Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lachtrainerin Carmen Goglin: Die an der Lachkurbel dreht
> Carmen Goglins Videos haben Kultstatus. Sogar Personalabteilungen bringt
> sie zum Wiehern. Zuvor aber musste sie das Weinen lernen.
Bild: Kuckuck! Mit Lachyogavideos wie „Lachen rund um den Baum“ wurde Carme…
Zuallererst soll es hier um Tränen gehen. Nicht um Lachtränen, sondern um
das Original. Denn mit einem Gefühlsstau hat für Carmen Goglin alles
angefangen. Dass ihr das Weinen mal genauso leicht fallen würde wie das
Lachen, hätte sie lange nicht für möglich gehalten. Viele Jahre habe es
gebraucht, bis ihr klar geworden sei, dass sie die Tränen einfach fließen
lassen könne. Sich gegen den Drang zu wehren, loszuheulen, ließe das
Gesicht anschwellen und die Schläfe pochen. Ein unbequemer Zustand, viel
unbequemer, als hier und da mal [1][ein bisschen zu schluchzen]. Heute
findet Goglin: „Jedes Gefühl ist wichtig, jedes Gefühl darf da sein und
sich ausbreiten.“ Mittlerweile könne sie der Verlockung widerstehen,
einfach anzulachen gegen Emotionen, die ihren rechtmäßigen Platz
beanspruchten. Und das ist wirklich eine Leistung, denn Lachen ist Carmen
Goglins leichteste Übung.
Die 57-Jährige ist Lachyoga-Trainerin und damit enorm erfolgreich. Wohin
man auch zappt oder scrollt, Carmen Goglin lacht: mit Jan Böhmermann im
„ZDF Magazin Royale“, mit Klaas Heufer-Umlauf bei „Late Night Berlin“, …
SAT.1-Frühstücksfernsehen, auf dem Sofa der Youtube-Sendung „World Wide
Wohnzimmer“, in der RTL-Spielshow „Fünf gegen Jauch“ und jeden Tag zusam…
mit ihren 145.000 Follower:innen auf Instagram. Sie lacht auch analog:
auf Weihnachtsfeiern, Junggesell:innenabschieden, Teambuilding-Events, in
Selbsthilfegruppen. Als Lachtrainerin gibt sie TED Talks, hat ihre Memoiren
geschrieben und eine Lachschule im schwäbischen Reutlingen gegründet.
Seit im November 2020 einige ihrer Lachyoga-Übungsvideos viral gingen, ist
Carmen Goglin von heute auf morgen sehr sichtbar geworden. Zwar eher
unfreiwillig und ganz bestimmt nicht in ihrem Tempo, aber inzwischen hält
sie mit der eigenen Popularität Schritt. Und lässt sich ein auf alle
möglichen Anfragen – auch wenn sie oft erst gründlich recherchieren müsse,
um herauszufinden, was von dieser Influencerin oder jenem Twitch-Streamer
zu halten sei, der neuerdings mit ihr kollaborieren wolle.
Während sie das erzählt, sitzt Carmen Goglin auf einem Schreibtischstuhl,
der sehr ergonomisch aussieht und den Stadtwerken Stuttgart gehört. Dort
hat sie aktuell ein Büro. Allerdings nicht, um gute Laune zu verbreiten,
sondern als Interimsmanagerin in der Personalabteilung. Zeitlich befristet
hilft Goglin Unternehmen bei Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Aktuell hat sie
keine Pläne, das aufzugeben und vom Lachen allein zu leben. Stattdessen
genießt sie den Kontrast. Seit 16 Jahren macht sie diesen Bürojob, ist
dafür schon in ganz Deutschland im Einsatz gewesen und generell sehr
gefragt. Das sei nicht immer so gewesen, erzählt sie. Gerade der Beginn
ihrer Selbstständigkeit habe ihr einiges abverlangt. Sie gestand sich kaum
Pausen ein, wollte alles perfekt erledigen. Irgendwann fiel es ihr immer
schwerer, Antrieb zu finden, sie erkannte sich in ihrer Lethargie kaum
wieder.
„Mich nicht mehr auf mich selbst verlassen zu können, hat mir den Boden
unter den Füßen weggezogen“, so beschreibt sie es heute. Goglin wuchs in
der Nähe von Meißen auf, ist also DDR-sozialisiert. Ihr Gemütszustand
widerspricht den Glaubenssätzen, mit denen sie groß wurde: „Immer
funktionieren, immer nützlich sein, bloß niemandem zur Last fallen.“ Auch
wenn die Wende damals, Ende der nuller Jahre, schon einige Jahre
zurückgelegen habe und sie längst in Reutlingen lebte, präge einen das ja.
Ein Arzt diagnostiziert Depressionen, sie nimmt Medikamente und macht eine
Therapie. Doch so richtig besser wird es nicht.
Also sucht sie weiter. Probiert autogenes Training, progressive
Muskelentspannung, Klopfakupressur und entdeckt irgendwann – „wie eine
kleine Insel!“ – Lachyoga. Zum ersten Workshop nimmt sie ihre Tochter mit,
die der Mutter zwischendurch zuraunt: „Sind die hier alle bescheuert?“ Doch
Carmen Goglin spürt beim gemeinsamen Lachen, wenn auch nur kurz, wieder so
etwas wie Glück. Beim Lachen werden Endorphine ausgeschüttet, und dafür ist
es erst mal nicht so wichtig, ob man lacht, weil etwas lustig ist oder weil
eine Übung das so vorgibt.
Im besten Fall funktioniert das „Fake it till you make it“-Prinzip: Das
künstliche Lachen geht irgendwann in echtes, herzhaftes Lachen über. Man
lacht sich in einen kleinen Rausch hinein. Das reduziert Stress und stärkt
das Immunsystem. Was es nicht kann: Depressionen heilen. Und, eben auch
wichtig: Angst, Trauer, Zorn müssen manchmal sein. Ihr habe Lachyoga aber
eine Form der Selbstwirksamkeit wiedergegeben, sagt Carmen Goglin. „Lachen
gilt als etwas Passives. Menschen warten drauf, dass lustige Dinge
passieren oder jemand kommt, der sie zum Lachen bringt.“ Lachyoga habe ihr
gezeigt, dass eine Ressource in ihr schlummere, die sie nur zu aktivieren
brauche.
Das erste Mal seit Langem habe sie sich wieder richtig für etwas begeistern
können. Und wenn Carmen Goglin von etwas begeistert ist, dann sollen das
alle wissen. Also gründet sie ihren eigenen Lachtreff, lässt sich vom
indischen „Guru des Kicherns“, Madan Kataria, in Österreich zur
Lachyoga-Trainerin ausbilden, filmt Übungsvideos und lädt sie bei Youtube
hoch. Sie heißen Lachkurbel (Goglin dreht an einer imaginären Kurbel neben
ihrem Kopf und lacht immer lauter, je schneller sie kurbelt), Gorillalachen
(sie klopft sich auf die Brust und lacht bei jedem Klopfen), oder
[2][Lachen rund um den Baum] (Goglin steht im Wald, lugt abwechselnd links
und rechts neben einem Baumstamm hervor und lacht dabei) und gelten heute
bereits als Internetklassiker. Goglin strahlt darin eine solche
Ungeniertheit und Nonchalance aus, dass man nicht anders kann, als aus
ganzem Herzen mitzulachen oder zumindest mal anerkennend mit den
Mundwinkeln zu zucken.
So oder so ähnlich wird es auch dem Deutschrapper Finch gegangen sein, als
er im November 2020 beschließt, das „Lachen rund um den Baum“ zu
parodieren. Carmen Goglin kann sich erst überhaupt nicht erklären, woher
die Abertausenden von Klicks plötzlich kommen, doch als sie dann auf Finchs
Video stößt, wird ihr heiß und kalt vor Scham. „Die Frau gehört
weggesperrt“, liest sie in der Kommentarspalte. Sie fühlt sich furchtbar
bloßgestellt und missverstanden. „Auf eine Weise hat es mich in meine
Kindheit zurückgeworfen“, erzählt sie. Die älteren Halbbrüder hätten sie
häufig verspottet, Goglin habe meist mit Tränen reagiert und „das führte
dann zu noch mehr Spott“. Als junges Mädchen erlegt sie sich selbst ein
Weinverbot auf, bloß nie wieder Schwäche zeigen, sich nicht angreifbar
machen. Einer der Gründe für den „Gefühlsstau“, von dem sie glaubt, dass…
viele Jahre später ihre Depression auslöste.
Im Zuge des Parodie-Shitstorms muss sie lernen, dass sie keine Kontrolle
darüber hat, wie andere sie wahrnehmen. Dass diese plötzliche Sichtbarkeit
zwar Schmerz mit sich bringt, aber auch eine Chance. Nicht nur Hater kapern
ihre Social-Media-Profile, sondern auch Menschen, die mit ihren Übungen
etwas anfangen können. Sie sträubt sich gegen den Impuls, einfach
aufzuhören, und veröffentlicht nur Tage später das
„Bürostuhl-Schaukel-Lachen“, das „Sich-ins-Fäustchen-Lachen“ und ihren
alljährlichen Lachadventskalender.
Sie bekommt erste Medienanfragen, wird auf der Straße erkannt und bemerkt,
dass die Teilnehmer:innen ihrer mittlerweile auf Zoom stattfindenden
Lachtreffs nicht nur mehr, sondern auch jünger werden. Unter ihren
Instagram-Posts häufen sich heute Nachrichten wie „Schönste Konstante in
meinem Leben“, „Purer Segen“, „Meine Begleiterin in schweren Zeiten.“…
alles nichts helfe, gebe es ja immer noch Carmen Goglin, schließt kürzlich
Miriam Davoudvandi, Host des Mental-Health-Podcasts „Danke, gut“, ihren
Talk mit Bill Kaulitz. Der schreit auf: „Die ist so toll, ich liebe sie
einfach“, und dann steigen Davoudvandi und Kaulitz gemeinsam aufs
[3][Lachmotorrad].
Im Grunde ziehe sich das durch ihr Leben, „dieser Wunsch, Menschen in
Selbstverantwortung zu bringen“. Goglin tat das als Lehrerin in der DDR,
als Selbstständige, wenn sie beim Umbau von Personalabteilungen hilft, und
eben als Lachyoga-Trainerin. Mittlerweile, so erzählt sie, fragten sie
Unternehmen sogar für beides an, Lachen und Lohnbuchhaltung. Sozusagen als
Interimsmanagerin für die Seele? Carmen Goglin lacht.
25 Dec 2023
## LINKS
[1] /Klinikclown-ueber-Pflege-und-Humor/!5944144
[2] https://www.youtube.com/watch?v=ORo8087QVSs
[3] https://www.youtube.com/watch?v=mS1bwSUm_hQ
## AUTOREN
Leonie Gubela
## TAGS
Yoga
Depression
Humor
Weihnachten
Wissenschaft
Humor
TikTok
Yoga
## ARTIKEL ZUM THEMA
Forschung über Humor: Wenn das Über-Ich Pause hat
Lachen verbindet und kann ausgrenzen. Aber warum lachen wir überhaupt und
was passiert dabei im Körper? Und warum lässt es sich schwer kontrollieren?
Komiker Frank-Markus Barwasser: „Humor hilft, Distanz zu halten“
Die Weltlage ist beängstigend. Der Komiker Frank-Markus Barwasser alias
Erwin Pelzig hofft, dass Lachen befreien und Satire aufklären kann.
social-media-Humor: Sry, wir haben 2023!
Worüber wird in sozialen Medien gelacht? Willkommen in der Welt der
Wortwitz-Memes und TikTok-Comedians
„The Sanctuary“ auf Koh Phangan: Einlauf unter Palmen
Kultmythen ranken sich um die Wellness-Oase „The Sanctuary“ in Thailand,
das auf der Insel Koh Phangan Hippies wie Hedonisten anzieht. Ein Besuch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.