# taz.de -- Psychologie-Podcasts: Zwischen Wissenschaft und Selbstoptimierung | |
> Habe ich Beziehungsangst? Und wie erkenne ich Gaslighting? | |
> Psycho-Podcasts wollen Antworten liefern. Doch was kann das Format | |
> wirklich leisten? | |
Bild: Psycho-Podcasts können in der Wartezeit auf einen Therapieplatz helfen | |
Psychologie scheint seit einiger Zeit überpräsent. In sozialen Medien | |
wollen einem Videos erklären, welche Symptome auf welche psychische | |
Erkrankungen hinweisen und wie man sich besser [1][um seine mentale | |
Gesundheit kümmert.] In Podcast klären Expert:innen, wie man Bindungsangst | |
loswird oder mit depressiven Episoden umgeht. Und damit begeistern sie | |
nicht selten ein Millionenpublikum. Viele Psycholog:innen setzen sich | |
für einen Podcast auch selbst ans Mikrofon. | |
Vier davon haben mit der taz über die Chancen und Grenzen, die sie im | |
Format Podcast sehen, gesprochen. Leon Windscheid ist Co-Host des Podcasts | |
„Betreutes Fühlen“, Lukas Klaschinski und Stefanie Stahl nehmen jede Woche | |
eine Folge „So bin ich eben“ auf. Sie bereiten Wissen über die Psyche so | |
auf, dass man es aufs eigene Leben anwenden kann. Damit liegen sie auf | |
einer Linie mit den meisten anderen Psychologie-Podcasts. | |
Die Hosts erklären, wie man toxische Beziehungen erkennt, warum wir | |
träumen, wie wir unser Selbstwertgefühl erhöhen oder mit Ängsten umgehen. | |
Thorsten Padberg hingegen wirkte als Psychologie-Experte an „Therapieland“ | |
mit, einem preisgekrönten Podcasts, der ein anderes Konzept verfolgt. In | |
sechs Folgen blickten er und die Journalistin Pia Rauschenberger im Jahr | |
2019 hinter die Kulissen der Psychotherapie. | |
Die noch aktiven Podcaster:innen Stahl, Klaschinski und Windscheid | |
wissen, dass ihre Podcasts keine Therapie ersetzen können. „Für viele sind | |
die Podcasts ein Anker, während sie auf einen Therapieplatz warten“, sagt | |
Windscheid. Sie können ein Einstieg in das Thema Psychologie sein und | |
Hörer:innen mit ersten Bewältigungsstrategien vertraut machen. Gerade in | |
Deutschland, wo die [2][Wartezeiten für Therapieplätze] lang sind, erfüllen | |
sie damit eine wichtige Funktion, so Windscheid. | |
## Methoden zur Selbstreflexion | |
Die Podcasts richten sich also nur an Menschen, die eine Therapie machen | |
möchten? Stahl verneint die Frage. Das Ziel ist, so viele Personen wie | |
möglich zu erreichen. „Denn mental auf sich zu achten, ist ein wichtiger | |
Faktor, um gesund zu bleiben.“ Zuhörer:innen lernen, wie psychische | |
Muster funktionieren. Und die Podcasts geben auch Methoden zur | |
Selbstreflexion an die Hand, um diese aufzubrechen. Ihr Co-Host Klaschinski | |
ergänzt, dass die Podcasts helfen können zu verstehen, dass psychische | |
Herausforderungen normal seien und zum Leben dazugehören. | |
Stahl, Klaschinski und Windscheid wollen mit ihren Podcasts negative | |
Gefühle und das Sprechen darüber normalisieren. Immerhin sind pro Jahr 28 | |
Prozent der Deutschen psychisch krank. Doch es fällt auf, dass [3][gerade | |
Krankheiten mit hohem Stigma wie Sucht] oder Schizophrenie in Podcasts eher | |
selten Platz finden. | |
Viele Angebote richten sich eben primär an die „Normalgestörten“, wie es … | |
der Beschreibung von Klaschinskis und Stahls Podcast heißt. Der Ausdruck | |
beschreibt Menschen mit Alltagsschwierigkeiten und kleineren psychischen | |
Problemen. Diesen Fokus zu setzen, macht Sinn. „Denn bei schwerwiegenderen | |
Problemen reichen die Tipps, die Podcasts vermitteln können, nicht aus“, | |
sagt Padberg. Auch Padberg sieht Vorteile in den Methoden, die Podcasts an | |
die Hand geben. Überbewerten würde er diese aber nicht. „Vieles, was unter | |
Achtsamkeit und Mindfulness läuft, ist einfach Entspannungstraining.“ | |
Durchaus nützlich, aber eben nur Symptombehandlung. | |
## Mehr im Jetzt als im Gestern | |
Padberg wirkte an „Therapieland“ mit, um „einige Sachen richtigzustellen�… | |
die ihn an der Darstellung von Psychotherapie gestört haben. „Viele | |
Psycholog:innen, die medial bekannt sind, sind auf | |
Vergangenheitsbewältigung fokussiert“, sagt er. Er habe zeigen wollen, dass | |
viele Psychotherapeut:innen eigentlich anders arbeiten. Die | |
verbreitetste Therapieform ist nämlich die Verhaltenstherapie, die stärker | |
im Jetzt angesiedelt ist. | |
Obwohl ihm die Moderation von „Therapieland“ Spaß gemacht habe, kommt ein | |
neues Format für Padberg aktuell nicht in Frage. „Ich habe das Gefühl, dass | |
das ganze Feld ein wenig auf der Stelle tritt.“ Zum Beispiel, da häufig | |
dieselben Krankheitsbilder durchdekliniert würden. Depression, Burnout, | |
Hochsensibilität, ADHS, Autismus. Das trifft nicht auf alle Formate zu, | |
aber dennoch sieht er das Feld als gesättigt an. | |
Außerdem kritisiert Padberg, dass Psychologie auch deshalb ein „Megathema | |
geworden ist, weil nach unserem Gesellschaftsbild jeder an seiner | |
Optimierung arbeiten soll“. Es entstehe zunehmend der Eindruck, sämtliche | |
Schwierigkeiten könnten durch Selbstreflexion und | |
Persönlichkeitsentwicklung behoben werden. Psychologie – sei es in Form von | |
Podcasts oder auch einer Therapie – gilt dann schnell als Wundermittel zur | |
Lösung aller Probleme. „Das kann sie aber einfach nicht leisten.“ | |
## Fern- und Selbstdiagnosen bleiben unseriös | |
Andererseits können Menschen, die per Podcast etwas über bestimmte | |
Störungen lernen und Parallelen zu sich selbst erkennen, dadurch auch | |
begreifen, dass sie Hilfe brauchen. Der Berufsverband Deutscher | |
Psychologinnen und Psychologen betont, dass man in so einer Situation | |
Expert:innen hinzuziehen sollte. Bleibt es bei einer Selbstdiagnose, | |
kann das nämlich zu „unangemessenen Sorgen und Ängsten“ führen. Auch die | |
Podcaster:innen unterstreichen: Ferndiagnosen und nicht überprüfte | |
Selbstdiagnosen sind unseriös. „Damit nimmt man auch wirklich Betroffenen | |
den Raum, der ihnen zusteht“, sagt Windscheid. | |
Wer sich dessen bewusst ist, kann in Psychologie-Podcasts eine Menge | |
lernen, über sich selbst und Psychologie als Wissenschaft und darüber, dass | |
negative Gefühle wie psychische Krankheiten normal sind. Viele finden gar | |
ein Format, das ihnen durch eine dunkle Zeit hilft. Oder einfach ein | |
Podcast-Team, das sie gut unterhält. | |
2 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Elisa Pfleger | |
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