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# taz.de -- Ein schlechtes Jahr für die Grünen: Allein auf grüner Flur
> Ohne Anreize und Verbote lässt sich keine effektive Klimapolitik machen.
> Doch die Mehrheiten dafür haben sich in diesem Jahr pulverisiert.
Bild: Im Durchhalten machte ihr kaum einer was vor, die Grünen können sich vo…
War 2023 das „annus horribilis“ der Grünen, 31 Jahre nach dem schrecklichen
Jahr der Queen selig? Man muss das nicht so sehen, denn die Ökos konnten
sich eine stabile Kernwählerschaft von etwa 14 Prozent bewahren, und auch
ihre Regierungsbilanz ist nach zwei Jahren Ampel nicht so schlecht wie die
Stimmung. Wichtige Gesetze für den Ausbau der Erneuerbaren wurden
angeschoben, sinnvolle Vorhaben wie der Aktionsplan natürlicher Klimaschutz
sind noch im Gesetzgebungsprozess und auch nach dem Haushaltsurteil aus
Karlsruhe bislang noch nicht tot.
Es ist allerdings nicht alles gut, der Schrecken liegt woanders, und zwar
in einem unscheinbaren Satz des [1][hessischen Ministerpräsidenten Boris
Rhein]. Der befand, als er sich von den Grünen ab und der noch braveren SPD
zuwandte: „Die Menschen sind bereit zu Änderungen, aber sie wollten nicht
bevormundet werden“ – eine Variante des Geredes von den Grünen als
„moralinsaurer [2][Verbotspartei]“. Übersetzen lässt sich beides als eine
Absage an Klima- und Naturschutzpolitik mit ordnungspolitischen Mitteln.
Und das ist wirklich schlecht.
Als Konsumentin interessiert mich an Heizungen, Autos oder
Elektronikprodukten nämlich eigentlich nur zweierlei: Sie müssen
zuverlässig ihren Zweck erfüllen, und ich muss sie bezahlen können. Mehr
nicht. (Das mit den Statussymbolen lassen wir hier mal weg.) Angesprochen
als Verbraucherin, die ihre Wohnung warm bekommen, die Kinder von A nach B
transportieren und im Sommer Geld für eine Reise übrig haben möchte, ist
die beste Wahl bei einem Neukauf deshalb derzeit: eine Gasheizung, ein
gebrauchter Benziner und irgendein von in seriösen Produkttests als gut
befundener Laptop.
Weitere Ansprüche stelle ich an diese Dinge als Bürgerin: Da erwarte ich,
dass ihre Produktion und Nutzung die Naturkrise nicht befeuert und ihre
Hersteller die Menschenrechte achten. Natürlich kann ich diese Erwartungen
auch in meine Kaufentscheidungen als Konsumentin einbeziehen. Aber dann
müsste ich mich häufig gegen eigene Interessen wenden: teurere, schlechter
handhabbare Produkte kaufen. Ein kleines Elektroauto bietet nicht die
Reichweite wie eine Benzin-Dreckschleuder. Eine Gasheizung wärmt ein altes
Haus leiser und billiger als eine Wärmepumpe. Warum sollte ich tun, was
auch die anderen aus guten Gründen lassen?
## Bloßes Wissen über die Umweltkrise ändert nichts
Die Erkenntnis ist nicht neu. Längst folgerten Transformationsforscher
daraus, der sozialökologische Umbau könne nur in einem Dreiklang erfolgen:
Intensive Informationen für die Bürger:innen über die Naturkrise sowie
Lösungsmöglichkeiten. Dabei gilt es, Vorteile zu betonen, die diese dabei
für den Einzelnen haben können – etwa, dass weniger Autos nicht nur die
Ressourcen schonen, sondern auch Städte lebenswerter machen; oder dass
klima- und biodiversitätsfreundliches Essen meistens auch gesund ist.
Zweitens braucht es Anreize, etwa Subventionen für energetische Sanierungen
von Häusern oder ein ausfinanziertes Deutschlandticket, das den Umstieg auf
den ÖPNV und das Fahrrad befördert. Drittens und nicht zuletzt sind auch
ordnungspolitische Einschränkungen nötig, also Verbote schädlicher Produkte
und Verhaltensweisen. Sie setzen gutem Verhalten einen verlässlichen
Rahmen, der für alle gleich gilt.
Eine Partei, die der Krise von Klima und Natur ernsthaft begegnen will,
wird ohne Erklärung und Begründung („Moral“) und einen neuen Rahmen für …
Einzelnen (Anreize und Verbote) nicht auskommen. Der Satz von Boris Rhein
über die wandlungsfreudigen, aber freiheitsliebenden Bürger war also eine
klimapolitische Kapitulationserklärung, ein Versprechen, das Notwendige
garantiert nicht anzupacken. Und es sagt eigentlich alles über die
Transformationsbereitschaft der Sozialdemokraten, dass sie dem nicht
widersprechen. Nur das Wissen über die Naturkrise und der ungefähre Wille
nach irgendwie „mehr Klimaschutz“ verändern gar nichts.
Aber die beiden Volksparteien haben natürlich einen Punkt. Denn die
Zustimmung für eine Politik, die den Schutz von Klima und Biodiversität ins
Zentrum stellt, nimmt ab. Die politischen Mehrheiten verschieben sich auch
in Deutschland nach rechts. Zumindest im Moment bedeutet dies, dass einer
Partei, die einen neuen Rahmen für nachhaltiges Verhalten setzen will,
dafür keine Koalitionspartner mehr zur Verfügung stehen. Schon heute lässt
sich in den ostdeutschen Bundesländern beobachten, was den Grünen in
Bündnissen mit Volksparteien droht, die sich aus Angst vor dem Wahlvolk von
der Klima- und Umweltpolitik verabschiedet haben.
## Angst vor den Wählern
Als die grüne Gesundheitsministerin in Brandenburg nach jahrelanger Arbeit
im Herbst die Ernährungsstrategie der Landesregierung vorstellen wollte, in
der – wenig originell und auf dem Stand der Debatte – Pflanzenkost dem
Fleischkonsum vorgezogen wurde, da grätschte ihr eine sozialdemokratische
Kabinettskollegin derart dämlich dazwischen, dass es kaum zu ertragen war
(googeln Sie mal [3][Brandenburg, SPD und Currywurst]). Am Ende wurde aus
der Strategie der Landesregierung eine schmale Ressortstrategie des
Gesundheitsministeriums. Dieser Beispiele gibt es einige.
In Brandenburg – wie auch in Sachsen – sind grüne Inhalte nicht mehr
umzusetzen. Es geht dort einzig darum, in den Landesparlamenten
[4][Mehrheiten jenseits der AFD zu sichern]. SPD und CDU betreiben dabei
ein gefährliches Spiel: Weil ihre Strategen offenbar davon ausgehen, dass
sie mit Kritik an den Grünen und grünem Lebensstil bei den
AFD-Sympathisanten punkten, entfernen sie sich nicht nur aus Angst, sondern
auch aus Taktik von einer Politik, die Klima, Ressourcen und Natur schützt.
Und nun? Keine Ahnung.
1992 sei kein Jahr gewesen, auf das sie „mit ungeteilter Freude
zurückgeblickt“ habe, sagte die Queen in ihrer Rede zu harten Zeiten. Na
ja, Königin geblieben ist sie dann noch 30 Jahre.
18 Dec 2023
## LINKS
[1] /CDU-SPD-Koalitionsvertrag-in-Hessen/!5976320
[2] /Gruenen-Vorsitzende-ueber-ihre-Bilanz/!5970997
[3] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/10/brandenburg-ernaehrungsstrateg…
[4] /AfD-in-Regierung-verhindern/!5977533
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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