# taz.de -- Klinikclown über seine Arbeit: „Ich bin ein Gefühlsteiler“ | |
> Klinikclown Andreas Bentrup findet, dass nicht das Lachen das Wichtigste | |
> ist. Sondern die Fähigkeit, die Gefühle der Menschen zu spiegeln. | |
Bild: Neue Perspektiven schaffen: Auftritt von Klinikclown „Tiffy“ in einem… | |
taz: Herr Bentrup, was bedeutet Humor für Sie? | |
Andreas Bentrup: Humor und Lachen kommen gleich nach Atmen und Schlafen. | |
Wenn ich morgens aufwache, lache ich meist erst mal sinnentleert. | |
Warum? | |
Weil mein Gehirn sonst Quatsch denkt. Ich habe verschiedene Glaubenssätze | |
aus meiner Kindheit. Die sind hartnäckig und denken morgens beim Aufwachen | |
negative Dinge wie: „Du musst noch“, „Du musst mal mehr“, „Gestern ha… | |
schon wieder nicht“ und „Streng dich mal ein bisschen an“. Aber in dem | |
Moment, wo ich grinse, fängt mein Gehirn an, damit aufzuhören, negativ zu | |
denken. | |
Inwiefern hilft uns Humor während der Pandemie? | |
Entwicklungsbiologisch haben wir drei Möglichkeiten, mit herausfordernden | |
Situationen umzugehen. Wir können verrückt werden, uns tot zu stellen, oder | |
drüber lachen. Humor ist auf jeden Fall das Gesündeste. | |
Inwiefern? | |
Wenn wir über Humor sprechen, meine ich nicht nur das Lachen, sondern vor | |
allem den Perspektivwechsel (wie die Pointe bei einem Witz): Wie gelingt es | |
mir, einen Blick auf eine Herausforderung zu gewinnen, der mich in eine | |
lösungsorientiertere Haltung bringt? Humor erleichtert diesen Prozess. | |
Wie genau machen Sie das, als Klinik- und Hospizclown? | |
Zunächst bin ich ein Gefühlsteiler. Wenn ich in der Klinik bin, im | |
Seniorenzentrum, im Hospiz oder überall da, wo Menschen mit besonderen | |
Herausforderungen leben, dann gilt es zunächst, die Situation so zu nehmen, | |
wie sie ist. Wenn ich dir in einer bestimmten Emotion begegne, werde ich | |
zunächst deine Körpersprache spiegeln, um dir zu zeigen: „Ich nehme dich | |
ernst. Du darfst hier so sein, wie du bist.“ Erst danach lade ich dich dazu | |
ein, eine neue Perspektive zu gewinnen. | |
Ein Beispiel? | |
Wenn du ein vierjähriger Junge bist, der gerade einen Autounfall hatte, | |
werde ich zum Beispiel fragen: „Sag mal, wie geht’s jetzt dem Auto? Ist das | |
kaputt oder tut’s dem weh? Kümmert sich irgendjemand darum?“ In dem Moment | |
wirst du abgelenkt von deinem eigenen Schmerz und ihn nicht mehr so sehr | |
empfinden. Das nennt man provokative Intervention. | |
Und wie machen Sie das im Seniorenheim? | |
Ich mache erst mal eine Rahmung. Ich werde sozialer Gastgeber sein, um | |
deine Emotionen einzubetten und sie dann zu verwandeln. Im Seniorenzentrum | |
gibt es manchmal Bewohner, die nur schimpfen. Die sitzen im Foyer und | |
sagen: „Alles scheiße hier. Pflegerinnen scheiße, alles scheiße.“ Dann | |
setze ich mich neben sie und mache mit – hemmungslos: „Was für ’nen | |
Pissdreck hier.“ Ich steigere das Ganze noch, damit sie sich ernst genommen | |
fühlen. | |
Wie reagierten diese Menschen? | |
Wenn ich sie später wiedertreffe, sind sie entspannt, weil sie einen Moment | |
lang jemanden hatten, der mitmachte, statt zu sagen: „Das kannst du doch | |
nicht machen! So schlimm ist es doch gar nicht.“ Aber wenn ich sage: „Es | |
ist doch gar nicht so schlimm“, nehme ich dein Gefühl nicht ernst. Wenn ich | |
dagegen sage: „Sie sind hier ganz allein, niemand hat Zeit für Sie und das | |
ärgert Sie, das verstehe ich.“ Dann sage ich vielleicht: „Ich habe etwas | |
Zeit für sie. Haben Sie Lust auf Musik? Mir fällt gerade ein Lied ein: Du, | |
du liegst mir am Herzen …“ Dann verändert sich die Situation. Aber der | |
Grundeinstig ist, dass ich die Menschen ernst nehmen muss. | |
Welche Rolle spielen Ihre eigenen Gefühle? | |
Ich bin auch als Clown zu 100 Prozent Andreas. Als Schauspieler habe ich | |
aber gelernt, meine Gefühle schnell abzurufen. Wenn du also Angst hast, und | |
ich gehe mit dir in eine ängstliche Haltung, wirst du auch meiner Angst | |
begegnen. Das ist wichtig. Sonst würdest du spüren, dass ich nicht | |
authentisch bin. Dann würdest du dich verschaukelt fühlen, was nicht mein | |
Ziel ist. | |
Sondern? | |
Ich möchte mich nicht über Menschen lustig machen, sondern ihre Gefühle | |
teilen. Das Ziel ist nicht unbedingt zu lachen, sondern zu wissen: Alle | |
Gefühle sind gut, wenn sie angemessen im sozialen Kontext geäußert werden | |
können. Dazu haben Menschen oft nicht die Chance. Wenn ein Gefühl aber | |
nicht geäußert wird, verstärkt es sich von selbst. Ich helfe, diese | |
Blockaden zu lösen. | |
Funktioniert das trotz der Kontaktbeschränkungen der Pandemie? | |
Die Kontaktbeschränkungen bedeuten natürlich viel Abstand und eine | |
zusätzliche Maske, den Mundschutz. Clown:innen in Kinderkliniken lösen | |
das, indem sie hautfarbene Mundschutze mit aufgemaltem Lächeln tragen und | |
eine Schaumstoffnase obendrauf. Viele Kliniken haben aber auch gesagt, wir | |
müssten draußen bleiben. | |
Wie haben Sie das gelöst? | |
Oft gibt es die Möglichkeit, über die Fluchttreppen auf die Balkone vor den | |
Zimmern zu kommen. 80 Prozent der zwischenmenschlichen Kommunikation sind | |
Körpersprache. Also brauche ich nicht unbedingt gehört zu werden. Gute | |
Klinikclowns reden ohnehin nicht viel. Außerdem sind Klinikclowns meist zu | |
zweit. Wir können unsere Clownswelt also auch aus der Ferne vorführen. Du | |
darfst dann erst mal zugucken. Das ist vor allem bei kleinen Kindern gut, | |
die oft scheu und zurückhaltend sind durch die Situation der Klinik oder | |
des Schmerzes. | |
1 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Hagen Gersie | |
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