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# taz.de -- Flüchtlingspolitik in der EU: Am Ende eines verheerenden Jahres
> Auf seinem Flüchtlingsforum am Mittwoch will das UNHCR Hilfe für
> Vertriebene und Aufnahmeländer mobilisieren. Viele Staaten verschärfen
> ihr Asylrecht.
Bild: In diesem Boot kamen am 28. Oktober 18 Menschen lebend in Sizilien an…
Berlin taz | Die Welt stehe am „Ende eines verheerenden Jahres, das von
neuen, wiederaufgeflammten und nicht enden wollenden
Flüchtlingssituationen“ geprägt sei, sagt Arafat Jamal vom
UN-Flüchtlingswerk UNHCR. „Der Bedarf an humanitärer Hilfe übersteigt die
Ressourcen, Konflikte haben 114 Millionen Menschen gewaltsam vertrieben und
aus ihrem bisherigen Leben gerissen.“
Jamal koordiniert das am Mittwoch startende Globale Flüchtlingsforum der
Vereinten Nationen in Genf. Die Organisation will mit dem Treffen Hilfe für
Vertriebene und die Länder und Gemeinden mobilisieren, die sie aufnehmen.
Vertreter aus über 100 Ländern, darunter Staats- und Regierungschefs,
sollen bei den Beratungen vor allem die Umsetzung des 2018 beschlossenen
Globalen Pakts für Flüchtlinge der UN vorantreiben.
Die politischen Bedingungen für das Treffen sind indes schwierig. In vielen
Zielländern von Fluchtbewegungen werden Einreise- und
Aufenthaltsbestimmungen dieser Tage verschärft.
Die französische Nationalversammlung etwa [1][debattierte am Montag den
Entwurf eines Einwanderungsgesetzes], das unter anderem Abschiebungen
erleichtern soll. Dies soll auch Menschen, die bei ihrer Ankunft in
Frankreich jünger als 13 Jahre alt waren, sowie ausländische Eltern
französischer Kinder betreffen.
## Den Rechten noch nicht rechts genug
Präsident Emmanuel Macron hatte ursprünglich ein Gesetz angekündigt, das
sowohl die Integration von Migranten fördern als auch das Abschieben
erleichtern sollte. Der mehrheitlich rechte Senat hatte jedoch einen
zentralen Artikel gekippt, nach dem Migranten, die in Branchen mit
Personalmangel arbeiten, eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen sollten.
Diskutiert wird, die medizinische Versorgung von Migranten auf Notfälle zu
reduzieren. Ein Bündnis aus rechten Parteien und Grünen wies das Vorhaben
aber am Montag allerdings vorerst ab.
Einen Tag später warb in Großbritannien Premier Rishi Sunak für Zustimmung
zum neuen Asylgesetz. In sozialen Medien forderte Sunak die Abgeordneten
auf, „das härteste Gesetz gegen illegale Einwanderung zu unterstützen, das
es je gab“. Großbritannien könne damit selbst kontrollieren, wer ins Land
komme – „nicht kriminelle Banden oder ausländische Gerichte“. Der
Gesetzentwurf soll den Plan wiederbeleben, [2][Asylbewerber ins
ostafrikanische Ruanda abzuschieben]. Das Oberste Gericht hatte das
Vorhaben im November blockiert.
Am Freitag hatten sich die UN mit einer außergewöhnlich deutlichen
Stellungnahme gegen neue europäische Pläne zur Flüchtlingsabwehr gestellt.
In einem gemeinsamen Gastbeitrag von UNHCR-Direktor Filippo Grandi und
der neuen IOM-Chefin Amy Pope heißt es, dass alle Menschen, die auf der
Suche nach Sicherheit an eine Grenze kommen, Zugang zum Hoheitsgebiet
erhalten, um Asyl beantragen zu können. „Menschen dieses Recht zu
verweigern oder Asylsuchende in Drittländer auszulagern, verstößt gegen das
Völkerrecht. Es sind Akte der Grausamkeit“, so Grandi und Pope in dem im
Spiegel und dem Time-Magazine veröffentlichten Text.
## Asylverfahren in Drittstaaten auslagern
Eine wachsende Zahl europäischer Politiker, unter anderem der
Migrationsbeauftragte der rot-grün-gelben Bundesregierung, Joachim Stamp,
prüft derzeit Möglichkeiten, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern. Die
CDU will eine entsprechende Forderung [3][in ihr neues Grundsatzprogramm]
aufnehmen. Ohne eine Beteiligung von UNHCR und IOM sind solche
exterritorialen Asylverfahrenszentren allerdings kaum denkbar.
Das Genfer Flüchtlingsforum findet zwischen den zwei womöglich letzten
EU-Verhandlungsrunden zu ihrer seit 2014 beratenen [4][Reform des
Gemeinsamen Asylsystems GEAS] statt. Auf dem Tisch liegt unter anderem ein
Konzept zu Schnellverfahren in geschlossenen Lagern an den EU-Außengrenzen.
Vor Beginn der Abschlussberatungen am Donnerstag hatte die spanische
Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, auch Minderjährige ab sechs Jahren
diesen Verfahren zu unterziehen. Bisher war ein Mindestalter von 12 Jahren
im Gespräch. Die Grünen hatten die Schnellverfahren, die Deutschland 2019
ins Spiel gebracht hatte, lange kategorisch abgelehnt. Im Frühsommer aber
stimmte Deutschland im Rat den Kommissionsvorschlägen zu. Die nächste
Verhandlungsrunde ist für den 18. Dezember angesetzt.
## Gestiegene Zahl von Flüchtenden
Derweil meldete die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Montag für 2023 die
höchste Zahl irregulärer Grenzübertritte in der EU seit 2016. Demnach
erreichten in den ersten elf Monaten des Jahres insgesamt 355.000 Menschen
ohne Einreiseerlaubnis das EU-Territorium – ein Plus von 17 Prozent
gegenüber dem Vorjahr. Den höchsten Anstieg – um 116 Prozent auf rund
32.400 Menschen – verzeichnete Frontex dabei auf der sogenannten
Westafrika-Route aus Ländern wie Senegal und Mauretanien [5][über den
Atlantischen Ozean zu den Kanarischen Inseln]. Und um 61 Prozent auf rund
153.000 Menschen stieg die Zahl der Ankommenden im zentralen Mittelmeer.
Der politische Druck, diese Zahlen zu senken, ist angesichts der
erstarkenden extremen Rechten hoch – und die Skrupel sind oft entsprechend
niedrig.
Am Montag etwa berichteten der Spiegel und die Recherche-NGO Lighthouse
Reports, dass auch eine mit der [6][russischen Söldnergruppe Wagner] in
Verbindung stehende libysche Miliz daran beteiligt ist, Flüchtlinge und
Migranten auf dem Mittelmeer einzufangen und nach Libyen
zurückzutransportieren. Bisher war vor allem bekannt geworden, dass die von
der EU und Italien ausgebildete und ausgestattete libysche Küstenwache dies
tut. Laut Zählung der UN gab es dabei in diesem Jahr bisher 14.500 solcher
[7][Pullbacks auf dem Meer] Richtung West- und Zentrallibyen, häufig in
direkter Kooperation mit europäischen Stellen.
Wie nun der Spiegel berichtete, fängt auch die dem General Haftar
unterstehende und als Foltertruppe bekannte Tareq-bin-Zeyad-Brigade aus
Bengasi Flüchtlingsboote ab, die aus der östlichen Mittelmeerregion
Richtung Italien und Malta unterwegs sind. Dem Bericht zufolge haben in
mindestens drei Fällen Frontex oder maltesische Behörden die
Flüchtlingsboote entdeckt, die Haftars Männer anschließend aus der
maltesischen Such- und Rettungszone nach Libyen schleppten, wo die Insassen
eingesperrt und misshandelt werden. Haftars Männer sind demnach zu
Handlangern der EU geworden, obwohl sie selbst am Schleppergeschäft in
Libyen beteiligt sind.
13 Dec 2023
## LINKS
[1] /Immigrationsgesetz-in-Frankreich/!5979067
[2] /Grossbritanniens-Ruanda-Deal/!5978500
[3] /Entwurf-zum-CDU-Grundsatzprogramm/!5976057
[4] /EU-Asylsystem-GEAS/!5978837
[5] /Fluechtlinge-in-Spanien/!5969986
[6] /Experte-ueber-die-Lage-der-Wagner-Gruppe/!5953033
[7] /Pushbacks-auf-dem-Mittelmeer/!5851450
## AUTOREN
Christian Jakob
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