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# taz.de -- Antifa-Aktivist über Nazi-Treffen: „Ein internationales Massenev…
> Am Samstag wollen Tausende Neonazis durch Ungarn marschieren. Diese
> „Wandertage“ seien nicht zu unterschätzen, erklärt Florian Gutsche.
Bild: Männer allein im Walde: Neonazis am „Tag der Ehre“ 2023 auf dem Norm…
taz: Herr Gutsche, an diesem Wochenende kommen in Budapest Neonazis aus
ganz Europa zusammen. Wie bedeutsam ist das Treffen an diesem sogenannten
„Tag der Ehre“?
Florian Gutsche: Für militante Neonazis gehört es zu den größten und
wichtigsten Vernetzungstreffen. Auf eine Art könnte man behaupten, dass das
auch am antifaschistischen Widerstand liegt.
Wie meinen Sie das?
Das Treffen in Budapest hat für die europäische Neonazi-Szene auch deshalb
an Bedeutung gewonnen, weil es bei ähnlichen Veranstaltungen andernorts in
Europa starken antifaschistischen Gegenprotest gab und diese an
Attraktivität verloren haben. In Deutschland gilt das beispielsweise für
den Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel und den sogenannten Trauermarsch
zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens. Widerspruch und Verbote nerven
die Rechten. In Budapest haben sie es einfacher.
Die Veranstaltung dort ist offiziell als eine Art Wandertreffen
organisiert, nicht als politische Demonstration. Was steckt dahinter?
Solche Events zielen nicht nur als Zeichen der Stärke nach außen, sondern
sollen vor allem stabilisierend nach innen wirken. Auch in Deutschland
lassen sich regelmäßig Wanderungen beobachten: In Norddeutschland
beispielsweise kamen [1][im Sommer VertreterInnen aus dem Umfeld der
ehemaligen Partei NPD, des neonazistischen „III. Wegs“, aber auch der
Identitären Bewegung zusammen]. Mit Mario Müller war ein Rechtsextremist
dabei, der für einen AfD-Bundestagsabgeordneten arbeitet [2][und auch durch
seine Teilnahme an dem Geheimtreffen mit AfD- und CDU-PolitikerInnen in
Potsdam aufgefallen ist.] Es sind Treffen, die in Deutschland die
Zugehörigkeit der AfD zur extremen Rechten belegen.
Neueste Enthüllungen von RTL betreffen die Junge Alternative (JA) in
Sachsen, den Nachwuchsverband der AfD, und drehen sich auch um eine
Wanderung: Da sollen sich Teilnehmende antisemitisch und rassistisch
geäußert und von Arbeitslagern gesprochen haben. AfD und JA dementieren
das.
Mich überraschen die Äußerungen leider nicht und auch nicht, dass sie auf
einer Wanderung gefallen sein sollen. In lockerem Rahmen kann man sich
eines Gemeinschaftsgefühls vergewissern und gleichzeitig neue rechte
Netzwerke knüpfen. In Budapest kommt nun hinzu, dass es ein internationales
Massenevent ist, dem in den letzten Jahren kaum etwas entgegengesetzt
wurde. Das motiviert, schafft ein Gefühl der Stärke und ist nicht zu
unterschätzen.
Wie viele Leute sind in Budapest zu erwarten?
Es werden mehrere Tausend Neonazis unterwegs sein. Bereits seit Anfang der
Woche läuft ein Begleitprogramm mit Rechtsrock-Konzerten. Das Hauptevent
ist am Samstagnachmittag eine Wanderung, die aus der Stadt hinaus führt.
Stundenlang trotten dann Menschen in Militäruniformen mit faschistischen
Abzeichen oder in Funktionskleidung von der Budapester Burg los und bis zu
60 Kilometer weit durch die Budaer Berge. Es ist beängstigend.
Reisen auch Rechte aus Deutschland an?
In den vergangenen Jahren nahmen regelmäßig Menschen aus dem militanten
Spektrum der „freien Kameradschaften“ teil, aus Vorpommern, Brandenburg und
aus Bayern und auch von den Parteien „Die Rechte“ oder III. Weg.
Welchen Hintergrund hat der „Tag der Ehre“?
In geschichtsrevisionistischer Weise wird sich auf einen „Ausbruchsversuch“
faschistischer Kräfte in Budapest während des Zweiten Weltkrieges bezogen.
In der Nacht vom 11. auf den 12. Februar 1945 versuchten Angehörige der
Wehrmacht, der Waffen-SS und ungarische Kollaborateure, die Blockade der
Roten Armee von der Budapester Burg aus zu durchbrechen. Sie weigerten sich
zu kapitulieren, weil das nicht in ihr Weltbild passte und sehr viele kamen
bei dem Versuch ums Leben. Zwei Tage später wurde Budapest befreit.
Seit wann gibt es das rechte Gedenken?
Wir sehen diese NS-Verherrlichung in Budapest nun seit 1997. Organisiert
wird sie aktuell von der paramilitärischen Truppe „Légió Hungária“ und …
ungarischen Ableger von Blood&Honour.
Der deutsche Ableger von Blood&Honour ist seit 2000 verboten.
Ja. Lange galt Blood&Honour als ein internationales Netzwerk, über das vor
allem Konzerte organisiert und damit NS-Propaganda verbreitet wurde, aber
es ist auch das Umfeld, aus dem die Unterstützer des NSU-Terror kommen.
Der neonazistische Charakter der Veranstaltungen in Budapest steht also
außer Frage?
Man sieht es an den Uniformteilen der Teilnehmenden, es gibt auch Stationen
für Stempelbücher an der Wanderroute, mit Stempeln mit Hakenkreuzen,
SA-Logo und anderer eindeutig faschistischer Symbolik. Bei einer Kundgebung
am Vormittag mitten in der Stadt wurden regelmäßig Hitler-Zitate
verbreitet. Es ist ein Schaulaufen der schauerlichsten Gestalten. In Ungarn
können sie eine Verherrlichung des Nationalsozialismus ausleben, die in
Deutschland verboten wäre. Gleichzeitig reicht das bis in die „bürgerliche�…
Mitte hinein.
Inwiefern?
Bis 2022 wurde das Treffen vom Ungarischen Wanderverband gefördert. Man hat
versucht, es als „normale“ Veranstaltung darzustellen. Der
Geschichtsrevisionismus, bei dem der Sowjetunion mindestens eine Mitschuld
am Zweiten Weltkrieg gegeben werden soll, wird auch von der Orbán-Regierung
betrieben.
Es ist also kein Zufall, dass sich Europas Neonazis gern in Ungarn treffen?
Das Event wäre andernorts so wohl nicht mehr möglich. Aber in Ungarn passt
die Stimmung: Hier patrouillieren rechte Bürgerwehren mit Billigung des
Staates an den Außengrenzen und unternehmen illegale Pushbacks von
MigrantInnen. Neonazis greifen Angehörige der Roma-Minderheit an, und der
Staat schaut zu. Die antifaschistische Szene ist marginal, und militante
Neonazis werden von der Gesellschaft nicht ausgegrenzt.
Wie stark ist der linke Protest?
Erst in den letzten Jahren wuchs der Protest zum „Tag der Ehre“ auf bis zu
400 GegendemonstrantInnen. Das ist für ungarische Verhältnisse schon
wirklich groß. Zuvor waren es teilweise nur 20 Leute.
Im letzten Jahr hat auch die Stadt Budapest die rechte Kundgebung in der
Stadt verboten.
Ja. Budapest hat einen liberal-grünen Bürgermeister. Die Neonazis sind dann
an den Stadtrand ausgewichen. Die Wanderung allerdings ist keine
Demonstration und nicht verboten. Sie findet weiter statt. Es braucht
deshalb mehr Druck vom Staat. Die VVN-BdA wird mit dem Verband der
sozialdemokratischen Freiheitskämpfer und dem KZ-Verband aus Österreich
sowie einem ungarischen und einem slowakischen Partisanenverband der
ungarischen Regierung einen Brief übergeben. Wir fordern das Verbot der
Veranstaltung.
Ihr Verband, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN),
mobilisiert 2024 stärker für den Gegenprotest. Wieso jetzt?
Wir waren auch in den letzten Jahren dort vertreten, aber mussten erst mal
Erfahrungen sammeln. In diesem Jahr organisieren wir eine gemeinsame
Anreise. Wir beteiligen uns an einer Kundgebung zum Gedenken an die Opfer
der Shoah, auf der die Überlebende Katalin Sommer sprechen wird.
Kann das gefährlich werden, mit Tausenden Neonazis in der Stadt?
Man muss immer im Kopf haben, dass etwas passieren kann. Als der
Gegenprotest in den letzten Jahren zunahm, versuchten die Neonazis auch
Angriffe und warfen beispielsweise Flaschen.
Wie reagiert die ungarische Polizei?
Die Polizei lässt die Neonazis mehr oder minder gewähren. Ich weiß in den
letzten Jahren von keiner einzigen Festnahme.
Gegen AntifaschistInnen läuft derzeit ein Prozess in Budapest.[3][Sie
sollen vor einem Jahr beim „Tag der Ehre“ mehrere Neonazis teils schwer
verletzt haben.] Ein Angeklagter hat bereits gestanden.
Auf Bildern aus dem Prozess konnten wir sehen, wie die italienische
Antifaschistin, eine 39-jährige Lehrerin, in Hand- und Fußfesseln in den
Gerichtssaal gebracht wurde. Ihr drohen bis zu elf Jahre Haft. Sogar
Italiens Außenminister fordert, sie freizulassen. Es wird nach weiteren
deutschen Verdächtigen gefahndet. Für sie darf es keine Auslieferung geben.
Die Haftbedingungen in Ungarn sind katastrophal und unmenschlich.
Auch Sie selbst waren bereits [4][von Repression betroffen – man ließ Sie
nicht nach Bulgarien ausreisen].
2023 wollte ich in Sofia den antifaschistischen Protest gegen einen
Nazi-Aufmarsch unterstützen. Das hat mir die Bundespolizei verweigert, ich
erhielt ein Ausreiseverbot für das Wochenende. Man warf mir vor, ich könnte
dem „Ansehen der Bundesrepublik im Ausland“ schaden. [5][Ich klage noch
dagegen].
9 Feb 2024
## LINKS
[1] /Ausflug-zum-Nazi-Erbe/!5946458
[2] /AfD-Mitarbeiter-Mario-Mueller/!5983336
[3] /Fahndung-gegen-Linksaussen/!5985352
[4] /Vorsitzender-der-VVN-BdA/!5920739
[5] /Klage-gegen-Ausreiseverbot/!5942055
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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