# taz.de -- Bundeshaushalt 2024: Die Berechnung der Ratlosigkeit | |
> Die Bundesregierung hat nach langem Ringen einen Plan. Preise für Heizung | |
> und Strom könnten steigen. | |
Bild: Wie teuer werden Heiz- und Stromkosten? Das fragen sich viele seit dem Am… | |
BERLIN taz | Die Bundesregierung muss ihren kleinsten gemeinsamen Nenner | |
finden, und das ist hier durchaus mathematisch gemeint. Wie lassen sich die | |
Brüche der eigenen Positionen jetzt noch einmal zu einem Ergebnis addieren? | |
Die Bundesregierung verkündete Mitte der Woche, eine Lösung für das Problem | |
gefunden zu haben, Sozialausgaben, Klimaschutz und das Sparziel im Haushalt | |
mathematisch zusammenzubringen. Doch weil die Herleitung der Formel fehlt, | |
wirft das Ergebnis Fragen auf. | |
Im Finanzplan für das kommende Jahr fehlen etwa 17 Milliarden Euro, hinzu | |
kommt noch ein Loch von etwa 12 Milliarden Euro im sogenannten Klima- und | |
Transformationsfonds (KTF), einem riesigen Fördertopf, mit dem die | |
Regierung den klimagerechten Umbau der Wirtschaft vorantreiben will. Da | |
sich die Bundesregierung nun erneut zur Schuldenbremse im Haushalt bekennt, | |
muss sie sparen, um die Löcher zu stopfen. | |
„Die grundsätzliche Einigung bedeutet nicht, dass wir bereits in diesem | |
Moment alle Fragen im Detail beantworten könnten“, sagte die | |
stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Fast schon | |
slapstickhaft wirkte daraufhin aber, dass Hoffmann und die Sprecherinnen | |
und Sprecher der Ministerien nicht nur keine Antworten „auf alle Fragen im | |
Detail“ hatten, sondern auch auf keine allgemeinen Fragen. Das war am | |
Freitag dieser Woche, [1][zwei Tage nachdem der Plan zur Lösung für die | |
Haushaltsmisere verkündet worden war]. | |
Das kann eigentlich nur daran liegen, dass in den entsprechenden Berliner | |
Regierungsbehörden derzeit weiterhin mathematische Tabellen hin und her | |
geschoben werden, um irgendwie zu unterlegen, worauf sich Bundeskanzler | |
Olaf Scholz (SPD) mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und | |
Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Mittwoch verständigt hat. Ihr | |
Kompromiss sieht vor, dass die Regierung 2024 die Schuldenbremse im | |
Haupthaushalt wieder einhält. Daran soll auch das Verfassungsgericht nichts | |
ändern, nach dessen Urteil die Bundesregierung mit dem Rücken zur Wand | |
stand. Mit der Entscheidung aus Karlsruhe konnte die Regierung alte | |
Kredite, die zu einem anderen Zweck aufgenommen waren, nicht mehr | |
weiterverwenden. | |
## Kürzungen im Entwicklungsministerium | |
„Wir müssen aber mit deutlich weniger Geld auskommen“, sagte Scholz am | |
Mittwoch vor den Kameras. Zusammen mit Habeck und Lindner erklärte er | |
jedoch noch einmal drei Leitlinien für die Regierungsarbeit seiner | |
Koalition: den Klimaschutz voranbringen, sozialen Zusammenhalt | |
gewährleisten und die Ukraine weiter unterstützen. Dass gerade Letzteres | |
doch noch ein Argument sein könnte, im kommenden Jahr mehr Schulden | |
aufzunehmen, machte der Kanzler im Bundestag deutlich. | |
Die Bundesregierung will ihre Unterstützung für die Ukraine, also 8 | |
Milliarden Euro für Waffen und 6 Milliarden Euro für Geflüchtete, zwar aus | |
dem regulären Haushalt zahlen, möchte diese Hilfen aber außenpolitisch | |
absichern. Etwa wenn die Lage an der Front sich verschlechtert oder sich | |
andere Unterstützer zurückziehen, prüft die Regierung, den Bundestag zu | |
bitten, erneut eine Notlage zu erklären, die es erlauben würde, die | |
Schuldenbremse auszusetzen. Die Bundesregierung überlegt außerdem, ob in | |
dem Fonds, der den Wiederaufbau nach den Hochwasserschäden im Ahrtal | |
finanziert, eine Überschreitung des Kreditrahmens verfassungsrechtlich | |
möglich wäre. | |
In einem Papier, welches das Finanzministerium einige Stunden nach der | |
Regierungserklärung von Scholz am Mittwoch verschickte, heißt es, man senke | |
die Plafonds einzelner Ministerien ab „und werde Einsparpotenziale in ihren | |
Bereichen heben“. Genannt werden die Ministerien für Wirtschaft, Verkehr, | |
Bildung, Entwicklung, Landwirtschaft und Umwelt sowie das Auswärtige Amt. | |
Doch auch einige Tage später ist die Lage nicht viel übersichtlicher. | |
Aus dem Entwicklungsministerium heißt es, man werde wohl einen kleinen | |
dreistelligen Millionenbetrag kürzen müssen. Wo genau, werde hoffentlich im | |
Januar bekannt. Aber so viel könne man schon heute sagen: „Das wird | |
schmerzhaft und hart.“ Ursprünglich hatte sich die Koalition mal | |
verpflichtet, dass die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit im | |
Verhältnis eins zu eins mit den Verteidigungsausgaben steigen. | |
[2][Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) betont bei jeder | |
Gelegenheit], dass Entwicklungshilfe nachhaltige Sicherheitspolitik sei. | |
Denn jeder Euro, den man in Bildung, Infrastruktur und Jobs vor Ort | |
investiere, verhindere Terror, Gewalt und neue Flüchtlingsströme. Lindner | |
konnte sie damit nicht überzeugen. Ein gemeinsames Papier, das auflistet, | |
wie sich die 17 Milliarden zusammensetzen, fehlt bis heute. „Also rechnet | |
jetzt jeder für sich allein“, heißt es aus Regierungskreisen. | |
## Teuerung beim Strom | |
Die Bundesregierung muss spätestens zum 11. Januar für die Anhörung im | |
Haushaltsausschuss die Eckpunkte ihrer Finanzplanung klar machen. Am 18. | |
Januar soll dann schon die sogenannte Bereinigungssitzung stattfinden, | |
bevor der Haushalt für 2024 am 2. Februar im Bundestag und mit möglicher | |
Fristverkürzung dann auch schon im Bundesrat beschlossen werden kann. | |
Interessanterweise war es Lindner, der bei dem Auftritt mit Scholz und | |
Habeck am Mittwoch verkündete, dass trotz der angekündigten Sparmaßnahmen | |
„keine Reduzierung sozialer Standards geben“ werde. Heißt das, alle | |
können sich nun zurücklehnen? | |
Fest steht: Der CO2-Preis soll schneller ansteigen als von der Ampel bisher | |
gedacht. Derzeit sind es 30 Euro pro Tonne, ab kommendem Jahr soll er dann | |
45 Euro betragen. Geplant waren eigentlich 40 Euro. Damit müssen sich | |
Verbraucher*innen auf höhere Benzinpreise und Heizkosten einstellen. | |
Der ADAC schätzt, dass ein Liter Benzin dann im Vergleich zu 2023 etwa um | |
4,3 Cent und Diesel um etwa 4,7 Cent verteuert. Hinzu kommt: Ab Januar soll | |
die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme wieder von 7 auf 19 Prozent | |
heraufgesetzt werden. Der Kompromiss von Habeck, Scholz und Linder sieht | |
außerdem vor, dass die Bundesregierung den Milliardenzuschuss zu den | |
Stromnetzentgelten streicht. Der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz schätzt, | |
dass dadurch die Stromrechnung für einen Haushalt mit 3.500 Kilowattstunden | |
Jahresverbrauch im Durchschnitt um 60 Euro verteuern wird. | |
## Klimageld scheint passé | |
Eigentlich hatte sich die Ampelkoalition vorgenommen, [3][als sozialen | |
Ausgleichsmechanismus ein Klimageld] zu entwickeln, „um einen künftigen | |
Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu | |
gewährleisten.“ So steht es im Koalitionsvertrag der Ampel. Doch das | |
scheint bislang nicht in Planung zu sein. | |
Beunruhigt ist Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen | |
Gesamtverbands, weil etwa beim Bürgergeld der Weiterbildungsbonus „ein | |
Leistungsbestandteil ersatzlos“ weggestrichen werden solle. Das sei „eine | |
Kürzung“. Mit Sorge blicke er auch auf das Wohngeld. | |
Laut einem Papier des Bundesfinanzministeriums, das auch der taz vorliegt, | |
wird im kommenden Jahr die Wohngeldveranschlagung um 270 Millionen Euro | |
abgesenkt. | |
Für Schneider ergibt das keinen Sinn. „Die Menschen haben einen | |
Rechtsanspruch darauf.“ Mit weniger Geld dafür zu rechnen, ginge seiner | |
Meinung nach nur „durch Leistungsabsenkungen oder durch eine Verkleinerung | |
des anspruchsberechtigten Empfängerkreises“. | |
## Wohl keine Kürzungen beim Wohngeld | |
Die Wohngeldreform, die seit Anfang des Jahres gilt, ging innerhalb der | |
Ampel ziemlich geräuschlos über die Bühne. Seit dem wurde das Wohngeld im | |
Schnitt verdoppelt und der Empfängerkreis verdreifacht. Es soll Entlastung | |
schaffen für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, die keine | |
Sozialhilfe beziehen. | |
Neu eingeführt wurde unter anderem, dass Nebenkosten berücksichtigt werden, | |
um die Energiepreissteigerungen besser abfedern zu können. Durch die höhere | |
CO2-Abgabe im kommenden Jahr und durch Mehrwertsteuererhöhungen bei Gas und | |
Strom, „werden die Energiekosten also absehbar steigen für die Haushalte“, | |
gibt Schneider zu bedenken. Das drücke eher aufs Wohngeld und mache mehr | |
Menschen anspruchsberechtigt. „Es bräuchte also eigentlich eine | |
Ausgabenausweitung“, fordert er. | |
Das Bauministerium versichert auf Nachfrage, dass es zu keinen Kürzungen | |
beim Wohngeld kommen werde. Bei weiteren Nachfragen zu eventuellen | |
Einsparungen, gibt sich das SPD-geführte Bauministerium aber auch | |
zugeknöpft. „Weitere Informationen zur Entwicklung von Förderprogrammen | |
oder möglichen Einsparungen im kommenden Jahr können wir aktuell noch nicht | |
geben“, sagte ein Sprecher der taz. Hier sei „der Beschluss des | |
Bundeskabinetts zum Haushalt 2024 abzuwarten.“ | |
Scharfe Kritik kommt derweil aus der Arbeitsagentur, in deren Posten nach | |
eigenen Angaben Kürzungen von jeweils 1,5 Milliarden Euro in den Jahren | |
2024 und 2025 und von 1,1 Milliarden Euro in den Jahren 2026 und 2027 | |
vorgesehen sind. „Der Bundesagentur für Arbeit Geld wegnehmen, ist nicht | |
Sparen, sondern das Verschieben von Problemen in die Zukunft“, erklärte | |
Verwaltungsratsvorsitzende Anja Piel. Die stellvertretende Vorsitzende des | |
Verwaltungsrats Christina Ramb ergänzte: „Beitragsmittel der | |
Arbeitslosenversicherung sind kein Sparbuch. Die Bundesregierung kann nicht | |
auf die Beitragskasse nach Belieben zugreifen.“ | |
Die Bundesregierung gab sich auch gegenüber dieser Kritik bislang | |
zugeknöpft. Der Bundeskanzler habe von schwierigen Abwägungen gesprochen, | |
die getroffen werden müssten, sagte die stellvertretende | |
Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag. Die Bruchrechnung | |
für den kleinsten gemeinsamen Nenner, sie wird wohl noch eine Weile | |
dauern. | |
15 Dec 2023 | |
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[1] /Einigung-im-Haushaltsstreit/!5976249 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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