# taz.de -- Debatte um Migration: „Blühende Landschaften“ in Afrika | |
> Damit weniger Menschen nach Europa fliehen, schlagen SPD-Politiker aus | |
> Thüringen afrikanisch-europäische Flüchtlingscamps vor. | |
Bild: Thüringens SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee macht sich Gedanke… | |
BERLIN taz | Sie wollen die „Mehrheitsgesellschaft in den Blick nehmen“ und | |
sich auf das „Machbare“ konzentrieren“ – die im Januar in Thüringen | |
neugegründete konservative SPD-Strömung der Seeheimer. Als zentral sehen | |
sie die Frage an, wie Migration gesteuert und die Aufnahme von Geflüchteten | |
begrenzt werden könne. Und da hat der Kreis um Katja Böhler, | |
Staatssekretärin im Thüringer Wirtschaftsministerium, und | |
Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee streitbare Ideen, die weit über das | |
politische Tagesgeschäft hinausgehen. | |
Böhler und Tiefensee schlagen in der taz prosperierende Flüchtlingsstädte, | |
sogenannte Future Cities, entlang der Fluchtrouten vor, in denen Menschen | |
auf Dauer eine Heimat finden. Es sei an der Zeit, [1][das Thema Migration | |
grundsätzlicher und größer zu denken], so Böhler. „Der Migrationsdruck wi… | |
in den kommenden Jahren steigen, weil ganze Gebiete wegen des Klimawandels | |
unbewohnbar werden.“ Deshalb müsse man jetzt anfangen, darüber | |
nachzudenken, wo Menschen, die wegen Dürre oder Hungersnöten, aber auch aus | |
wirtschaftlichen Gründen aus ihrer Heimat fliehen müssen, dauerhaft | |
unterkommen könnten. | |
Die Unterbringung in Lagern an den EU-Außengrenzen, wie sie das Gemeinsame | |
Europäische Asylsystem vorsieht, greift aus ihrer Sicht zu kurz. „Uns geht | |
es nicht darum, Menschen in großem Stil zurückzuführen und unter | |
haftähnlichen Bedingungen in Lagern unterzubringen“, so Böhler. „Sondern | |
Räume zu schaffen, wo Menschen, die fliehen, ein rechtsstaatliches | |
Asylverfahren außerhalb der EU erhalten und wo sie bleiben können und eine | |
Perspektive haben.“ | |
Die SPD-Politiker*innen regen eine von EU und Afrikanischer Union getragene | |
Initiative zur Gründung solcher „Zukunftsstädte“ an. „Wir können uns | |
afrikanisch-europäische Städte mit Ansiedlungsanreizen und | |
Sonderwirtschaftszonen vorstellen, wo Unternehmen investieren, Jobs | |
entstehen und Menschen ausgebildet werden“, erläutert Böhler. Diese sollten | |
in enger Zusammenarbeit mit den Ländern vor Ort entwickelt werden. | |
## Fast 1 Milliarde weniger für Entwicklung | |
Böhler war zuvor für verschiedene Entwicklungsorganisationen tätig, | |
darunter den Verein „Partnerschaft für Afrika“. Ins Rampenlicht geriet der | |
Verein vor Jahren wegen umstrittener Zuweisungen von Geldern seitens des | |
damals FDP-geführten Entwicklungsministeriums. Auch derzeit ist der Etat | |
des Entwicklungsministeriums wieder Thema, gehört das Haus von | |
SPD-Ministerin Svenja Schulze doch zu jenen, die in diesem Jahr am | |
stärksten sparen müssen. Fast 1 Milliarde Euro fallen weg, unter anderem | |
bei der Initiative „Geflüchtete und Aufnahmeländer“, [2][was | |
Entwicklungsorganisationen scharf kritisiere]n. An Zukunftsstädte ist da | |
momentan wohl kaum zu denken. | |
Bei der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels und den notwendigen | |
Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft raten die Thüringer Seeheimer | |
wiederum zur Mäßigung. „Die Politik verzichtet auf die Rolle des | |
Musterschülers, sie setzt sich zukünftig realistische Ziele“, heißt es im | |
Gründungspapier. Es gehe nicht darum, beim Klimaschutz zurückzurudern oder | |
das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 in Frage zu stellen, meint Tiefensee | |
im Gespräch. „Aber wir befürchten, dass wir dieses Ziel nicht erreichen, | |
weil die Akzeptanz der Bevölkerung verlorengeht.“ | |
Gerade im Osten sei der Begriff der Transformation seit der Wende negativ | |
besetzt. Tiefensee nennt als Beispiel das Heizungsgesetz und fordert: „Wir | |
sollten künftig tunlichst vermeiden, die Belastungen für die Menschen nicht | |
mitzudenken.“ Gleichzeitig hält der Wirtschaftsminister massive öffentliche | |
Investitionen für notwendig. „Wir brauchen dringend [3][eine Reform der | |
Schuldenbremse]“, so Tiefensee. Und sieht dies auch als unabdinglich an, | |
sollte es zu einer Neuauflage der Ampel kommen. | |
Laut Umfragen hätte die Ampel derzeit aber keine Mehrheit. In Thüringen, wo | |
im September gewählt wird, liegt die SPD im einstelligen Bereich. Die | |
Neu-Seeheimer fordern auch eine „politische Neuausrichtung und | |
Prioritätensetzung innerhalb der SPD“. | |
Droht der Thüringer SPD also das gleiche Szenario wie der Linken im Bund, | |
die sich gerade in das Bündnis Sahra Wagenknecht und eine Rest-Linke | |
gespalten hat? Auf keinen Fall, erklären Böhler und Tiefensee, sei es ihr | |
Anliegen, die SPD zu spalten „Das wäre in der Tat ein Bärendienst.“ Und | |
führen SPD-Chef Lars Klingbeil ins Feld. „Lars ist auch Seeheimer. Und | |
niemand spricht von Spaltung.“ | |
30 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Jahresbericht-Integration-und-Migration/!5932699 | |
[2] /Bundestag-beraet-ueber-Haushalt/!5986359 | |
[3] /SPD-im-Umfragetief/!5982569 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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