erklärt, | |
| dass ihr Grundschullehrer in der Nazizeit in einem Vernichtungslager | |
| umgebracht wurde, weil er seinen Kindern „Die Gedanken sind frei“ | |
| beigebracht hat. Das war damals für mich kein Fettnäpfchen. Sondern ein | |
| schöner Moment des Gedenkens. Weinen ist ja nur feuchte Traurigkeit. Für | |
| den Moment ist das völlig in Ordnung. Die Frage ist, ob es mir dann auch | |
| gelingt, dem eine gewisse Leichtigkeit zu geben: Wie schön, dass wir das | |
| Lied zusammen gehört haben, und wie schön, dass es so eine intensive | |
| Erinnerung gibt an diesen Menschen. | |
| Sie kennen normalerweise die Leute nicht persönlich, die Sie als Clown | |
| besuchen. Wie bekommen Sie es trotzdem hin, schnell die richtige Stimmung | |
| zu schaffen? Haben Sie einen Requisitenkoffer dabei, aus dem Sie bei Bedarf | |
| die passenden Dinge ziehen? | |
| Wenn ich Kinderkliniken besuche, habe ich Dinge wie Luftballons und | |
| Handpuppen dabei. Wenn jemand sehr scheu ist, dann zeige ich mit einer | |
| Kollegin [4][erst mal eine Clownswelt]. Und schaue dann, wie wir zur | |
| Kommunikation einladen können. In einem Zimmer mit 4-Jährigen kommt derber | |
| Humor an, Pupswitze, Verstecken. Im nächsten Zimmer liegen 16- oder | |
| 17-Jährige, da braucht man vielleicht nur ein Handy, um einen Contest zu | |
| inszenieren. Für eine klassische Rot-Weiß-Show braucht man eigentlich nur | |
| zwei Clowns: Der rote schummelt, benimmt sich daneben und testet Grenzen | |
| aus, und der weiße muss das Spiel zusammenhalten. | |
| Rote und weiße Clowns? | |
| Rot und Weiß ist die Kraft zwischen Clowns, die man bei vielen berühmten | |
| Paaren findet: Ernie und Bert, Dick und Doof. Im klassischen Zirkus ist es | |
| der melancholische Pierrot und der dumme August. Abstrakt gesehen geht es | |
| um das Theaterprinzip Push und Pull. Ein Spielprinzip, um das Gegenüber | |
| ins Spiel zu bekommen. Wenn wir mit Älteren singen, dann sind sie ganz wach | |
| im Augenblick, das gelingt auch mit Menschen, die schon sehr weit in sich | |
| versunken sind. [5][Gerade demenziell veränderte Menschen] haben eine | |
| Affinität zu Clowns, diese Generation kennt nur positiv besetzte Clowns. | |
| [6][Die Horrorclowns] aus Filmen haben dem Beruf sicher geschadet … | |
| Ja, die Clownsfigur lädt überhaupt zu allerhand Missverständnissen ein. | |
| Neulich habe ich bei einem Workshop wieder gehört: Manche Menschen werden | |
| eben mit so einer Leichtigkeit geboren! Das ist Quatsch. Ein Clown zu sein | |
| ist keine angeborene Wesensart, sondern eine Kommunikationstechnik, die man | |
| lernen kann. Ich selbst bin weder ein besonders lustiger noch lockerer | |
| Mensch. Ich habe halt im Lauf meines Berufslebens gelernt, in kürzester | |
| Zeit mit den allermeisten Menschen eine intensive Beziehung herzustellen, | |
| sei es mit Musik, einem kleinen Zaubertrick, ein paar Tanzschritten oder | |
| einer Umarmung. | |
| Die Clownsfigur löst auch Abwehr aus. Als meine verstorbene Tante auf der | |
| Demenzstation Besuch von einer Clownin bekam, die Ballons zu Tieren formte, | |
| fanden das alle lustig, nur sie zischte: Die soll weggehen mit ihrer roten | |
| Nase. Wie erklären Sie sich, dass Clowns so polarisieren? | |
| Ich glaube, es kommt darauf an, ob die Figur angemessen eingesetzt wird. | |
| Ich kenne fantastisch ausgebildete Clowns, aber auch Menschen, die ins | |
| Fettnäpfchen treten und das selbst nicht merken. Bei Ihrem Beispiel hat die | |
| Kollegin offensichtlich nicht gespürt, dass diese Luftballonkneterei für | |
| die betagte Frau nicht angemessen war. Das fand die vielleicht kindisch. Es | |
| gehört zum Beruf, zu spüren: Wie nah darf ich ran? Das Gegenüber | |
| entscheidet, wie weit es geht. Wenn ich diese Resonanz nicht spüre, bin ich | |
| falsch. | |
| Haben Sie auch schon mal eine Grenze überschritten? | |
| Sicher. Und dann ist es an mir, das mitzukriegen und um Entschuldigung zu | |
| bitten. Auch dafür haben wir dieses Prinzip von Rot und Weiß. Die Weiße | |
| muss erkennen, wenn der Rote zu weit gegangen ist, und sagen, Andreas, das | |
| war ein bisschen dolle gerade. Wir sind ja keine Faschingsfiguren, sondern | |
| machen das beruflich. Ich hab natürlich ein Clownskostüm mit Hosenträgern, | |
| aber das ist sehr dezent. Meine Nase ist nur rot geschminkt, | |
| Senior:innen und Kinder mögen das in aller Regel. Ich habe | |
| zweieinhalbtausend Clownbesuche gemacht in 20 Jahren, in Einrichtungen mit | |
| Tausenden von Menschen, und ja, es gab auch mal ein schreiendes Kind, da | |
| ist es mir nicht gelungen, Nähe und Distanz ausreichend zu gestalten, wie | |
| es meine Aufgabe ist. | |
| Als Humortrainer werden Sie auch von Unternehmen engagiert. Wie gehen Sie | |
| damit um, dass Ihr Publikum nicht unbedingt freiwillig da ist? | |
| Vielfach nehmen Mitarbeiter:innen verpflichtend an den Workshops teil. | |
| Wenn ich zum Beispiel beim Träger eines Seniorenzentrums engagiert bin, | |
| dann kann es sein, dass da eine Kollegin sitzt mit 30 Jahren | |
| Berufserfahrung in der Pflege, die denkt: [7][Es wird alles immer | |
| schlimmer], und jetzt schicken sie mir einen Clown?! Ihr muss ich | |
| klarmachen, dass es nicht darum geht, künstlich zu lachen oder Wellness in | |
| einem problematischen Arbeitsumfeld zu liefern. Sondern dass wir uns | |
| gemeinsam vergegenwärtigen, worum es uns eigentlich geht. Um das, was uns | |
| Menschen im Alltag immer wieder verloren geht: bestimmte Rituale wie | |
| zusammen essen, regelmäßig den Austausch pflegen. Viele finden in den | |
| Workshops Entlastung, manchmal fließen Tränen. Nach Corona saßen da | |
| Pflegedienstleitungen, die zum ersten Mal in einem lockeren Austausch | |
| darüber sprechen konnten, wie sie bestimmte Situationen ausgehalten haben. | |
| Klinikleitungen setzen Clowns ein, um ein besseres Miteinander zu schaffen | |
| – wirksamer wäre wohl ein verbesserter Personalschlüssel. | |
| Clowns sind nicht die Lösung, aber sie sind ein Impuls, der wertvoll sein | |
| kann, wie auch Tiere in Kliniken und andere Angebote, die Menschen auf | |
| nichttherapeutischer Ebene erreichen und eine bessere Atmosphäre schaffen. | |
| Und das ist doch was! | |
| 6 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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