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# taz.de -- Pushbacks auf dem Mittelmeer: Frontex lügt und mauert
> Die EU-Grenzschutzagentur schiebt illegal Flüchtlinge auf dem Mittelmeer
> zurück – und vertuscht dies in der eigenen Datenbank. Nun wird sie
> verklagt.
Bild: Frontex-Offizier auf einem Patrouillenboot am Hafen von Málaga
Die [1][EU-Grenzschutzagentur Frontex] hat massenhaft Einsatzprotokolle
verfälscht, um illegale Zurückschiebungen im Mittelmeer zu vertuschen. Das
berichtet der Spiegel.
Es geht um Einträge in einer internen Frontex-Datenbank namens „Jora“.
Darin wurden Frontex-Einsätze gegen Flüchtlingsboote in der Ägäis falsch
verortet. Diese hatten sich tatsächlich in griechischen Hoheitsgewässern
abgespielt – in der Datenbank wurden sie aber türkischen Gewässern
zugeordnet.
Der Unterschied ist erheblich: Griechische Gewässer gehören zur EU, die
Flüchtenden hatten das Recht, für einen Asylantrag an Land gebracht zu
werden. Tatsächlich jedoch wurden sie illegal und mit Gewalt in die Türkei
zurück geschleppt. Das habe Frontex mit den Einträgen verschleiern wollen.
Der Spiegel hatte auf Grundlage der EU-Informationsfreiheitsverordnung
Einblick in die Datenbank-Einträge verlangt. Beim Vergleich mit Aufnahmen,
die Flüchtende während der fraglichen Einsätze mit ihren Handys gemacht
hatten, zeigte sich: Die Vorfälle fanden tatsächlich in EU-Gewässern statt.
Von dort seien die Boote von griechischen Küstenwächtern zurück geschleppt
worden.
Laut Frontex-Protokollen habe etwa am 13. Mai 2020 ein deutscher Helikopter
im Frontex-Einsatz gemeinsam mit einem Patrouillenboot der Bundespolizei
ein Flüchtlingsboot in türkischen Gewässern entdeckt. Die deutschen
Polizisten hätten angeblich das gemeinsame Kontrollzentrum im griechischen
Piräus informiert, die Griechen dann wiederum die türkische Küstenwache.
Ein türkisches Patrouillenboot sei am Ort des Geschehens angekommen und
habe die Verantwortung für den Fall übernommen. Eine Lüge, so der Spiegel.
Frontex sei allein zwischen März 2020 und September 2021 in 22 illegale
Pushbacks mit mindestens 957 Flüchtlingen involviert gewesen. In diesen
Fällen lagen Fotos von den Flüchtlingen in griechischen Rettungsflößen oder
andere Belege vor. Die wahre Zahl der Pushbacks, bei denen Frontex
behilflich war, liege „höchstwahrscheinlich noch höher“, so der Spiegel.
## „Wie ein Geheimdienst“
Derweil hat die deutsche [2][Seenotrettungs-NGO Sea-Watch] Frontex beim
Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg verklagt. Frontex
verweigere zu Unrecht die Herausgabe von Informationen, so die Klage.
„Frontex predigt Transparenz, arbeitet aber wie ein Geheimdienst“, sagt
Marie Naass von Sea-Watch.
Es geht um einen Fall vom 31. Juli 2021, bei dem ein Boot mit etwa 20
Flüchtlingen aus dem zentralen Mittelmeer nach Libyen zurück geschleppt
wurde. Hierbei handele es sich völkerrechtswidrigen Pushback, so Sea Watch.
Das Boot habe sich innerhalb der maltesischen Such- und Rettungszone
befunden. Die Behörden hätten es an einen sicheren Ort bringen lassen
müssen. Das hätte Sea-Watch übernehmen können – denn deren Rettungsschiff,
die Sea-Watch 3, war zu jener Zeit vor Ort. Die maltesische Leitstelle
hatte dessen Crew aber nicht über den Notfall informiert.
Stattdessen fing die sogenannte libysche Küstenwache das Boot ab. Die
Menschen wurden in die gleichen Lager zurück gebracht, aus denen sie zuvor
geflohen waren. Laut Sea-Watch war eine Drohne von Frontex während des
Notfall mehrfach vor Ort. Die Besatzungen des Sea Watch
Aufklärungsflugzeugs Seabird und des Rettungsschiffs Sea-Watch 3 hätten
dies beoobachtet.
## Dokumente unter Verschluss
Deshalb müsse „von einer Beteiligung von Frontex am
[3][völkerrechtswidrigen Pullback] ausgegangen werden“, so Sea-Watch in
einer Erklärung.
Sea-Watch hat deshalb von Frontex mehrfach Auskunft auf Grundlage der
Informationsfreiheitsverordnung der EU verlangt, diese aber nicht bekommen.
Frontex habe lediglich angegeben, über 73 Dokumente, Bilder und ein Video
zu dem Vorfall zu verfügen – diese aber nicht herausgegeben.
Deshalb hat Sea-Watch zusammen mit der Organisation Frag den Staat auf
Freigabe der Dokumente geklagt. So wollen die beiden NGOs beweisen, dass
die Menschenrechtsverletzung der Bootsinsassen unter Beteiligung von
Frontex stattgefunden habe.
„Ohne Transparenz können wir Frontex nicht zur Rechenschaft ziehen, was den
Nährboden für Straflosigkeit und weiteren Missbrauch schafft“, so Luisa
Izuzquiza, Brüsseler Büroleiterin von Frag den Staat.
29 Apr 2022
## LINKS
[1] /Vorwuerfe-gegen-EU-Grenzschutzagentur/!5743844
[2] /Sea-Watch-3-mit-400-Menschen-an-Bord/!5810119
[3] /Jahresbericht-von-NGO/!5850030
## AUTOREN
Christian Jakob
Elias Weber
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