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# taz.de -- Ökonom zur Konjunktur 2024: „Es wird massive Einschnitte geben“
> Kann die sozial-ökologische Transformation trotz geplanter
> Haushaltskürzungen der Ampel gelingen? Der Ökonom Rudolf Hickel hat
> einige Zweifel.
Bild: Kipppunkt mal anders: Schwertransport des Flügels eines Windrads im Schw…
taz: Herr Hickel, die deutsche Konjunktur steht auf der Kippe, kurz vor
Jahresende löste das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Schuldenbremse eine der größten Haushaltskrisen der Nachkriegsgeschichte
aus, die nun vorerst gelöst scheint. Wie zuversichtlich sind Sie für 2024?
Rudolf Hickel: Nach den derzeitigen Prognosen stagniert die Wirtschaft
vermutlich. Allerdings mit dem Risiko, in die Rezession abzugleiten. Durch
die erfolgreiche Tarifpolitik der Gewerkschaften konnten zumindest
Kaufkraftverluste durch die Inflation gebremst werden.
Woher kommt das Risiko?
Abgesehen von den Mehrfachkrisen wirken derzeit zwei Krisentreiber: Die
Geldpolitik hat ohne großen Einfluss auf die Inflation wegen der höheren
Finanzierungskosten öffentliche und private Investitionen belastet – vor
allem auch den Wohnungsbau. Hinzu kommt die restriktive Finanzpolitik mit
der Rückkehr zur investitionsbremsenden Schuldenbremse, zu der das
Karlsruher Urteil die Politik gezwungen hat.
Die Ampelkoalition verspricht nun, dass auch mit dem neuen Haushalt 2024 in
den Klimaschutz investiert und ein Einschnitt bei den Sozialausgaben
vermieden werden kann. Glauben Sie das?
[1][Die Haushaltsplanung] entpuppt sich unter dem Druck der Rückkehr zur
engstirnigen Schuldenbremse im Einjahresrhythmus als Vabanquespiel. Bei
allen Streitereien der Ampel-Parteien ist doch klar: Es wird massive
Einschnitte bei den dringlichen Investitionen in den ökologischen Umbau
geben. Vor allem ist die Planungssicherheit durch den bis 2027 angelegten
Klima- und Transformationsfonds weggefallen, weil Kreditermächtigungen auf
Abruf nun verboten sind. Jetzt muss die Finanzierung im jeweiligen Jahr aus
dem regulären Haushalt gesichert oder die „außerordentliche Notlage“
ausgerufen werden. Und das bei Verzicht auf Steuererhöhungen bei den
ökonomisch Starken und Vermögenden! Diese Planungsunsicherheit infolge des
Urteils zur Schuldenbremse belastet übrigens die Unternehmen bei ihren
Investitionen.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Die für den ökologischen Umbau noch nicht genehmigten
Subventionen zum Umbau von der fossilen zur grünen Stahlproduktion müssen
jetzt aus dem regulären Haushalt finanziert werden. So konnte gerade eine
Zusage mit 2,6 Milliarden Euro für [2][die Stahlindustrie im Saarland]
durchgesetzt werden. Doch woher die Finanzmittel kommen, ist ungewiss.
Dabei wäre es sinnvoll, per Kreditfinanzierung über mehrere Jahre das Erbe
einer besseren Umwelt für nachfolgende Generationen in diesem wichtigen
Produktionsbereich zu erzeugen.
In der Klimawissenschaft ist derzeit viel von Kipppunkten die Rede. Gibt es
auch ökonomische Kipppunkte, die in Deutschland drohen, also Probleme, die
2024 angegangen werden müssen, weil es ansonsten zu spät ist?
Die ökologische Transformation werden wir mit den vorgegebenen
Haushaltsmitteln nicht bewerkstelligen können. Insofern wird das kommende
Jahr die Wahrscheinlichkeit weiterer Kipppunkte erhöhen. Die Kipppunkte zu
vermeiden ist heute die Megaaufgabe einer verantwortungsvollen Finanz-,
aber auch Geldpolitik. Durchaus im Sinne der „schöpferischen Zerstörung“
nach dem großen Ökonom des 20. Jahrhunderts, Josef Schumpeter, geht es
darum, durch den Ausstieg aus dem bisherigen scheinbaren Wohlstand auf
fossiler Basis den ökologisch nachhaltigen Wohlstand zu schaffen. Da wird
auch kurzfristig die politisch gewollte Erhöhung der Energiepreise zum
Problem.
Inwiefern?
Kurzfristig belastet die Abschaffung der Bremsen für Energiepreise die
Konjunktur. Auch bei den Unternehmen ist die Belastung unübersehbar. Sie
schieben dadurch klimapolitisch notwendige Investitionen auf die lange
Bank. Wir müssen beim ökologischen Umbau fiskalische Brücken bauen, mit
denen das neue Ufer zu erreichen ist. Doch das ist leider mit der
Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form nicht drin. Wenn die Politik sie
nicht wieder abschafft, muss die Schuldenbremse zumindest reformiert
werden.
Ist eine baldige Reform der Schuldenbremse realistisch? Schließlich bedarf
es dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – neben der FDP müsste auch
die Union mitmachen.
Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen ist damit nicht zu rechnen. 2024
werden die Krisenfolgen durch die Schrumpfpolitik es erneut notwendig
machen, sich endlich von der engstirnigen Ein-Jahres-Schuldenbremse zu
verabschieden. Um Schlimmstes zu verhindern, wird der Rückgriff auf die
„außerordentliche Notlage“ und damit der Kreditfinanzierung sicherlich
unvermeidbar. Politisch größere Chancen hat die Idee, den Klimafonds
vergleichbar dem Sondervermögen Bundeswehr mit einem Kreditvolumen von 500
Milliarden Euro für die kommenden 10 Jahre einzurichten.
29 Dec 2023
## LINKS
[1] /Bundeshaushalt-2024/!5977484
[2] /Stahlindustrie-im-Saarland/!5973232
## AUTOREN
Simon Poelchau
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