# taz.de -- Clowns im Krankenhaus: Scheitern als Aufgabe | |
> Als Clownin Pölli holt Kristina Müller Kinder für kurze Momente aus ihrem | |
> tristen Klinikalltag heraus. Sich selbst hat sie damit vom Anspruch | |
> befreit, immer perfekt sein zu müssen. | |
Bild: Wenn sie selbst mal Unterstützung brauchen, dann besucht die Klinikclown… | |
HAMBURG taz | Vorsichtig tastet Lara* die Hand von Pölli ab. Erst den | |
Handballen, dann fährt sie mit ihren kleinen Fingern in die Lücke zwischen | |
Daumen und Zeigefinger. Der Ball, von dem Clownin Pölli eben noch | |
gesprochen hat, ist einfach nicht zu finden. Verdutzt schaut sich die | |
Sechsjährige im Krankenzimmer um. „Der Zauberball ist unsichtbar“, flüste… | |
Pölli. „Nimm ihn und wirf ihn hier rein!“ Lara holt aus, schleudert den | |
unsichtbaren Ball durch die Luft – dann rappelt es in der Tüte, die Pölli | |
in den Händen hält. Vorsichtig greift sie hinein und holt eine Zitrone | |
hervor. „Lara, du bist ja eine echte Zauberin!“, ruft die Clownin und | |
reicht Lara die Zitrone. Das Mädchen lächelt zaghaft. | |
## Raus aus der Trostlosigkeit | |
Kinder für einen Moment aus dem trostlosem Klinikalltag herauszureißen ist | |
die Aufgabe von Kristina Müller. Seit zwölf Jahren arbeitet sie als | |
Klinikclownin Pölli und besucht jeden Dienstag die Mädchen und Jungen auf | |
der Krebsstation der Kinderklinik des Hamburger Universitätsklinikums | |
Eppendorf (UKE). Finanziert wird ihre Arbeit vom gemeinnützigen Verein | |
„Klinik-Clowns Hamburg“ durch Spenden und Sponsoring. | |
Die 48-Jährige ist Geschäftsführerin des Vereins und für die Akquise der | |
notwendigen Gelder zuständig. Mit dem Honorar, das sie mit ihrer halben | |
Stelle als Geschäftsführerin verdient, kann sie sich finanzieren. Die | |
Clowns-Visiten allein reichen nicht. „Alle unsere Klinikclowns haben noch | |
andere Jobs. Von der Clownerie alleine kann man nicht leben“, sagt sie. | |
Dass Müller Klinikclownin wurde, war Zufall. Vor 13 Jahren arbeitete die | |
Frau mit dem kurzen blonden Haar und der Zahnlücke zwischen den | |
Schneidezähnen noch als Taxifahrerin. Eher eine Notlösung, weil sie die | |
Prüfung zur Fahrschullehrerin nicht bestanden hatte. „Als Taxifahrerin habe | |
ich spannende Menschen kennengelernt und viel über deren Leben erfahren. | |
Mir ist aber gleichzeitig bewusst geworden, dass das nicht das Leben war, | |
das ich mir erträumt hatte“, erzählt sie. „Ich bin orientierungslos umher | |
geschwommen, während alle anderen um mich herum Karriere gemacht haben und | |
ich habe mich gefühlt wie eine Versagerin.“ | |
Mit einem Nebenjob im Kindergarten verdiente sie sich damals ein paar Euro | |
dazu. Auf einem Sommerfest des Kindergartens begegnete sie dann zum ersten | |
Mal einem weiblichen Clown – einer Tölpelin, die nichts auf die Reihe bekam | |
und an ihren eigenen Tricks scheiterte. „Aber die Kinder haben diesen Clown | |
geliebt, eben weil er nicht perfekt war. Das hat mich fasziniert!“, | |
erinnert sich Müller. Schließlich sprach sie die Clownin an und zwei Wochen | |
später begleitete sie sie bei deren Visite im Altonaer Kinderkrankenhaus in | |
Hamburg – erst als unbeteiligte Zuschauerin, dann machte sie einfach mit. | |
„Ich hatte zum ersten Mal die Erlaubnis, nicht perfekt sein zu müssen. | |
Scheitern ist ja sozusagen die Aufgabe eines Clowns“, sagt Müller und | |
schiebt ihre rote Clownsnase zurecht. „Als Kristina werde ich immer | |
beurteilt. Als Clown macht mir das nichts aus, weil ich eine Rolle spiele. | |
Wenn die Kinder mir sagen, wie dick ich doch sei, dann sage ich als Pölli | |
,Super, oder?‘ Als Kristina kann ich das nicht so leicht wegstecken.“ Nach | |
einer Fortbildung zum Klinikclown in Hannover wurde aus Kristina Müller | |
Clownin Pölli. | |
## Halt auf der Kinderstation | |
Heute arbeitet Pölli mit ihrer Kollegin Brezel zusammen und gemeinsam | |
schlurfen sie durch den langen Krankenhausgang des UKE. Türöffner summen, | |
das grelle Krankenhauslicht leuchtet von der Decke und ein Hauch von | |
Reinigungsmitteln liegt in der Luft. Ein rotes Bobbycar zeugt davon, dass | |
hier die Kinderstation ist. Bei Zimmer 33 machen Pölli und Brezel Halt. | |
Der fünfjährige Tim* liegt ruhig in seinem Bett. Er hat heute keine Lust zu | |
spielen, die Zeichentricksendung im Fernsehen findet er spannender. Doch | |
seine Mutter winkt die Clowninnen herein. Sie ist gegen die | |
Dauerberieselung aus dem Fernseher und erzählt, dass Tim sehnsüchtig auf | |
sein Mittagsessen warte – Chicken Wings soll es geben. Pölli kramt ihre | |
Ukulele hervor und beginnt zu spielen. „Manch einer denkt vielleicht es | |
stinkt – aber es riecht so schön nach Chicken Wings“, singt sie und muss | |
über ihren Reim lachen. | |
Brezel holt zwei Rasseln aus ihrer Hosentasche und bewegt sie im Takt, erst | |
rechts, dann links, dann wieder rechts. Die Clowninnen tanzen und singen, | |
Tim hat sich mittlerweile auf den Schoß seiner Mutter gesetzt und klatscht | |
begeistert in die Hände. „Jetzt ist Schluss“, sagt Pölli schließlich und | |
verabschiedet sich von Tim mit den Worten „Ciao Kakao“. | |
2002 wurde der Verein [1][„Klinik-Clowns Hamburg“] gegründet, und heute | |
gehören zwölf Klinikclowns zum Verein. In allen Hamburger | |
Kinderkrankenhäusern und in vielen Kinderstationen der anderen | |
Krankenhäuser sind mittlerweile Klinikclowns unterwegs. Denn dass Lachen | |
nicht nur Spaß macht, sondern auch positive Auswirkungen auf den Körper | |
hat, zeigen zahlreiche Studien. So kann durch Lachen nicht nur ein | |
positives Lebensgefühl aufgebaut werden, auch das Herz und das Immunsystem | |
sollen gestärkt werden. | |
Doch nicht jedes Kind möchte von den Clowninnen besucht werden. „Einige | |
Kinder sind zu alt oder an manchen Tagen einfach nicht in der Stimmung, mit | |
uns zu lachen. Das müssen wir dann auch akzeptieren“, sagt Müller. Deswegen | |
sprechen die beiden vorher mit den Krankenhaus-Pädagogen, um zu erfahren, | |
wer heute lieber in Ruhe gelassen werden sollte. | |
Auch Müller ist nicht jeden Tag zum Lachen zumute – etwa wenn es eines der | |
Kinder nicht geschafft hat. „Aber ich weiß, dass ich nicht mit jedem Kind | |
mitsterben kann. Ich habe hier eine Aufgabe und muss meine eigenen Gefühle | |
im Griff haben, so schwer es fällt.“ | |
Einmal, erzählt Müller, sei sie in ein Zimmer gekommen und ein Mädchen habe | |
regungslos im Bett gelegen. Sie habe ihre Ukelele herausgeholt und | |
„Somewhere over the rainbow“ gesungen. „Das Kind lag im Sterben und die | |
ganze Familie saß um sie herum. Zum Schluss haben alle ganz leise | |
mitgesungen“, erinnert sie sich. | |
## Von der Clownin lernen | |
Für heute haben Pölli und Brezel ihre Visite beendet. In ihren übergroßen | |
Schuhen gehen sie die Treppenstufen zum Aufenthaltsraum hinunter. Die | |
Clownsnase abgelegt, den blauen Kittel ausgezogen, mit dem Abschminktuch | |
durchs Gesicht – schon hat sich Pölli zurück in Kristina Müller verwandelt. | |
Doch ein wenig von dem Dasein als Clownin nimmt Müller mit in ihren Alltag. | |
„Durch meine Rolle als Pölli bin ich viel selbstbewusster geworden und mir | |
ist nicht mehr so wichtig ist, was andere über mich denken“, sagt sie, und | |
einen Moment später ergänzt sie: „Aber es hat auch etwas Beruhigendes, dass | |
man sich hin und wieder hinter dieser kleinen Maske verstecken kann.“ | |
*Name geändert | |
9 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.klinik-clowns-hamburg.de/ | |
## AUTOREN | |
Marie Fleischhauer | |
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