# taz.de -- Warum es beim Bundeshaushalt hakt: Frage von Geld und Gleichgewicht | |
> Die Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2024 dauern an. Das | |
> Staatsverständnis von SPD und Grünen kollidiert mit dem Individualismus | |
> der FDP. | |
Bild: Irgendwas liegt hier schief | |
BERLIN taz | Die Ampelkoalition hat Gleichgewichtsprobleme. Deswegen zogen | |
sich die Finanzverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP [1][in den | |
vergangenen Tagen in die Länge]. Es geht um Grundsätzliches, nicht nur um | |
ein paar Milliarden Euro. | |
Die Einigung über einen neuen Plan für den Bundeshaushalt 2024 bereitet der | |
Regierung sichtlich Schwierigkeiten. Verschiedene Vorschläge kursieren, die | |
jeweils den Lieblingsideen der drei Parteien entsprechen. Allerdings fehlt | |
bisher die Kompromisslinie. Vor drei Wochen war der Haushalt fast | |
beschlossen. Dann platzte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts | |
dazwischen. Daraufhin forderte die SPD, die Hängepartie bis zu ihrem | |
Parteitag am Wochenende abzuschließen. Anscheinend vergebens: Wie | |
SPD-Politikerin Katja Mast einräumte, wird der Bundestag den Etat erst im | |
neuen Jahr beschließen können. | |
Die Probleme liegen darin begründet, dass [2][das Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts vom 15. November] die bisherige Balance der | |
Ampel-Regierung zerstört hat. Vorher waren sich die drei | |
Koalitionspartnerinnen einig, Staatsschulden aus den Jahren 2021 und 2022 | |
für Ausgaben von 2023 und den Folgejahren aufzusparen und umzuwidmen. | |
Diesen Weg stufte das Gericht als Verstoß gegen die im Grundgesetz | |
festgeschriebene Schuldenbremse ein. Die Schuldenregel ab diesem Jahr | |
wieder einzuhalten, was FDP-Parteichef und Finanzminister Christian Lindner | |
am Herzen liegt, und gleichzeitig viel Geld für Klima- und Industriepolitik | |
auszugeben, was sich SPD und Grüne wünschen, funktioniert so nicht mehr. | |
Der Koalition fehlen in ihrem Klima- und Transformationsfonds 60 Milliarden | |
Euro für die kommenden Jahre. Im Budget für 2024 klafft bisher eine Lücke | |
von 20 bis 30 Milliarden Euro. | |
## Hilft die Notfallklausel? | |
Also ist die Koalition in Not. Daher hat unter anderem die | |
SPD-Ko-Vorsitzende Saskia Esken vorgeschlagen, sich auf die im Grundgesetz | |
vorgesehene Notfallklausel zu berufen, um die Schuldenbremse für 2024 | |
nochmals zu umgehen. Eine andere Idee kommt aus grüner Richtung: | |
Steuersubventionen kürzen, etwa für [3][die Förderung großer Firmenwagen]. | |
Doch beides ist mit der FDP nicht zu machen – jedenfalls nicht in Reinform. | |
Wie CDU und CSU erheben die Liberalen die Schuldenbremse in den Rang der | |
Zehn Gebote. Gleichzeitig verteufeln sie offiziell jegliche | |
Steuererhöhungen, also auch die Abschmelzung von Steuererleichterungen wie | |
der Förderung von Dienstwagen. So weit die Ideologie. | |
Kommt es jedoch hart auf hart, zeigt sich Bundesfinanzminister Lindner | |
pragmatisch. So legte er kürzlich [4][einen Nachtragshaushalt] für 2023 | |
vor, der die Schuldenbremse doch wieder umgeht. Eine andere, realistische | |
Lösung gab es nach dem Urteil des Verfassungsgerichts nicht. | |
Andererseits betont der FDP-Politiker, der Staat müsse grundsätzlich mit | |
dem Geld auskommen, das er hat, und dürfe nicht ständig neue Finanzquellen | |
erschließen. Demzufolge plädieren die Liberalen für Umschichtungen im | |
Haushalt, was auch Kürzungen von bisher geplanten Ausgaben bedeuten würde. | |
Gefordert wurde unter anderem, die geplante Erhöhung des Bürgergeldes | |
Anfang 2024 deutlich geringer ausfallen zu lassen. Die Entwicklungshilfe | |
identifiziert die FDP als weiteres Feld, das sich mähen ließe. SPD und | |
Grüne erklären dagegen in den meisten Fällen, Kürzungen ließen sich aus | |
diesen oder jenen Gründen nicht realisieren. | |
Die aktuellen Konflikte gehen den drei Parteien so an die Nerven, weil sie | |
auf Unterschieden der politischen Philosophien beruhen. Die FDP denkt vom | |
Individuum her, mehr als SPD und Grüne. Im Zentrum des FDP-Weltbildes steht | |
der eigenverantwortliche Mensch. Für die Liberalen ist es wichtig, dass die | |
Privathaushalte und die privaten Unternehmen, die jenen gehören, einen | |
möglichst großen Entscheidungsspielraum genießen. Das hält die FDP für die | |
zentrale Voraussetzung einer guten Entwicklung, im Idealfall von | |
Fortschritt. | |
## Rechtsliberale Antwort der FDP | |
So erklärt es sich, dass die Partei von Christian Lindner in Finanzfragen | |
oft dafür eintritt, die Steuerzahlungen der Individuen an die Gemeinschaft | |
nicht zu erhöhen, sondern zu senken, die Sozialleistungen des Staates an | |
Bedürftige zu begrenzen, den öffentlichen Haushalt im Zaum zu halten und | |
die staatliche Verschuldung zu beschränken. Wobei man dieses Programm | |
durchaus als rechtsliberal bezeichnen kann. Die FDP in der sozialliberalen | |
Koalition der 1970er Jahre war eher linksliberal und sozialstaatlich | |
geprägt. Aus dieser Zeit sind nur wenige Positionen und Personen übrig | |
geblieben – etwa der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum. | |
Die liberale Tradition der Bürgerrechte ist auch bei den Grünen zu finden, | |
zugleich hat die Partei kräftige linke Wurzeln. Sie und mehr noch die SPD | |
denken eher von der Gemeinschaft aus. Im Zentrum ihrer Weltbilder steht das | |
Funktionieren der Gesellschaft, in der die Individuen verankert sind. | |
Deswegen finden sie die Idee sympathisch, dass der Staat als Organisation | |
der Gemeinschaft die Privathaushalte unterstützen sollte. Höhere Steuern | |
und Staatsausgaben, umfangreiche öffentliche Budgets und Interventionen in | |
den Markt genießen bei Grünen und SPD daher mehr Unterstützung als bei den | |
Liberalen. | |
Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Staat ist in der | |
Ampel-Regierung möglicherweise stärker ausgeprägt als in früheren Großen | |
Koalitionen aus SPD und Union, in der beide Seiten auch stark etatistische | |
Züge an den Tag legten. Nun aber regiert eine Konstellation aus SPD, Grünen | |
und FDP. | |
Dieses Bündnis wurde auf Bundesebene vorher noch nicht ausprobiert. | |
Vorteil: Es verspricht – oder muss man schon sagen: „versprach“? – eine | |
breite gesellschaftliche Verankerung von Mitte-rechts bis Mitte-links und | |
gleichzeitig die Aussicht, Staat und Wirtschaft zu modernisieren. Nachteil: | |
Eventuell machen die zentrifugalen Tendenzen das Dreierbündnis | |
handlungsunfähig. Wobei auch klar ist: Bis zu 30 Milliarden Euro | |
aufzutreiben ist angesichts eines Haushaltes von ungefähr 450 Milliarden | |
Euro eine Aufgabe, die jede Regierung an den Rand der Verzweiflung bringen | |
würde. | |
10 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Klimaschaedliche-Subventionen/!5974214 | |
[2] /Grundsatzurteil-zu-Haushalt/!5969801 | |
[3] /Klimaschaedliche-Subventionen/!5974214 | |
[4] /Haushaltsstreit-in-Berlin/!5974086 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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