| # taz.de -- Diskussion um Schuldenbremse: Die Billionen-Euro-Aufgabe | |
| > Ökonomen plädieren für eine Reform der Schuldenbremse. Angesichts der | |
| > nötigen Transformation beurteilen sie Sparen für schädlich. | |
| Bild: In den kommenden Jahren müssen große Milliardensummen in die öffentlic… | |
| Berlin taz | Angesichts der [1][aktuellen ökonomischen Lage und der | |
| anstehenden Transformation] sprechen sich Ökonom*innen für eine Reform | |
| der Schuldenbremse aus. „In den kommenden Jahren geht es nicht nur um den | |
| Ausstieg aus dem Krisenmodus. Wir stehen auch vor einem massiven Umbau | |
| unserer Wirtschaft und Infrastruktur für mehr Klimaschutz und Resilienz“, | |
| schreibt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der | |
| gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in einer am Montag | |
| veröffentlichten Studie. Notwendige Investitionen seien schwer im Rahmen | |
| der Schuldenbremse zu finanzieren, insbesondere in der aktuellen Situation, | |
| in der der Bundeshaushalt krisenbedingt noch weit vom Ausgleich entfernt | |
| sei. | |
| Laut IMK-Schätzung wird die deutsche Wirtschaft im vergangenen und in | |
| diesem Jahr um jeweils 0,3 Prozent schrumpfen. Ende 2024 könnte das | |
| Bruttoinlandsprodukt somit wieder auf dem Niveau von 2019 landen, | |
| unmittelbar bevor die Coronapandemie ausbrach. Ein Grund für die | |
| gegenwärtige Rezession ist, dass die Bundesregierung nach dem Urteil des | |
| Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse verstärkt spart. Insgesamt | |
| drücken die staatlichen Sparmaßnahmen die Wirtschaftsleistung laut den | |
| Ökonom*innen 2023 um 0,8 Prozent. | |
| Es bestehe die Gefahr, dass sich diese konjunkturellen Tendenzen fortsetzen | |
| und verhärten, warnt IMK-Direktor Sebastian Dullien, und private Haushalte | |
| und Unternehmen in eine „Stagnationserwartung“ verfallen. Diese könne auf | |
| längere Zeit die Wirtschaftsdynamik lähmen, etwa weil private Haushalte | |
| Käufe und Unternehmen Investitionen aufschieben. Auch der Arbeitsmarkt | |
| könne „kippen“ und die Arbeitslosigkeit deutlich steigen. | |
| Gleichzeitig läuft der Strukturwandel bereits. „Er kann unseren Wohlstand | |
| stärken, wenn wir ihn gut gestalten. Er kann unseren Wohlstand in Gefahr | |
| bringen, wenn wir ihn nicht angemessen und ausreichend flankieren“, so | |
| Dullien. Ersteres brauche jetzt Geld für Investitionen. Letzteres werde | |
| die Staatsfinanzen der Zukunft bedrohen. | |
| ## Die goldene Regel | |
| Dullien dringt deshalb auf eine [2][Reform der Schuldenbremse]. Dem | |
| Ökonom schwebt eine Ergänzung der Schuldenbremse um eine „goldene Regel“ | |
| vor, mit der Investitionen künftig von der Schuldenbremse ausgenommen | |
| werden sollen. Diese würde eine Verstetigung öffentlicher Investitionen | |
| ermöglichen und gleichzeitig eine Überschuldung vermeiden. | |
| Bereits im Jahr 2019 schätzte das IMK zusammen mit dem Institut der | |
| deutschen Wirtschaft den öffentlichen Investitionsstau auf rund 460 | |
| Milliarden Euro. Mittlerweile sei er eher größer als kleiner, sagt Dullien. | |
| So seien die Investitionskosten im Laufe der Jahre deutlich gestiegen. Auch | |
| habe man vor fünf Jahren die Kosten der Dekarbonisierung „unterschätzt“. | |
| Wie hoch der Investitionsbedarf letztlich sein könnte, zeigt eine | |
| Berechnung des Handelsblatt Research Institute (HRI). Demnach müssten der | |
| Staat, die Privatwirtschaft und die Bürger*innen allein für den | |
| klimagerechten Umbau der Energieinfrastruktur bis 2045 zusammen insgesamt | |
| 1,1 Billionen Euro in die Hand nehmen. Das ist laut Bericht 65-mal so viel | |
| wie die Haushaltslücke, über die die Ampelkoalition Ende des Jahres | |
| wochenlang diskutiert hat. Das meiste Geld muss demnach in den Ausbau | |
| erneuerbarer Energien fließen, aber unter anderem auch in Stromspeicher und | |
| -netze. | |
| Derzeit ist eine Reform der Schuldenbremse jedoch wegen der politischen | |
| Kräfteverhältnisse unwahrscheinlich. Das IMK schlägt deswegen als | |
| „zweitbeste Lösung“ die Schaffung eines kreditfinanzierten Sondervermögens | |
| für Transformationsinvestitionen vor, nach dem Vorbild des 100 Milliarden | |
| Euro schweren Sondervermögens der Bundeswehr. Doch auch dafür bräuchte es | |
| eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag sowie Bundesrat und somit die | |
| Unterstützung von Union und FDP, die sich derzeit beide gegen eine Reform | |
| der Schuldenbremse wehren. | |
| Sind neue Schulden für die nötigen Investitionen nicht gewollt oder | |
| politisch durchsetzbar, könnte die Bundesregierung zur Finanzierung | |
| theoretisch auch ihre Einnahmen erhöhen – etwa in Form eines Klimasoli oder | |
| einer Vermögensabgabe. Für Dullien sind solche Steuererhöhungen durchaus | |
| diskutabel. Das Jahr 2024 sei dafür aber vermutlich „nicht das | |
| geeignetste“, da es von einer Rezession geprägt sein wird und | |
| Steuererhöhungen die Wirtschaft zusätzlich auszubremsen drohen. | |
| Vor allem aber wendet das IMK ein: Derzeit weist Deutschland innerhalb der | |
| G7-Länder die niedrigste [3][Staatsverschuldung] auf, die zudem nahe der | |
| Schuldenobergrenze der Europäischen Union in Höhe von 60 Prozent des | |
| Bruttoinlandsprodukts liegt. Ein striktes Festhalten an der Schuldenbremse | |
| und Unterlassen notwendiger Investitionen sei demnach „absolut | |
| widersinnig“. | |
| 9 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simon Poelchau | |
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