# taz.de -- Von Notz über russische Desinformation: „Die Allgemeinheit ist n… | |
> Russische Einflussnahme auf Deutschland werde nicht genug verstanden, | |
> sagt der Grünen-Politiker Konstantin Von Notz. Er fordert auch einen | |
> anderen Umgang mit TikTok. | |
Bild: Sieht die Lage ernst: Konstantin von Notz (Grüne) | |
taz: Herr von Notz, Ihr streng verschwiegenes Parlamentarisches | |
Kontrollgremium warnt in einer sehr seltenen öffentlichen Mitteilung, dass | |
Russland in Deutschland „massiv Spionage betreibt“. Wir stünden „im | |
Mittelpunkt russischer Einflussoperationen“. Weder die Regierung noch die | |
Bevölkerung hätten „die Tragweite erkannt“. Wie dramatisch ist die Lage? | |
Konstantin von Notz: Es ist eine durchaus ernste Lage. Wir sehen seit | |
vielen Jahren Desinformationskampagnen und andere Einflussnahmeversuche. | |
Wir sehen, wie Social Media ganz bewusst eingesetzt wird, um Stimmung zu | |
machen und zu spalten. Wir erleben auch Angriffe auf unsere kritische | |
Infrastruktur und wissen, [1][dass der frühere Wirecard-Vorstand Jan | |
Marsalek offenbar ein russischer Agent war]. Und leider haben wir nicht den | |
Eindruck, dass die Regierung, das Parlament, alle Sicherheitsbehörden oder | |
auch die Medien diese Gefahr erkennen und verstehen. | |
[2][Hackingattacken auf den Bundestag], [3][der Tiergartenmord], dann der | |
Angriffskrieg gegen die Ukraine: Ist nicht längst klar, was Russland da | |
treibt? | |
Ich glaube, die Allgemeinheit ist in der Frage, wie aggressiv Russland | |
vorgeht, immer noch sehr naiv. Wir brauchen insgesamt deutlich mehr | |
Wehrhaftigkeit. Voraussetzung dafür ist ein Bewusstsein, dass es ein | |
massives Problem gibt. | |
Auch die Bundesregierung hat dieses nicht? | |
In der Wahrnehmung des Gremiums, dem ich vorsitzen darf, ist das die | |
fraktionsübergreifende Meinung. Wir haben das nicht aus Versehen | |
geschrieben. | |
Zuletzt stand vor allem die Bundeswehr im Fokus, mit dem Taurus-Leak und | |
dem laxen Sicherheitsumgang bei Videokonferenzen. | |
Das Problem reicht viel tiefer. Der unvorsichtige Umgang mit | |
Geheimschutzsachen ist nur eine Facette. Da müssen zweifellos alle | |
sensibler agieren. Wir brauchen aber insgesamt ein Bewusstsein, dass | |
massive Kampagnen laufen und wir uns dagegen besser schützen müssen. | |
Was ist Moskaus Ziel? | |
Es wird immer offensichtlicher, dass Russland massiv Einfluss nimmt, selbst | |
auf Wahlen und Referenden. Wir werden das auch diesmal wieder bei den | |
Europa- und Landtagswahlen erleben. Wenn man Europa destabilisieren will, | |
ist Deutschland einfach ein sehr relevantes Land. | |
Was droht uns konkret bei den Wahlen in Deutschland? | |
Ich habe keine Glaskugel, viele Szenarien sind denkbar: Deepfakes und | |
geleakte Kommunikationen im Vorfeld, Desinformationen über angebliche | |
Wahlmanipulationen, aber auch Angriffe auf die digitalen Übertragungswege | |
von Wahl-Ergebnissen. Wir müssen uns auf all diese Szenarien einstellen. Es | |
geht längst nicht mehr um die Frage, ob Beeinflussungsversuche stattfinden | |
werden, sondern in welcher Intensität. | |
Welche Rolle spielt dabei die AfD? | |
Die AfD macht kein Geheimnis daraus, dass sie das Sprachrohr der russischen | |
Propaganda ist. Das ist schon heute im Parlament so und wird auch in den | |
Wahlkämpfen eine massive Rolle spielen. Russland unterstützt solche | |
Parteien gezielt – europaweit. Das Ziel ist, unsere demokratische | |
Gesellschaft zu spalten. Die AfD zeigt sich durchaus erkenntlich, unter | |
anderem [4][durch die Teilnahme an „Wahl-Beobachtermissionen“,] bei denen | |
den Wahlen in Russland Scheinlegitimation gegeben wird. | |
Sehen Sie auch eine direkte Finanzierung der AfD durch Russland? | |
Das ist eine sehr relevante Frage, die die bestehenden Aufsichtsstrukturen | |
wie die Bundestagsverwaltung und unsere Sicherheitsbehörden beantworten | |
müssen. Bereits bei der vergangenen Bundestagswahl hat es sehr große | |
Kampagnen, auch und vor allem gegen die Grünen gegeben, bei der die | |
Finanzierung bewusst verschleiert war. In unserer Demokratie unterliegen | |
Parteien- und Wahlkampffinanzierung aus gutem Grund Transparenzlogiken, um | |
illegitime Einflussnahme auf den Ausgang von Wahlen zu verhindern. | |
Was also muss passieren? | |
Ganz viel. | |
Was zuerst? | |
Zuerst müssen wir an die Social-Media-Plattformen ran, die sich bis heute | |
oftmals nicht an geltendes Recht halten. Hier braucht es scharfe Kontrolle | |
durch unabhängige Aufsichtsstrukturen, die auch deutliche Sanktionen | |
aussprechen können. Der Digital Services Act der EU sieht diese vor. | |
Rechtsextreme und andere Demokratiefeinde konnten den Mangel an Regulierung | |
viel zu lange für ihre verfassungsfeindliche Agenda nutzen. Sie machen | |
überhaupt keinen Hehl daraus, [5][dass sie TikTok für den Volksempfänger | |
unserer Zeit halten]. Da muss man allein schon aus Gründen des | |
Jugendschutzes handeln. | |
Gerade erst hat TikTok die Reichweite des AfD-Europaspitzenkandidaten | |
Maximilian Krah eingeschränkt. Ein erster Schritt? | |
Die Unternehmen scheinen zu merken, dass sie handeln müssen. Aber die Frage | |
bleibt, warum das nicht längst passiert ist und nach welchen Kriterien hier | |
im konkreten Fall entschieden wird. Hier bedarf es deutlich mehr | |
Transparenz. | |
Ganz trivial ist das nicht, weil die Unternehmen ja international | |
organisiert sind. | |
Das Argument der Internationalität hat mich nie überzeugt. In allen anderen | |
Bereichen müssen sich auch andere multinationale Unternehmen an nationale | |
und EU-Gesetze halten. Auch Volkswagen ist ein internationaler Konzern. | |
Wenn der Abgaswerte manipuliert, kommen in den USA die Aufsichtsbehörden | |
und sanktionieren knallhart. Das muss auch für IT-Konzerne gelten. Doch | |
wenn Meta-Chef Mark Zuckerberg nach Berlin kommt, ging es immer eher um | |
Selfies denn Regulierung. | |
Das Papier Ihres Gremiums warnt auch, dass die Geheimdienste „vor | |
erheblichen Herausforderungen“ stehen. Brauchen diese also neue | |
Instrumente? | |
Ja, wir müssen die Sicherheitsbehörden so ausstatten, dass sie der | |
Herausforderung gewachsen sind. Wir haben nach der Wiedervereinigung | |
gedacht, das Spiel ist abgepfiffen. Aber die anderen haben einfach | |
weitergemacht. Die Spionageabwehr wurde in den letzten Jahren sträflich | |
vernachlässigt. Da braucht es wieder gut aufgestellte Abteilungen, mit mehr | |
Personal und mehr Kapazitäten. | |
Was heißt das konkret? | |
Unter anderem braucht es rechtsstaatliche und effektive Befugnisse zu | |
Finanzermittlungen durch die Nachrichtendienste – auf diesem Feld sind sie | |
bisher weitgehend blind. | |
Zuletzt kämpfte der BND indes mit einem Verrat: Ein Referatsleiter soll | |
Interna ausgerechnet an Russland weitergegeben haben. | |
Das ist ein sehr, sehr ernster Vorgang. Oft darf man sich solche Fälle | |
nicht erlauben, ohne dass die befreundeten Dienste sich abwenden. Gerade in | |
diesen Zeiten brauchen wir das Vertrauen unserer Partner. | |
Da hilft mehr Personal aber nicht. | |
Es braucht ausreichend Personal und insgesamt ein anderes | |
Problembewusstsein. Die Behörde hat bereits viel aus diesem Fall gelernt. | |
Aber unser Eindruck ist, dass über die Auswirkungen der Zeitenwende für die | |
Bundeswehr seit zwei Jahren breit diskutiert wird. Wir brauchen diese | |
Zeitenwende in allen Sicherheitsbehörden, auch bei unserem Anspruch, eine | |
resiliente Gesellschaft zu sein, gerade mit Blick auf zuhauf stattfindende | |
Sabotageaktionen. Wir haben immer noch kein Dachgesetz, mit dem wir unsere | |
kritische Infrastruktur besser schützen. Darüber reden wir seit gefühlt 100 | |
Jahren. Angesichts krass gestiegener Bedrohungslagen müssen wir endlich | |
handeln. Andere Länder sind uns deutlich voraus. | |
Welche Länder sind das? | |
Die skandinavischen Länder und das Baltikum haben ein Mindset, von dem man | |
lernen kann. Und das ist übrigens auch die klare Erwartungshaltung in | |
unsere Richtung. | |
Wie schafft man ein anderes Mindset? | |
Wir müssen eine gesamtgesellschaftliche Diskussion führen und stärker | |
sensibilisieren, zum Beispiel über öffentliche Diskussionen oder Interviews | |
wie dieses hier. So funktioniert es hoffentlich in einem demokratischen | |
Gemeinwesen: dass man ein Problem erkennt, es diskutiert und dann handelt | |
und es behebt. | |
Nach dem NSU-Versagen wurde noch über eine Abschaffung des | |
Verfassungsschutzes diskutiert. Bei Ihnen geht das jetzt in eine ganz | |
andere Richtung. | |
Die Selbstenttarnung des NSU, die Veröffentlichungen von Edward Snowden, | |
der russische Angriffskrieg, aber auch die gravierenden Verratsfälle der | |
letzten Jahre waren einschneidende Ereignisse. Gleichzeitig erleben wir, | |
dass unser Rechtsstaat von autokratischen Systemen, aber auch von | |
Rechtsextremisten so bedroht wird, wie es das vor 15 Jahren nicht gab. In | |
den USA waren die Justiz und die Dienste die widerständigen Kräfte gegen | |
die Allmachtsfantasien von Donald Trump. Sie haben sich dieser Logik, den | |
Staat zu unterwerfen, konsequent entzogen. Auf all diese Entwicklungen muss | |
man politisch reagieren. | |
Auch die Grünen forderten mal, den Verfassungsschutz auf einen Kern zu | |
reduzieren und den Rest, vor allem die wissenschaftliche Analyse, | |
zivilgesellschaftlich zu organisieren. | |
Der Verfassungsschutz bezieht inzwischen wissenschaftlichen Sachverstand | |
sehr viel stärker als zuvor mit ein. Auch die Einschätzungen der Dienste | |
haben sich drastisch verändert. Der BND weist in aller Massivität auf die | |
Gefahren hin, die von Staaten wie Russland und China ausgehen. Und der | |
Verfassungsschutz betont, dass die größte Gefahr für die Demokratie der | |
Rechtsextremismus ist. Unsere Hoffnung ist, dass veränderte Umstände | |
Institutionen und Menschen dazu bringen, sich auf neue Situationen | |
einzustellen. Wir haben alle gehofft, dass mit der Wiedervereinigung und | |
dem Ende der Ost-West-Polarisierung die Gefahr einer atomaren | |
Auseinandersetzung der Weltmächte im Herzen von Europa vorbei ist. Aber | |
jetzt stellen wir schmerzlich fest, dass es leider nicht so ist. Das | |
sollten spätestens jetzt alle begreifen. Wir müssen uns als Gesellschaft | |
endlich sehr viel resilienter und wehrhafter aufstellen. | |
21 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Sabine am Orde | |
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