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# taz.de -- social-media-Humor: Sry, wir haben 2023!
> Worüber wird in sozialen Medien gelacht? Willkommen in der Welt der
> Wortwitz-Memes und TikTok-Comedians
Bild: Pepe der Frosch, die Webcomic-Figur, wurde von der Alt-Right Bewegung, al…
Hallo, ich grüß’ Gott einmal für mich! Meine Pronomen sind xi/xirm, elixir,
elexirm“, [1][sagt der TikTok-Star diehuepsche in einem ihrer Videos auf
Social Media.] Sie steht im Hausflur eines Altbaus, ihr Kleid sitzt schief
und sie hält eine Spielzeugpuppe in der Hand. Auf Instagram reagieren viele
auf diesen Post mit einem:_), einem Tränen lachenden Emoji.
Die medienaffine, jüngere Generation versteht diesen Sketch sofort. Dieses
Publikum weiß, dass die TikTokerin sich nicht über das Gendern lustig
macht, sondern mit der Neuschöpfung von Pronomen gerade die Leute
herausfordern will, die sich vehement dagegen wehren. Oder dass sie mit der
falsch angezogenen Kleidung das adrette und professionelle Auftreten etwa
in der Modebranche provozieren will. Viele Ü30-Jährige werden aber Probleme
haben, das Video mit seiner Wort- und Bildsprache überhaupt einzuordnen,
geschweige denn witzig zu finden. Aber sorry, „sry“, wir haben 2023!
Trotzdem, die Kluft zwischen den Generationen ist da. Die einen bewegen
sich ganz natürlich im Internet, feiern die Freiheiten und entwickeln
eigene Kodierungen, mit denen sie gemeinsam lachen können. Die anderen
verstehen diese virtuelle Welt mit den Reizüberflutungen nicht und fordern
mehr Regulierungen. Gemeinsam lachen, das funktioniert nicht mehr. Was also
hat Social Media mit dem Witz angestellt?
Seit der Verbreitung des World Wide Web gehören witzige Inhalte dazu. Als
erstes „Internetmeme“ gilt [2][ein verpixeltes Baby, das zu „Hooked on a
Feeling“ von Blue Swede tanzt]. Es verbreitete sich 1996 in Windeseile,
verschickt im Mailanhang. Fast 30 Jahre später werden „Memes“, also Bilder
und Videos mit lustigen Inhalten, als das wichtigste Instrument für Humor
im Internet gesehen. Sie werden millionenfach in sozialen Netzwerken
geteilt. Die Encyclopedia of Humor Studies sieht darin einen „dramatischen
Anstieg der Menge und Geschwindigkeit der Humorverbreitung“.
Neu ist, dass Nutzer*innen seit Beginn des World Wide Web gleichzeitig
Inhalte konsumieren und produzieren können. Many-to-Many-Kommunikation
nennt das der Medienwissenschaftler Jan Claas van Treeck. Das Internetmeme
ist deshalb per Definition ein Produkt, dem erst gemeinschaftlich eine
Bedeutung zugeschrieben wird, indem es geteilt, verändert und verwendet
wird, um einen Witz zu machen oder darauf zu reagieren.
Ein weiterer Unterschied zwischen Online- und Offline-Witzen ist die Bühne,
auf der sie erzählt werden. In der Zeit vor dem Internet wurden Witze zwar
auf Plätzen des Zusammentreffens erzählt, sie konnten aber doch nur von
einem eingeschränkten Personenkreis gehört werden. Also etwa von denen, die
sich eine Karte für eine Komödie kaufen konnten oder auf dem Schulhof auf
der Rangliste so weit oben standen, dass sie in der coolen Ecke über die
anderen lästerten.
Auch die klassische Stand-up-Comedy, die sich als Format zum Witzeerzählen
spätestens seit den 1950er Jahren in den USA, Großbritannien und später in
anderen westlichen Kulturen hartnäckig hält, wird so vorgetragen. Ein*e
Solokünstler*in agiert mit dem Publikum, „als wäre man in einem Raum
unter Freunden“, so die Historikerin Andrea Prussing-Hollowell. Dadurch
entsteht in diesen Räumen eine Insidergruppe, in der die meisten die
witzigen Pointen verstehen.
Anders bei Internetwitzen: Wie bereits erwähnt, ist die
Autor*innenschaft von Memes weniger relevant als offline. Auf den
verschiedenen Plattformen ist der Zugang theoretisch viel einfacher, und es
kostet kein Geld, die Inhalte zu konsumieren oder zu erstellen.
Ähnlich wie bei einer abgeschlossenen Gruppe bei einer Stand-up-Comedy-Show
sind aber auch online Insidergruppen zu erkennen. Sie unterscheiden sich
zum Teil von ihren politischen Einstellungen und vom Verständnis darüber,
was lustig ist. Beispielsweise kann man auf dem Imageboard 4chan viele
Inhalte finden, die konservatives oder rechtes Gedankengut präsentieren und
dessen Nutzer*innen etwa während der Pandemie durch antiasiatische Memes
aufgefallen sind. Im Gegensatz dazu gilt Tumblr traditionell als eher
feministischer Schutzraum.
Dass Feminist*innen allerdings erfolgreich in die klassisch männlichen
Sphären des Witzeerzählens eindringen, ist nicht allein dem Internet
zuzuschreiben. Spielten und spielen (!) etwa Frauen in klassischen Witzen
erfolgreicher Comedians weltweit stereotypisierte Nebenrollen wie die
nörgelnde Hausfrau oder die Blondine, erkämpften sich mit zunehmender
Emanzipation auch Frauen einen Platz auf der Bühne. Im US-amerikanischen
Raum ist da zum Beispiel die Comedian Hannah Gadsby. Auf deutschen Bühnen
sind es Shows wie „Ladykracher“ oder „Ladies Night“.
Bei der schnellen Weiterentwicklung von Memes, die zum Großteil aus dem
amerikanischen Raum stammen, nehmen die Nutzer*innen Änderungen vor, die
an lokale Zielgruppen angepasst sind. Beispielsweise das Meme von 2008 mit
der US-Schauspielerin Reese Witherspoon, auf dem sie mit einem nachträglich
hineinmontierten Löffel zu sehen ist. Ihr Nachname wird als Wortwitz wie
„with her spoon“ gelesen. Später wurden diese Namenswitze in vielen
Sprachen gemacht, in Deutschland etwa mit einem [3][Bild des CDU-Politikers
Philipp Amthor, der auf einen Torwart montiert eben nicht mehr am, sondern
im Tor] steht.
Nutzer*innen verwenden bei der Erstellung Ausschnitte aus popkulturellen
Filmen, Shows oder Büchern und setzen sie in einen neuen Kontext, der
witzig sein soll. [4][Etwa wurde dieses Jahr die
Tribute-von-Panem-Schauspielerin Jennifer Lawrence zum Meme]. Ein kurzer
Ausschnitt, in dem sie weinend „What do you mean“ sagt, wurde auf TikTok in
vielen Videos verwendet, um einen verwirrten und emotionalen Zustand
darzustellen. Damit ist es völlig aus dem ursprünglichen Zusammenhang
gerissen, denn eigentlich kommt der Ausschnitt aus der Fernsehshow „Hot
Ones“, wo sie zu scharfe Chicken Wings gegessen hatte.
Ein weiteres Beispiel für eine radikale Bedeutungsveränderung, denen
popkulturelle Inhalte in Social-Media-Humor unterliegen, ist Pepe the Frog.
Der mal traurige, mal arrogant grinsende Frosch war eigentlich ein
Charakter in einem Jugendcomic von Matt Furie. Amerikanische Rechte haben
aber seit 2008 begonnen, Pepes Gesicht online als Maskottchen für sich zu
verwenden und so antisemitische, rassistische und sexistische Inhalte zu
teilen. Matt Furie scheiterte bei seinem Kampf, Pepe the Frog
zurückzuerobern. Selbst Donald Trump verwendete das Pepe-Meme in seinem
Wahlkampf 2016.
## Memes stützen Mächtige
Zu Beginn der Digitalisierung in den 90er Jahren hatte sich eine Art
Euphorie eingestellt. Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten sollten das
Internet demokratischer und partizipativer machen. Bisher ist das
allerdings mehr Wunsch als Wirklichkeit. So konnten Limor Shifman und Dafna
Lemish in ihren Studien populärer Memes nachweisen, dass diese überwiegend
bestehende Machtdynamiken schützen.
Die oft unregulierten und anonymen Verbreitungsmöglichkeiten des Internets
bieten auch radikaleren Gruppen ein Spielfeld. Aktuell zeige sich global
ein nie dagewesenes Maß an diskursiver Partizipation rechter Gruppen,
schreiben die Medienwissenschaftler*innen Nowotny und Reidy.
Beobachter*innen der US-Wahl 2016 sagen etwa, dass
Präsidentschaftskandidat Donald Trump durch Falschmeldungen und Hetze im
Internet vor der Wahl gestärkt wurde. Spätestens die Pandemie und etwa das
Erstarken von Querdenker*innen zeigte auch in Deutschland:
Rassist*innen und Verschwörungstheoretiker*innen wissen, wie man
Witze online erzählt. Davon geht eine Gefahr für die Demokratie aus.
Aber es gibt auch diejenigen, die im Internet einen anderen, einen Vielfalt
beschwörenden Humor zeigen wollen. Etwa einen feministischen. Wie der
aussieht? Als Beispiel kann man die eingangs erwähnten Sketchvideos von
diehuepsche nehmen. Feministische Comedians im Netz machen Witze über
aktuelle Debatten, wobei sie versuchen, den Witzen Grenzen zu setzen: Sie
wollen niemanden verletzen, der sowieso zu den Schwachen in der
Gesellschaft gehört. Sie wollen keine Klischees reproduzieren, die
Marginalisierten schaden.
Häufig haben die Influencer*innen selbst einen marginalisierten
Hintergrund. So sagt diehuepsche über sich, dass sie
„asiatisch-diasporisch“ ist, und teilt persönliche Geschichten, etwa über
Vietnam-Besuche. Auch hat sie sich zum Ziel gesetzt, auf transfeindliche
Kommentare zu ihren [5][Videos auf eine humorvolle Weise einzugehen, etwa
als sie ein Nutzer auffordert „zu zeigen, dass sie eine Frau ist]“.
Es sind Witze, die inhaltlich die Meinungsverschiedenheit feiern, auch in
Bezug auf die Genderidentitäten. In den Vordergrund bei dieser Form von
Online-Komik scheint wiederum das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe zu
rücken, einer, die die Einzelnen dann zu Insider*innen macht.
Ein Beispiel für eine sehr erfolgreiche Memeseite mit Insiderwitzen der Gen
Z ist der Instagram-Kanal von Svea Mausolf. Als [6][sveamaus] postet sie
Fotos von austauschbaren Orten oder Personen, manchmal fügt sie die
Gesichter von Politiker*innen wie Angela Merkel oder Markus Söder ein.
Die Bilder versieht sie mit Sprüchen. Ein beliebter Post zeigt Wohnzimmer
im Einrichtungsstil der 90er Jahre. „Hier vom Onkel auf die Brüste
angesprochen werden“ oder [7][„]Hier vom besoffenen Vater angeschrien
werden, weil man Mathe nicht versteht“ steht über den biederen
Wohnzimmereinrichtungen. Ein beliebter Kommentar unter dem Post zeigt,
warum das lustig ist: „Ich könnte schwören, ich war in jedem dieser
Wohnzimmer“, schreibt der Nutzer.
25 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/p/CxseKZ0MP6M/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=ljSFRat7ePQ
[3] https://www.reddit.com/media?url=https%3A%2F%2Fi.redd.it%2Fefqaij53yf671.jpg
[4] https://www.youtube.com/watch?v=uZGru-FYoQY
[5] https://www.instagram.com/reel/C09xKCLsK62/
[6] https://www.instagram.com/p/C06eGzTMWsf/?img_index=3
[7] https://www.instagram.com/p/CzWH_kJMGOE/
## AUTOREN
Ann-Kathrin Leclere
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