| # taz.de -- Radwegeausbau in Berlin: Kommt Zeit, kommt Sicherheit | |
| > Vier Jahre wird es wohl gedauert haben, bis die Pop-up-Radspur auf der | |
| > Kantstraße „verstetigt“ ist. Eine Garantie gegen Unfälle ist das jedoch | |
| > nicht. | |
| Bild: Kein abgesperrter Radweg, dafür Unmengen an motorisiertem Verkehr und je… | |
| Berlin taz | Ein grauer Märzmittag auf der Kantstraße: Der Verkehr ist | |
| außerhalb der Stoßzeiten überschaubar, weder auf der Autospur noch auf dem | |
| breiten, gelb markierten Radstreifen ist viel los. Von den RadfahrerInnen, | |
| die zwischen dem Gehweg und einer losen Reihe aus parkenden Pkws | |
| entlangrollen, ist gefühlt jeder zweite für einen Essenslieferdienst | |
| unterwegs. Kein Wunder, bei der Dichte an Restaurants auf der | |
| architektonisch wenig attraktiven, aber mit asiatischer Küche reich | |
| gesegneten Charlottenburger Meile. | |
| Die gelben Markierungen des Radstreifens sind stark ausgeblichen. | |
| Schließlich ist es schon fast vier Jahre her, dass sie im Pop-up-Verfahren | |
| auf den Asphalt gepinselt wurden. Die Anordnung war damals eine Reaktion | |
| auf eine Serie von „Montagsdemonstrationen“, initiiert im Frühjahr 2020 von | |
| Fahrradaktivist [1][Heinrich Strößenreuther]. „Safe und Chill“ wollte er | |
| die Kantstraße für Radfahrende machen. Zumindest ein kleines bisschen wurde | |
| das auch Realität. | |
| Fahrradfreundlich war die Verbindung zwischen Breitscheidplatz und | |
| Messegelände bis dahin nie. Kein Radweg, auch kein schmaler gepflasterter | |
| auf dem Bürgersteig, dafür Unmengen an motorisiertem Verkehr und jede Menge | |
| Falschparker in zweiter Reihe. Im Februar 2020 kam es dann [2][zu einem | |
| besonders schrecklichen Ereignis], das bis heute nachhallt. | |
| ## Ein schrecklicher Unfall ohne Folgen | |
| Rückblende: Am 7. Februar dieses Jahres finden sich rund hundert | |
| RadlerInnen, viele in gelben Warnwesten, auf dem Savignyplatz ein. Vom | |
| Mauerpark ist der Korso in eisiger Kälte nach Charlottenburg gefahren, um | |
| eine wirklich sichere Kantstraße einzufordern. Die DemonstrantInnen | |
| versammeln sich auf der Höhe eines weiß lackierten Fahrrads, das an einer | |
| Laterne lehnt, geschmückt mit ein paar Blumen und einem Grablicht, am | |
| Rahmen ein Schild im Gedenken an den, der hier vor vier Jahren starb: | |
| „Radfahrer, 64 Jahre“. | |
| In ihrer Ansprache erinnert Susanne Grittner vom ADFC an Bernd Wissmann, | |
| einen Architekten, der damals vom Bahnhof Zoo nach Hause radelte. Er | |
| wartete in der Platzmitte an der roten Ampel, auf dem kurzen Bus- und | |
| Radstreifen vor der dortigen Haltestelle. Wissmann machte alles richtig, | |
| der Mann, der ihn mit seinem BMW totfuhr, alles falsch: Er raste über Rot | |
| auf den Platz, mit mehr als 70 km/h, obwohl nur 30 erlaubt sind. Dann | |
| wollte er über die Busspur rechts an den wartenden Autos vorbeiziehen. Der | |
| Aufprall war so heftig, dass Bernd Wissmann 37 Meter weit geschleudert | |
| wurde und starb. | |
| Grittner hat aus der Nähe verfolgt, was dann passierte: Erst anderthalb | |
| Jahre später lag die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vor. Der erste | |
| Gerichtstermin wurde für Februar 2022 anberaumt – und kurzfristig zugunsten | |
| einer anderen Verhandlung abgesagt. | |
| Der zweite und der dritte Anlauf im August 2022 und im Juli 2023 platzten | |
| wegen Krankheit des Angeklagten, den vierten Versuch im September 2023 | |
| vereitelte ein technisches Problem an der Sicherheitsschleuse des | |
| Landgerichts: Die Öffentlichkeit sei so nicht wie vorgeschrieben | |
| sicherzustellen, entschieden die RichterInnen. | |
| ## Auf die lange Bank geschoben | |
| „Das war alles wirklich schwer zu ertragen“, sagt Grittner. Sie spricht von | |
| einer „Tortur für die Angehörigen“. Die auch nicht wirklich endete, als d… | |
| Gericht im vergangenen Oktober schließlich einen Strafbefehl gegen den | |
| Angeklagten erließ. Bei diesem Verfahrensweg ohne mündliche Verhandlung ist | |
| das Strafmaß gedeckelt, erklärt die ADFC-Aktivistin – der Unfallfahrer kam | |
| mit einem Jahr auf Bewährung davon. | |
| Auf die Wiedererlangung seiner Fahrerlaubnis kann er schon Anfang 2025 | |
| wieder hoffen. „Das hat etwas mit uns gemacht“, sagt Susanne Grittner. | |
| „Wenn man das verfolgt hat, kann man an unserer Gerichtsbarkeit zweifeln.“ | |
| Sie appelliert aber nicht nur an die Justizsenatorin Felor Badenberg | |
| (parteilos, für CDU), für angemessene Zeiträume bei der Bearbeitung solcher | |
| Fälle zu sorgen, sie richtet das Wort auch an die CDU-Verkehrssenatorin: | |
| „Frau Schreiner, Sie wollten doch etwas tun. Wir warten und sind | |
| ungeduldig! Wir fordern Sie auf, dass die Infrastruktur auf der Kantstraße | |
| erweitert und verbessert wird!“ | |
| Denn auch der gelb markierte Radweg ist nicht wirklich sicher. Das zeigte | |
| sich im Februar 2023, als wieder ein Radfahrer auf der Kantstraße zu Tode | |
| kam: Ihm wurde die Tür eines Taxis zum Verhängnis, das auf der lediglich | |
| gelb markierten Sperrfläche hielt, um einen Fahrgast aussteigen zu lassen. | |
| ## Hin und Her zwischen Bezirk und Senatsverwaltung | |
| Dass bis heute noch nichts aus der längst beschlossenen „Verstetigung“ des | |
| Radstreifens geworden ist, hat verschiedene Gründe. Vor allem ist da wie | |
| immer das Gezerre zwischen Bezirks- und Landesebene. | |
| Schon 2021 beklagte der grüne Verkehrsstadtrat von | |
| Charlottenburg-Wilmersdorf, Oliver Schruoffeneger, gegenüber der taz, die – | |
| damals ebenfalls grün geführte – Senatsverwaltung wälze Dinge auf das | |
| Bezirksamt ab, dem dafür die Kapazitäten fehlten. Unter anderem ging es um | |
| die Frage, ob die Feuerwehr nach einer Umgestaltung genügend Platz hätte, | |
| ihre Leiterwagen sicher aufzustellen. | |
| Zwischenzeitlich übernahm Berlins marode Infrastruktur die Rolle des | |
| Verhinderers: Weil im Frühjahr 2023 unter dem nördlich verlaufenden | |
| Kaiserdamm ein Düker zusammenbrach – ein Bauwerk, das Abwasserleitungen | |
| unter der Magistrale hindurchführt –, sollten im Umfeld keine größeren | |
| Bauarbeiten stattfinden, um das Verkehrschaos in Grenzen zu halten. | |
| Im April nun soll der Kaiserdamm wieder voll funktionstüchtig sein, aber | |
| offensichtlich wurde die Zeit nicht genutzt, um den Plan für die Kantstraße | |
| zur Anordnungsreife zu bringen. | |
| ## Radspur auch künftig weitgehend ungeschützt | |
| Auf Anfrage teilt die Senatsverwaltung mit, für die Verstetigung des | |
| östlichen Abschnitts der Radspur – zwischen Budapester und Wilmersdorfer | |
| Straße – befinde man sich noch in „Abstimmungen, unter anderem mit dem | |
| Bezirk und der Feuerwehr“. Bis zur „finalen Lösung“ seien noch „einige | |
| bauliche Randbedingungen“ zu klären. Auf dem westlichen Abschnitt, wo die | |
| Kantstraße zur Neuen Kantstraße wird, könne es aber schon bald losgehen. | |
| Hier wird die Radspur freilich auch künftig weitgehend ungeschützt sein: | |
| Die Pkw-Stellplätze liegen quer zur Fahrtrichtung, unterbrochen von | |
| Straßenbäumen, ein Umbau wäre extrem aufwändig. RadlerInnen sind also | |
| weiter zwischen fließendem und ruhendem Autoverkehr unterwegs. | |
| Aber immerhin bestätigt Stadtrat Schruoffeneger, dass ihm sowohl die | |
| Anordnung als auch eine Finanzierungszusage vorliegen. Dass die Arbeiten | |
| bis zur Fußball-EM im Juni abgeschlossen sind, wie es die Senatsverwaltung | |
| erwartet, hält er aber für „sehr sportlich“. Die Anordnung zur Einrichtung | |
| der Baustelle fehle noch, und auch das Vergabeverfahren für die Arbeiten | |
| benötige seine Zeit. | |
| Woran es beim östlichen Abschnitt immer noch hakt, kann er sich auch nicht | |
| erklären. Was er weiß: Die Verkehrssenatorin wird über drei ihr vorliegende | |
| Varianten entscheiden. Eine davon stammt aus dem Bezirksamt, sie sieht eine | |
| bauliche Anpassung des Mittelstreifens vor, was den Raum für die Feuerwehr | |
| vergrößern würde. Eine echte Busspur wird es wohl nicht geben, höchstens | |
| wird die Spur zwischen Autos und Fahrrädern zum „Multifunktionsstreifen“, | |
| der morgens und abends den BVG-Bussen – darunter ein Expressbus nach | |
| Spandau – und zwischendurch als Ladezone zur Verfügung steht. | |
| ## Radweg geht derzeit zulasten des ÖPNV | |
| Ganz klar ist das noch nicht, aber es wäre immerhin eine Erleichterung für | |
| den ÖPNV. Der Fahrgastverband IGEB beklagt seit Einrichtung der | |
| Pop-up-Spur, dass die Busse nun oft im Stau stünden, die Verbesserung für | |
| den Radverkehr somit auf Kosten der Fahrgäste gehe. | |
| Mit den wegfallenden Parkplätzen – vor allem für die FDP im Bezirk ein | |
| Horrorszenario – hat IGEB-Sprecher Jens Wieseke dagegen keine | |
| grundsätzlichen Probleme: Es gebe rund um die Wilmersdorfer Straße genügend | |
| Parkhäuser mit ausreichend Platz, sagt er zur taz. | |
| Eines lässt sich sicher sagen: Während der Radverkehr auf der Kantstraße | |
| spürbar zugelegt hat, hat der Autoverkehr nach offizieller Zählung | |
| abgenommen. Rollten hier 2019 noch mehr als 22.000 Pkws täglich hin und | |
| her, waren es 2023 weniger als 17.000 – wobei es auch einen [3][stadtweiten | |
| Trend zu weniger Pkw-Verkehr] gibt. | |
| Sicherer ist die Straße damit auf jeden Fall schon geworden. Eine Garantie | |
| gegen schwere Unfälle kann aber auch die künftige Infrastruktur nicht | |
| geben, solange einzelne Autofahrende rücksichtslos alle Regeln brechen. | |
| 25 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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