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# taz.de -- Bundestag berät über Haushalt: „Schockwellen in Afrika“
> Entwicklungsorganisationen warnen vor den geplanten Kürzungen bei der
> Armuts- und Hungerbekämpfung. Die Folgen wären gravierend.
Bild: Lebensmittel aus Deutschland: Die Welthungerhilfe liefert in die Republik…
Berlin taz | Vor der entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses, der
Bereinigungssitzung am Donnerstag, schlagen Entwicklungsorganisationen
Alarm. Grund sind die von der Bundesregierung beabsichtigten Kürzungen bei
Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung um fast 2 Milliarden Euro.
Die Auswirkungen der beabsichtigten Kürzungen seien so tiefgreifend, dass
sie „Schockwellen in ganz Afrika auslösen“ würden, heißt es in einem
[1][offenen Brief mehrerer Organisationen an Abgeordnete], darunter One,
Oxfam und das African Center for Economic Transformation. „Sie gehen über
die unmittelbare wirtschaftliche und soziale Ebene hinaus und berühren
internationale Zusammenarbeit und Solidarität.“
Allein im Haushalt des Entwicklungsministeriums sollen der Vorlage nach für
die Bereinigungssitzung knapp 1 Milliarde Euro wegfallen. Dies entspräche
fast einem Zehntel des bisherigen Gesamtetats von 12,1 Milliarden Euro.
Beim Auswärtigen Amt sollen zudem 800 Millionen Euro und im
Bundeswirtschaftsministerium weitere 200 Millionen Euro eingespart werden,
die für die Bekämpfung von Hunger, Klimawandel und für Bildung und
wirtschaftliche Zusammenarbeit bestimmt waren.
Eine Sprecherin des von Svenja Schulze (SPD) geführten
Bundesentwicklungsministeriums sagte der taz: „Die für die Einsparvorgaben
notwendigen Einschnitte sind schmerzhaft und werden in vielen Bereichen zu
spüren sein.“
Besonders gravierend sind die [2][Kürzungen bei den Zuschüssen für
internationale Organisationen]. Die Mittel für das Welternährungsprogramm
(WFP) der Vereinten Nationen sollen um 30 Millionen Euro und damit um fast
40 Prozent gekürzt werden. Hier zählt Deutschland zu den wichtigsten
Geberländern. In diesem Jahr sollen aus dem Etat des
Entwicklungsministeriums nur noch 48 statt 78 Millionen Euro wie im
vergangenen Jahr an das WFP gehen.
Die Mittel des Entwicklungsministeriums sollen Hunger langfristig und
vorausschauend bekämpfen und etwa neue Anbaumethoden fördern. Das
Auswärtige Amt unterstützt dagegen akute Maßnahmen, wie die häufig
lebensrettende Hungerhilfe. Insgesamt soll das Auswärtige Amt in diesem
Jahr fast eine halbe Milliarde Euro weniger für humanitäre Hilfe ausgeben.
## 333 Millionen Menschen hungern weltweit
Die Kürzungen bei humanitärer Hilfe und in der Entwicklungszusammenarbeit
träfen das Welternährungsprogramm hart, so Martin Frick, Direktor des
WFP-Büros für Deutschland, Österreich und Liechtenstein. „Schon jetzt
stehen in der Hälfte unserer Einsätze Kürzungen an oder mussten bereits
umgesetzt werden. Nun müssen unsere Hilfsprogramme noch weiter
zurückgefahren werden.“ [3][Weltweit hungerten derzeit 333 Millionen
Menschen akut.] Frick fürchtet: „Wenn Deutschland an dieser Stelle spart
und sich zurückzieht, werden andere dasselbe tun.“ Dann gerate das
Fundament der internationalen Hilfe ins Wanken.
Sparen will die Bundesregierung künftig auch bei der Unterstützung für
Länder im Globalen Süden, die Geflüchtete aufnehmen (minus 41 Millionen
Euro), bei multilateralen Hilfen zum Klimaschutz (minus 30 Millionen Euro)
oder bei der Transformationen der Agrar- und Ernährungssysteme (minus 20
Millionen Euro).
Die Bundesregierung lasse mit ihren radikalen Sparplänen jedes Augenmaß
vermissen, kritisiert Stephan Exo-Kreischer, Europa Direktor von One, einer
internationalen Hilfsorganisation. „Ich habe den Eindruck, die
Bundesregierung hat dem teils populistischen Druck nachgegeben und in der
Folge das Interesse an der Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt
verloren.“ Exo-Kreischer befürchtet: „Das wird uns teuer zu stehen kommen.
Alles, was wir heute vermeintlich sparen, zahlen wir morgen doppelt und
dreifach drauf.“
## Kürzungen könnten zu mehr Fluchtbewegungen führen
Im Gespräch mit der taz warnte er davor, dass die Kürzungen auch dazu
führen können, dass noch mehr Menschen aus von Hunger und Krisen
betroffenen Ländern und Regionen fliehen. Im Koalitionsvertrag hatte die
Ampel ursprünglich versprochen, [4][die Ausgaben für Krisenprävention,
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe im Maßstab 1:1 wie die
Verteidigungsausgaben zu steigern.]
Dass dieses Versprechen gebrochen wurde, hält Exo-Kreischer für fatal. „Es
wird keine nachhaltige Sicherheit geben ohne Investitionen in
Zukunftsperspektiven. Wenn Menschen keine Perspektive für sich und ihre
Kinder sehen, wird das immer für Unsicherheit sorgen. Oder um es mit Willy
Brandt zu sagen: ‚Wer den Krieg ächten will, muss den Hunger bekämpfen.‘�…
Als Alternative zu den Sparvorschlägen der Regierung schlägt Exo-Kreischer
vor, verstärkt [5][klima- und umweltschädliche Subventionen] abzubauen,
aber auch, die Schuldenbremse zu reformieren. „Wir müssen uns fragen, ob
die Rahmenbedingungen, die wir uns vor Jahren gegeben haben, heute noch
angemessen sind. Oder ob wir uns und zukünftigen Generationen nicht sehr
viel mehr schaden, wenn wir jetzt an den falschen Stellen sparen.“
Die Linke im Bundestag fordert, den historischen Kürzungshammer für die
Ärmsten der Armen dieser Welt zurückzunehmen und nicht nur die
Schuldenbremse zu überarbeiten, sondern auch eine Übergewinnsteuer für
Krisenprofiteure und eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. „Das Geld
für die internationale Verpflichtung, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung
für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, ist in Deutschland
einzig und allein eine Frage der gerechten Umverteilung, also des
politischen Willens“, sagte Cornelia Möhring, Sprecherin für Globale
Gerechtigkeit und Entwicklung für die Linke im Bundestag.
Auch Möhring kritisiert die Kürzungen, die ja nicht die ersten sind, als
„schlicht verantwortungslos.“ „In Zeiten globaler Krisen unfassbar, aber …
Ende ihrer Regierungszeit wird die Ampel die Gelder für
Entwicklungszusammenarbeit in nur vier Jahren um knapp 25 Prozent
zusammengestrichen haben, die humanitäre Hilfe um fast ein Drittel“, so
Möhring. Der Bundestag will den Haushalt Anfang Februar beschließen.
17 Jan 2024
## LINKS
[1] https://cdn.one.org/pdfs/GermanODA_OpenLetter_2024.pdf
[2] /Humanitaere-Hilfe-in-der-Krise/!5979458
[3] /Experte-zum-UN-Hungerbericht/!5943664
[4] /Ein-Jahr-Krieg-in-der-Ukraine/!5916221
[5] /Klimaschaedliche-Subventionen/!5974214
## AUTOREN
Anna Lehmann
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Haushalt
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