| # taz.de -- Fachkräftesuche in Marokko: Ein bisschen Willkommenskultur | |
| > Die Bundesregierung sucht weltweit Fachkräfte. In Marokko bemüht sich | |
| > Entwicklungsministerin Svenja Schulze, Deutschland als weltoffen | |
| > darzustellen. | |
| Bild: „Win-win-win-Situation“: Svenja Schulze (Mitte) bei ihrem Besuch in R… | |
| Rabat taz | Die Aufregung in der Stimme von Hajar Benabass ist deutlich zu | |
| hören. „Ich will in Deutschland einen Job im Krankenhaus finden, in dem ich | |
| mich persönlich und beruflich weiterentwickeln kann“, sagt die junge | |
| Pflegerin mit der schwarzen Lederjacke ein kleines bisschen zu laut. Sie | |
| sitzt am Donnerstagmittag an einem großen weißen Tisch im | |
| [1][Goethe-Institut im marokkanischen Rabat], zusammen mit rund einem | |
| Dutzend weiteren Teilnehmenden eines Deutschkurses. Adressatin ihrer | |
| Worte ist [2][Svenja Schulze], Bundesministerin für wirtschaftliche | |
| Zusammenarbeit und Entwicklung. | |
| „Ich habe eine Ausbildung zum Informatiker. Ich will in Deutschland | |
| studieren und Karriere machen“, sagt der 27-jährige Yassani Rakachi. Und | |
| Abiturientin Chaimae Boenhajra will in Deutschland eine Pflegeausbildung | |
| beginnen, am liebsten schon dieses Jahr. | |
| Sie alle haben ihre Kurzvorstellung eingeübt und tragen sie nun stolz vor. | |
| Wer es geschafft hat, erntet anerkennenden Applaus aus der Runde. | |
| Deutschland braucht dringend Fachkräfte. Rund 400.000 pro Jahr müssten es | |
| Expert*innen zufolge sein, um den Bedarf zu decken. Weltweit sucht die | |
| Bundesregierung dieser Tage nach gut ausgebildetem Personal. Der | |
| Bundespräsident und der Arbeitsminister waren gerade erst in Vietnam. Nun | |
| werben Entwicklungsministerin Svenja Schulze und die | |
| Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan (beide SPD) bei ihrem | |
| Kurzbesuch in Marokko für Deutschland. | |
| ## „Win-win-win-Situation“ | |
| Auf einem Treffen mit dem marokkanischen Arbeitsminister Younes Sekkouri | |
| spricht Schulze von einer „Win-win-win-Situation“: Von der | |
| Fachkräftemigration soll sowohl Deutschland profitieren, das gut | |
| ausgebildete Arbeitskräfte bekommt, als auch Marokko, dessen Wirtschaft auf | |
| Geldüberweisungen von im Ausland arbeitenden Marokkaner*innen | |
| angewiesen ist – diese machen 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. | |
| Und nicht zuletzt die Migrant*innen selbst sollen profitieren: Marokko | |
| hat zwar viele gut ausgebildete junge Leute, aber nur wenige Jobs. Die | |
| Arbeitslosigkeit im Land beträgt über 12 Prozent, unter | |
| Hochschulabsolvent*innen liegt sie sogar bei 19 Prozent. | |
| Die Teilnehmenden des Sprachkurses lernen eigentlich abends, für den hohen | |
| Besuch aus Deutschland sind sie an diesem Tag mittags gekommen. Der Kurs | |
| ist Teil eines Pilotprojekts zur sogenannten Vorintegration: Wer zum | |
| Arbeiten nach Deutschland kommen will, soll sich schon im Herkunftsland | |
| durch Sprach- und Orientierungskurse auf das Leben in Deutschland | |
| vorbereiten können – und so die lange Wartezeit auf die Visaerteilung | |
| sinnvoll nutzen. Auch soll es eine Begleitung bis nach der Ankunft in | |
| Deutschland geben. | |
| ## Kein Problem mit schlechtem Wetter | |
| Mit dem marokkanischen Arbeitsminister weiht Schulze an diesem Tag ein | |
| neues „Zentrum für Migration und Entwicklung“ ein. Gemeinsam zerschneiden | |
| Schulze, Sekkouri und EU-Botschafterin Patricia Llombart Cussac das | |
| rot-grüne Band im Hof des Gebäudes. Solche Einrichtungen gibt es in Marokko | |
| seit 2017. | |
| Zu Zeiten der Großen Koalition wurden hier Menschen beraten, die nach | |
| Marokko zurückgekehrt sind oder abgeschoben wurden. Seit 2023 ist eine | |
| weitere Aufgabe hinzugekommen: Die Zentren sollen potenzielle Fachkräfte | |
| beraten und Fortbildungen oder Deutschkurse vermitteln. Betrieben werden | |
| sie gemeinsam mit der marokkanischen Arbeitsagentur in deren Räumen. | |
| Teilnehmende stehen bereit, die der Ministerin von ihren Erfolgsgeschichten | |
| erzählen sollen. Etwa ein ausgebildeter Klimatechniker, der bereits einen | |
| Arbeitsvertrag bei einem Unternehmen in Mannheim in der Tasche hat und nur | |
| noch auf sein Visum wartet. Er hoffe auf „ein gutes Gehalt und | |
| Gesundheitssystem. Und auf genug Geld zum Reisen“, erzählt der junge Mann, | |
| dem ein BMZ-Programm auch einen Sprachkurs finanziert hat. | |
| Eine Journalistin fragt, was er vom deutschen Wetter hält. „Es gibt kein | |
| schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, antwortet er. | |
| Auch für die Rückkehrberatung will das Zentrum an diesem Tag werben. Doch | |
| der 35-jährige Teilnehmer steht etwas verloren herum. Er spricht schlecht | |
| Deutsch und Englisch, zum Übersetzen ist erst mal niemand in der Nähe. 2015 | |
| kam er nach Dresden. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, 2018 wurde er | |
| abgeschoben. 2023 hat er im Zentrum in Casablanca psychosoziale Beratung | |
| erhalten sowie eine finanzielle Unterstützung, um eine eigene Polsterei | |
| aufzubauen. | |
| Allerdings habe es zwei Jahre gedauert, bis sein Antrag bewilligt worden | |
| sei. Von Journalist*innen umringt erklärt er, in Marokko bleiben zu | |
| wollen. Durch die Unterstützung könne er nun sein Projekt verwirklichen und | |
| Geld verdienen. Später erzählt er, dass er schon auch gerne nach | |
| Deutschland zurückkehren würde. | |
| Auch [3][die Correctiv-Recherche über rechtsextreme | |
| Deportationsfantasien] schafft es bis nach Rabat. „Wir geben den Feinden | |
| der Demokratie keinen Raum“, versichert Schulze nicht nur dem | |
| marokkanischen Arbeitsminister, sondern auch den marokkanischen | |
| Journalist*innen. Die Ministerin betont die großen Demonstrationen gegen | |
| rechts, die in Deutschland dieser Tage stattfinden. Die rassistischen Pläne | |
| von AfD und Co entsprächen „nicht dem, was die große Mehrheit in | |
| Deutschland denkt“, sagt Schulze. „Deutschland und die deutsche | |
| Gesellschaft sind sehr gastfreundlich“, pflichtet Sekkouri ihr bei. | |
| „Niemand kann das Gegenteil behaupten.“ | |
| Überhaupt ist das Treffen geprägt von gegenseitigen | |
| Freundschaftsbekundungen. Sekkouri lobt den „warmherzigen“ Besuch. Es sei | |
| „wichtig, weiterhin so eng zusammenzuarbeiten“. Schulze spricht von | |
| „Respekt“, von „Augenhöhe“ und „gegenseitigem Vertrauen“. | |
| Die Bundesregierung hat verstanden, dass nicht nur Marokko Deutschland | |
| braucht, sondern vor allem Deutschland Marokko. So verwundert es nicht, | |
| dass an diesem Tag ein für die marokkanische Seite wenig prestigeträchtiges | |
| Thema auch auf Nachfrage tunlichst gemieden wird: Abschiebungen. | |
| ## Schärfere Abschieberegeln | |
| Seit Monaten verhandelt Deutschland mit Marokko und anderen Staaten über | |
| Migrationsabkommen. Diese sollen Arbeitsmigration erleichtern, gleichzeitig | |
| sollen die Herkunftsländer bei der Rücknahme abgelehnter Asylsuchender | |
| kooperieren. | |
| Am Mittwoch verkündete der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen, | |
| Joachim Stamp (FDP), man habe sich mit Marokko auf eine „umfassende | |
| Migrationspartnerschaft“ verständigt. Zum Inhalt äußert er sich nur sehr | |
| vage. Ziel sei es, „irreguläre Migration“ zu reduzieren und „reguläre, | |
| legale Arbeitsmigration zu stärken“, sagt Stamp in Rabat. | |
| 153 Menschen hat Deutschland 2023 nach Marokko abgeschoben – mit einem | |
| deutlichen Anstieg zum Ende des Jahres. Das dürfte mit dem Besuch zu tun | |
| haben, den Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Stamp dem Land schon Ende | |
| Oktober abstatteten. Insgesamt sind rund 900 Marokkaner*innen | |
| vollziehbar ausreisepflichtig. | |
| Gerade erst hat der Bundestag schärfere Abschieberegeln beschlossen. Eine | |
| Botschaft, die auch bei den Menschen im Ausland angekommen ist. Die Reise | |
| von Svenja Schulze soll dieses Image wieder einfangen – zumindest ein | |
| wenig. „Ihr seid in Deutschland willkommen“, sagt sie in die Kameras der | |
| marokkanischen Fernsehteams. | |
| 26 Jan 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.goethe.de/ins/ma/de/index.html | |
| [2] /!s=svenja+schulze/ | |
| [3] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigrati… | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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