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# taz.de -- Forschung über Humor: Wenn das Über-Ich Pause hat
> Lachen verbindet und kann ausgrenzen. Aber warum lachen wir überhaupt und
> was passiert dabei im Körper? Und warum lässt es sich schwer
> kontrollieren?
Bild: Totaler Kontrollverlust: Beim Vorlesen der Fernsehnachrichten bekam Sprec…
Zuerst ist da ein tiefes Glucksen. Susanne Daubner steht an jenem Morgen im
September wie immer vor dem blauen ARD-Hintergrund, im pinkfarbigen Kostüm.
Vor ihr die neuesten Nachrichten, die sie gleich vorlesen soll. Aber statt
mit der „Tagesschau“ zu beginnen, muss Daubner lachen. „Einen schönen gu…
Morgen“, sagt sie leicht gepresst, und schiebt „meine Damen und Herren“
hinterher. Das letzte Wort geht in ein Prusten über. Daubner beugt sich vor
Lachen nach vorne, richtet sich auf und nuschelt „Schuldigung“.
Sollte die erfahrene Sprecherin tatsächlich die Fassung verlieren? Das will
sie wohl selbst nicht glauben. Sie schüttelt sich kurz. „Bundeskanzler
Scholz trifft sich …“ Und sie prustet wieder los. „Es tut mir jetzt echt
leid.“ Sie wischt sich eine Träne vom Auge. „Och, Mann.“ Man hört ein
leises Wimmern. Leicht benommen schaut sie in die Kamera und sagt in bemüht
seriösem Ton: „Bundeskanzler Scholz trifft sich heute im Kanzleramt mit
Vertretern der deutschen Chemieindustrie, um über die Zukunft der Branche
zu beraten …“ Wieder schnaubt Daubner vor Lachen, hält die Hand vor die
Nase. „Nein, ich krieg das, ich muss es …“ Erst dann kann sie sich wieder
fangen.
Es war der Lachanfall des Jahres 2023. Das [1][Video von Susanne Daubners
unverhofftem Heiterkeitsausbruch] am frühen Morgen wurde millionenfach
aufgerufen. Zehntausende likten es, Daubner erhielt viel Zuspruch. Lachen
ist ansteckend, vermutlich hatte die Nachrichtensprecherin – ungewollt –
für sehr viel gute Laune bei den Zuschauer*innen gesorgt.
Was aber war in diesem Moment eigentlich passiert, warum konnte sich
Daubner nicht beherrschen? Oder anders gefragt: Warum lachen Menschen, und
was geschieht dabei in ihrem Körper, in ihrem Kopf?
Genau das will die Gelotologie, die Lachforschung, ergründen. Über Komik
und Humor haben sich sehr viele namhafte Theoretiker Gedanken gemacht –
schon Aristoteles, aber auch Kant, Nietzsche, Bergson, Freud. Die
Lachforschung gibt es als Disziplin dagegen erst seit ein paar Jahrzehnten,
zuvor hatte man offenbar Sorge, sich damit lächerlich zu machen. Inzwischen
befassen sich Wissenschaftler*innen ganz unterschiedlicher
Fachrichtungen mit dem Lachen, aus der Psychologie, aus der Neurologie, der
Soziologie oder den Kulturwissenschaften.
Lachen ist ein komplexes Phänomen. Es reicht vom Lächeln, der kleinen,
sanften Form des Lachens, bis zum Lachanfall. So ein Lachflash kann einen
Menschen völlig vereinnahmen, er macht ein bewusstes Agieren vorübergehend
unmöglich. Darin gleicht das Lachen dem Weinen: Beide lassen sich nur
begrenzt kontrollieren.
Schon was beim Lachen physisch passiert, ist vielschichtig. Der wichtigste
Muskel ist das Zwerchfell, es zieht sich beim Lachen ruckartig zusammen, es
hüpft sozusagen – was auch erklärt, warum Lachende „hahaha“ machen. Die
Atmung beschleunigt sich, mehr Sauerstoff gelangt in die Lunge und ins
Blut. Auch das Herz schlägt schneller. Der Kehlkopf wird angeregt, die
Tränendrüsen werden aktiviert und die Blutgefäße geweitet.
„Die Herztätigkeit wird bei einem intensiven Lachen so stark angeregt wie
bei einer anstrengenden sportlichen Betätigung“, sagt Michael Titze. Er ist
Psychoanalytiker und Therapeut und forscht seit Jahrzehnten zum Lachen.
Nach einer Weile verlangsame sich der Herzschlag beim Lachen dann merklich,
sagt Titze, die Muskeln entspannten sich wieder. Diese Entspannung könne
stark sein und alle Muskeln betreffen, auch die Schließmuskeln – was
erklärt, warum manche sich vor Lachen in die Hosen machen.
Lachen verändert auch die Mimik. Muskeln in den Wangen heben die
Mundwinkel, kreisförmige Muskeln rund um die Augen sorgen für die typischen
Lachfältchen in den Augenwinkeln. An ihnen erkennt man, ob ein Lächeln oder
ein Lachen echt ist oder künstlich, sagt Michael Titze. „Der
Augenringmuskel kann, im Gegensatz zum Wangenheber, nicht bewusst
kontrolliert werden. Täuscht man ein Lächeln vor, fehlen die Fältchen um
die Augen.“ Ob ein Lachen echt sei oder nicht, merkten die meisten
allerdings auch so schnell. „Menschen verfügen über eine intuitive
Fähigkeit, die Wertigkeit eines Lachens oder eines Lächelns einzuschätzen.“
Susanne Daubners Lachen war echt, das wusste man als Zuschauerin
tatsächlich schon beim ersten Glucksen, das von ganz tief unten zu kommen
schien.
Auch wenn Lachen eine ganzheitliche körperliche Erfahrung ist: Es beginnt
im Gehirn. Was genau im Kopf passiert, dazu hat Barbara Wild, Fachärztin
für Neurologie und Psychiatrie, geforscht. Wobei die Erkenntnisse
lückenhaft sind. Eine übliche Methode zur Untersuchung von
Gehirnaktivitäten sind MRTs, also Magnetresonanztomographien, bei der die
Proband*innen in eine Röhre geschoben werden. Allerdings muss man
während der Untersuchung still liegen – was beim Lachen praktisch unmöglich
ist.
Barbara Wild und ihr Team haben daher das Lächeln untersucht. Sie haben
Proband*innen im MRT Cartoons mit witziger Pointe gezeigt. Während der
Untersuchung filmten sie ihre Gesichter. „So konnten wir beobachten, wie
sich die Mimik verändert“, sagt Wild.
## Witze deaktivieren die Mimik
Sie stellten fest, dass bei der Reaktion auf einen Witz eine Vielzahl von
Hirnregionen beteiligt ist: Gebiete, die beim Hören und Sehen aktiv sind,
bei der Sprachverarbeitung, das Arbeitsgedächtnis. Aber auch Hirnregionen,
die wichtig sind, um sich selbst zu beurteilen, um Bedeutungen im
übertragenen Sinn zu verstehen oder die Absichten anderer Menschen zu
erkennen. Interessant dabei ist, dass der Teil des Gehirns, der
normalerweise die Mimik kontrolliert, durch den Witz deaktiviert wurde: Das
Lächeln auf den Gesichtern der Proband*innen erschien also
unwillkürlich, es unterlag nicht ihrer Kontrolle.
„Witze lösen nicht nur kognitive Reaktionen aus, sondern auch Emotionen“,
sagt Barbara Wild. Auch das konnte sie auf den MRT-Bildern der Gehirne
sehen. Andere Studien hätten zudem gezeigt, dass beim Lachen Endorphine
ausgeschüttet werden. „Die Menschen empfinden dann weniger Schmerz“, sagt
Wild. Das Fazit der Neurologin: „Es ist schon überraschend, wie viele
Hirnregionen aktiv sind.“
Man kann die Frage, was eigentlich beim Lachen im Kopf passiert, auch
anders beantworten als neurologisch, aus psychoanalytischer Perspektive.
Michael Titze etwa sagt, dass bei einem echten Lachen der Verstand seine
Kontrollfunktion verliere. „Echtes Lachen baut sich wie von selbst auf, es
entsteht spontan, um dann einen eigenen Weg zu finden, der keinerlei Regeln
folgt.“ So ein Lachen setze sich über die Barrieren des Verstands
hemmungslos hinweg.
Sigmund Freud erklärte das so: Humor und Witz würden die erstarrten Fronten
zwischen Über-Ich und Ich auflockern. „Wir kennen das Über-Ich sonst als
gestrengen Herrn“, schreibt er. Im Humor aber werde es nachsichtig, es
spreche „liebevoll tröstlich zum eingeschüchterten Ich“. Im Witz breche d…
im Unbewussten gestaute Energie überraschend aus und überrumple die
Herrschaft des Bewusstseins. Die psychische Situation werde entkrampft, was
der Mensch als einen „humoristischen Lustgewinn“ erlebe. Sprich: Lachen tut
gut.
Lachen hat etwas Archaisches. Woher aber kommt es, wie ist es entstanden?
Michael Titze verweist dafür auf die Zeit vor rund 40.000 Jahren, als der
Homo sapiens sich in Europa verbreitete. Damals habe es viele Anlässe für
Stress gegeben, bei der Jagd, bei Kämpfen. Wenn sie gewannen, lachten die
Menschen. „Durch das Lachen wurde kommuniziert: Es ist alles gut. Die
Gefahr ist gebannt.“
Auch sich balgende Kinder lachen häufig. Solche Spiele seien bei
Säugetieren seit jeher eine Übung der Selbsterhaltung, sagt Titze. Das
Lachen zeige dabei an, dass Bisse und Schläge nicht ernst gemeint sind.
„Auch hier wird signalisiert: Es ist alles gut.“
Lachen sei ambivalent, sagt Titze, es könne auch bedrohlich wirken. „Für
die Sieger ist es ein grandioser Moment, wenn sich die Spannung löst, das
Lachen ist dann Ausdruck von Stärke und Überlegenheit. Für den Besiegten
ist es dagegen ein Zeichen der Unterlegenheit.“
Lachen verbindet. Es stärkt die Gemeinschaft derer, die gemeinsam lachen.
Die Kehrseite: Lachen kann auch [2][ausgrenzend wirken] – wenn andere nicht
mitlachen können oder ausgelacht werden.
Das sei beim Lächeln anders, es habe nichts Aggressives und funktioniere
fast durchgängig als „Schmiermittel für soziale Beziehungen“, wie Titze es
beschreibt. Durch Lächeln entstünden Bindungen, zwischen dem Säugling und
der Mutter, zwischen Familienangehörigen und Freunden. Es wirkt aber auch
unter Fremden, denen man auf der Straße begegnet: „Wenn mich jemand
herzlich anlächelt, dann macht das etwas mit mir.“
Lachen ist also ein Ausdruck von Spannungslösung, es dient der
Kommunikation. Das erklärt aber noch nicht, warum wir über manche Dinge,
Situationen, Menschen oder Texte lachen, über andere hingegen nicht. Was
macht Komik aus?
## Abweichung vom Gewöhnlichen
Mit dieser Frage haben sich in der Humortheorie schon sehr viele
beschäftigt. Ein wichtiges Motiv ist hier die „Inkongruenz“: Wann immer
Welten oder Bereiche aufeinanderprallen, die eigentlich nicht zueinander
passen, wann immer es Abweichungen vom Gewöhnlichen gibt und logische oder
moralische Brüche auftreten, kann das Lachen auslösen.
„Bei der Inkongruenz treffen zwei Botschaften aufeinander, die
widersprüchlich sind und eigentlich nicht zusammengehören“, sagt
Lachforscher Michael Titze. Viele Humorist*innen und Comedians arbeiten
mit diesem Stilmittel. Beispielsweise [3][Loriot], bei dem Erwachsene
streiten wie Kinder („Ich bade immer mit dieser Ente!“). Auch die Sketche
von Mister Bean funktionieren nach diesem Prinzip: Mister Bean ist ein
Erwachsener, der sich wie ein Kind verhält und dabei gegen die Regeln der
Erwachsenen verstoße, erklärt Titze. „Für Menschen, die angepasst sind und
Angst haben, etwas falsch zu machen, kann das sehr befreiend sein.“
Die Titel der taz nutzen ebenfalls das Stilmittel der Inkongruenz. Etwa „Es
ist ein Mädchen“ von 2005, nach der Wahl Angela Merkels zur
Bundeskanzlerin. In dieser Zeile vermischen sich zwei maximal entfernte
Sphären: eine sehr private im Duktus einer Geburtsanzeige und eine
öffentliche, staatstragende, nämlich die Nachricht, wer die Wahl gewonnen
hat. Im selben Jahr, als Joseph Ratzinger Papst wurde, titelte die taz „Oh,
mein Gott!“. Dieser lapidare umgangssprachliche Ausruf drückte das
Entsetzen aus, das viele angesichts dieses Papstes empfanden und brach mit
dem Pathos, das mit seiner Amtsübernahme ansonsten einher ging. Eine
Erleichterung, dank der Verbindung zweier Sprechweisen, die eigentlich
überhaupt nicht zueinander passen.
Auch bei Susanne Daubners Lachanfall prallten zwei Welten aufeinander: die
seriöse „Tagesschau“ und die plötzlich gar nicht mehr seriöse, sondern s…
menschlich giggelnde Sprecherin. Vermutlich musste Daubner nach ihrem
ersten Glucksen deshalb auch über sich selbst lachen – und über die
Situation, in die sie sich gebracht hatte.
## Lachen kann auch trennen
Das Lachen über Inkongruenzen hat, wie beim Siegerlachen, wieder einen
sozialen Effekt: Wenn man Inkongruenzen gemeinsam erkennt, die Bezüge
ähnlich versteht, verbindet das. Oder umgekehrt: Wer den Witz nicht
kapiert, bleibt außen vor.
[4][Lachen trennt und verbindet], es löst Spannungen, relativiert und kann
gar eine kathartische Wirkung haben. Freud schreibt: „Der Humor hat nicht
nur etwas Befreiendes […], sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes.“
Das Großartige liegt Freud zufolge in der „siegreich behaupteten
Unverletzlichkeit des Ichs“. Man könnte auch sagen: Wer über sich selbst
und die eigenen Probleme lachen kann, dem geht es schon nicht mehr ganz so
schlecht. Bei Freud klingt das so: „Das Ich verweigert es, sich durch die
Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es
beharrt dabei, daß ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahe gehen können,
ja es zeigt, daß sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind.“
Wer es schafft, über Probleme zu lachen, hat schon eine gewisse Distanz
dazu, eine andere Perspektive darauf. Lachen hilft, Ängste oder Sorgen ein
Stück von sich wegzurücken und das Leben für einen Moment nicht so schwer
zu nehmen.
Es geht nicht darum, Leid zu leugnen. Aber das Lachen bietet eine Chance,
ihm zu entkommen – zumindest kurzzeitig.
Lachen lässt sich erforschen, kontrollieren lässt es sich häufig nicht. Es
bleibt bei aller Analyse eine archaisch anmutende Regung, die die Lachenden
im Nachhinein auch nur schwer erklären können.
Susanne Daubner hat nach ihrem Lachanfall ein Interview dazu gegeben. Was
eigentlich passiert war, worüber sie genau lachen musste? Sie habe noch
eine aktuelle Meldung einsortiert, als sie die Stimmen der
Moderator*innen des Morgenmagazins hörte, erzählt sie. „Da dachte ich,
ich bin schon auf Sendung. Und dann hab ich gelacht. Ich konnte es auch
nicht stoppen. Es ist einfach passiert.“
26 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1253766.html
[2] /Autorin-ueber-Judenhass-in-der-Literatur/!5969820
[3] /Ausstellung-zu-Loriots-Hundertstem/!5969167
[4] /Kommunikationswissenschaftler-ueber-Humor/!5876200
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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