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# taz.de -- Autorin über Judenhass in der Literatur: „Humor ist die einzige …
> Dana von Suffrin kennt Antisemitismus im deutschsprachigen
> Literaturbetrieb. Erst begegnete sie dem mit Memes auf Instagram. Dann
> wurde es ihr zu viel.
Bild: Not amused über BDS-Fans im Literaturbetrieb, und das zu recht: Dana von…
Die Schriftstellerin Dana von Suffrin, geboren 1985 in München, erzählte in
ihrem Debütroman „Otto“ von einem jüdischen Familienpatriarchen, von
intergenerationalem Trauma und vom Leben als Jüdin in Deutschland. Sie
erhielt dafür viel Kritikerlob und zahlreiche Auszeichnungen, wie etwa den
Hölderlin-Preis und den Bayerischen Kunstförderpreis. Nach den Massakern
der Hamas forderte die promovierte Historikerin auf Instagram
Künstlerkolleg*innen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreiteten, mit
sarkastischen Sprüchen und bitter-ironischen Memes heraus. Jetzt wurde es
ihr aber zu viel: Sie hat ihren Account gelöscht.
taz: Frau von Suffrin, auf Instagram findet man Autorinnen von so
renommierten Verlagen wie Hanser, Ullstein und S. Fischer, die unter
anderem verbreiten, Israel würde einen Völkermord an den Palästinensern
begehen. Das ist Dämonisierung des einzigen jüdischen Staates, ein
klassischer Topos des israelbezogenen Antisemitismus. Waren Sie überrascht,
als Sie das sahen?
Dana von Suffrin: Man kann nicht sagen, dass ich überrascht war, weil ich
die ganze Skandalisierung des israelischen Staates schon lange wahrgenommen
habe, zum Beispiel was die Diskussion um die Documenta oder BDS anging,
dazu haben auch viele Journalisten, Kuratoren und Akademiker beigetragen.
Es war bemerkenswert, wie schnell und wie [1][abgründig sich ausgerechnet
Künstler äußern]. Ich war erschrocken, dass gerade Autorinnen und Autoren
so eine völlig verrohte Sprache benutzen, Dogwhistling anwenden,
absichtlich zu falschen, drastischen Begriffen greifen. Aber grundsätzlich
weiß ich natürlich, dass dem schon lange der Boden bereitet wurde.
Aber ist es nicht ein Widerspruch? Der Literaturbetrieb steht doch seit
einiger Zeit unter dem Zeichen besonderer Rücksichtnahme. Es gibt
sensitivity readers und trigger warnings. Kultursensibel wird darauf
geachtet, wer wen übersetzt und wer über wen schreibt. Merkt man etwas von
dieser Sensibilität, wenn es um Minderheiten wie Juden und Israelis geht?
Zunächst: Ich habe wirklich auch viel Solidarität erfahren in der letzten
Zeit, viele haben sich von der sogenannten Israelkritik distanziert. Aber
ansonsten gilt, glaube ich schon, was der britische Komiker David Baddiel
gesagt hat, „Jews don’t count“. Und da ist natürlich auch die Frage, wie…
ausgerechnet Juden und der einzige jüdische Staat zum Symbol des Bösen oder
des kolonialen Bösen wurden. Diese Fixierung ist doch absurd. In
Bergkarabach findet eine ethnische Säuberung statt, interessiert
niemanden, die [2][Afghanen in Pakistan] interessieren niemanden. Sobald
in einem Konflikt keine Juden involviert sind, ist er automatisch
uninteressant. Mit ein paar Leuten habe ich übrigens gesprochen, die
meisten haben auch sehr nett reagiert und wollen noch einmal nachdenken.
Die Autoren Björn Kuhligk und Marcus Roloff haben einen offenen Brief
gestartet, in dem Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich zu Israel
bekennen können und in dem das Schweigen im Literaturbetrieb zum
Antisemitismus beklagt wird. War das ein Lichtblick für Sie?
Ja, ich habe den Brief auch zugesandt bekommen, und ich muss zugeben, dass
er mich berührt hat. Auch wenn der Brief etwas Hilfloses und Unbeholfenes
hatte, hat mich doch gefreut, dass solche Signale kamen. Mich erinnert das
sonstige Schweigen auch an eine Geschichte, die mir mein damaliger Freund
erzählt hat: Sein Vater hatte sich wegen einer schweren Krankheit das Leben
genommen. Mein Freund ist zur Beerdigung in diese kleine niederbayrische
Stadt gefahren, in der sich alle kennen. Und was haben die Leute gemacht,
als sie ihn auf der Straße gesehen haben? Sie haben die Straßenseite
gewechselt. Und das ist, glaube ich, auch die Situation, in der sich viele
Juden gerade fühlen.
Gibt es, wie Björn Kuhligk und Marcus Roloff meinen, zum Terror der Hamas
und zum Antisemitismus in Deutschland hauptsächlich Schweigen?
Nein, mittlerweile haben sich einige Leute geäußert. Tonio Schachingers
Buchpreisrede ist ein Beispiel, sie hat mich sehr berührt. Aber es ist
natürlich so, dass der [3][Kulturbetrieb als Ganzes wahnsinnig
antisemitisch] geworden ist. Das bedeutet nicht, dass alle das sind. Aber
es hat sich eine Art von Antisemitismus etabliert, die akzeptiert wird und
als progressiv gilt. Es ist doch traurig, dass wir von unseren
Spitzenpolitikern gerade eine bessere moralische und politische
Orientierung bekommen als von den Künstlern. Andererseits: Künstler haben
natürlich Sendungsbewusstsein, aber Expertise? Militärstrategen sind die
wenigsten von uns.
Claudia Roth ist seit 2021 Kulturstaatsministerin. 2019 hat sie sich von
der Anti-BDS-Resolution des Bundestags distanziert, 2022 fiel sie
anlässlich des Antisemitismus auf der Documenta 15 durch Untätigkeit auf.
Heute scheint sie ihre Meinung geändert zu haben. Lernt der deutsche
Kulturbetrieb dazu?
Ich würde mir wünschen, dass die Leute begreifen, dass es wahnsinnig
riskant ist, was da gerade passiert. Den Juden in Deutschland geht es
wirklich schlecht. Alle Leute, die ich kenne, sind völlig erschöpft, fühlen
sich ausgeliefert, und manche haben Angst, dass sie umgebracht werden. Man
kann natürlich sagen, dass das übertrieben ist, aber das wird man halt erst
hinterher wissen. Ich sehe, dass sich da eine gefährliche Allianz bildet
aus kultureller Elite und Mob. Und ich habe wirklich keine Idee, was man
machen kann, um das aufzuhalten. Wenn sich Politiker dazu äußern und
umdenken, ist das natürlich gut. Aber was das für praktische Auswirkungen
hat, weiß ich einfach nicht. Und es ist so schade, dass dieser
Antisemitismus auch von Leuten kommt, die wirklich die Ressourcen und
Möglichkeiten hätten, sich zu bilden. Ich war gerade auf einer
Literaturtagung, dort war auch eine finnische Autorin in meinem Alter,
sichtlich aus der Oberschicht, mit besten Kontakten zu Politikern. Wir
folgten uns dann gegenseitig auf Instagram, wo sie wirklich nur
Palästina-Propaganda gepostet hat. Ich habe ihr dann nach drei Tagen
geschrieben, dass ich es seltsam finde, dass eine finnische Autorin so
besessen von Israel ist. Sie lebt ja wirklich in einem Land mit massiven
eigenen Problemen, zum Beispiel Rassismus. Sie antwortete, als Jüdin mit
dieser Geschichte müsste ich es besser wissen. Das ist natürlich ein
klassischer antisemitischer Topos; wir Juden hätten nichts aus dem
Holocaust gelernt. Ich finde, wenn man so gebildet ist und trotzdem voll
mit antisemitischen Stereotypen, dann ist das eine Entscheidung. Und
dieses Pathos: Diese Leute halten sich für Märtyrer, schreien den ganzen
Tag herum, treffen sich zu Demos, müllen das ganze Social Web zu, sind
ständig in den Medien und behaupten dann larmoyant, ihre Meinungsfreiheit
würde eingeschränkt.
Ihr erster Roman, „Otto“, war 2021 ein großer Erfolg und erhielt viel Lob
und viele Preise. Ihr zweiter Roman „Nochmal von vorne“ erscheint im
kommenden März. Wird es nicht Zeit, dass Sie das biedere München verlassen
und in die Schriftstellerhauptstadt Berlin ziehen?
Ehrlich gesagt, bin ich gerade richtig froh, dass ich in München lebe, wo
die Szene nicht so politisiert ist, die Kunst ist auch nicht so stark mit
Aktivismus vermischt. Andererseits habe ich von den meisten Kolleginnen und
Kollegen gar nichts gehört, kein Wort.
Krieg in Israel und Antisemitismus in Deutschland. Wenn man Ihren
Instagram-Storys folgte, bekam man den Eindruck, Sie könnten es mit Humor,
mit ätzendem Witz nehmen. Wie geht das, oder geht es gar nicht anders?
Ja, Humor ist natürlich ein Bewältigungsmechanismus, aber auch die einzige
Waffe, die ich habe. Das kam übrigens bei diesen Leuten überhaupt nicht gut
an. Die sagen ja, sie wollen reden, aber das ist gar nicht mein Eindruck,
die wollen unter sich bleiben und sich endlos gegenseitig bestätigen. Nach
dem ersten Witzchen haben die mich sofort geblockt. Ich habe eine
südafrikanische Kunstprofessorin in einer Story ironisch angesprochen und
gefragt, ob ihr Dasein als Expat in Berlin nicht auch eine Art von weißem
Siedler-Kolonialismus ist. Das war kein so schlechter Witz! Aber es läuft
sich bald tot, denn die schreiben ja immer dieselben Sachen, und man kann
ja dann nicht immer dieselben Witze bringen.
17 Nov 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Leander Steinkopf
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