# taz.de -- Jahresbericht von NGO: Täglich gewaltsame Pushbacks | |
> Die NGO Mare Liberum beobachtet seit Jahren, dass Geflüchtete in der | |
> Ägais gewaltsam zurückgedrängt werden. 2021 waren es 5.000. | |
Bild: Protest mit Rettungsfloß: Demonstration gegen Pushbacks und Gewalt an de… | |
BERLIN taz | Lange blieb das Phänomen im Dunkeln, seit einiger Zeit | |
geschieht es immer offener: das direkte, illegale Zurückschieben | |
Schutzsuchender an den Grenzen. Zum Beispiel am 13. Oktober 2020, am | |
griechisch-türkischen Grenzfluss Evros. Ein Flüchtling berichtet von diesem | |
Tag: „Sie haben alle 70 Leute in den Transporter gepackt. Wir konnten eine | |
Stunde lang nicht atmen. Mit diesem Auto fuhren sie zum Fluss. Wir stiegen | |
aus dem Auto, während sie auf uns einschlugen. Wir waren ohne Kleidung, in | |
unserer Unterwäsche, ohne Schuhe.“ | |
Griechische Grenzpolizisten hätten den Menschen gesagt, sie sollten sich in | |
einer Reihe hinsetzen, den Kopf senken, sie nicht ansehen. „Ein Polizist | |
sagte mir, ich solle aufstehen und hielt eine Waffe an mein Auge. Er | |
schrie: „Wenn du noch einmal nach Griechenland kommst, werde ich dich | |
töten!'“ | |
Die Aussage stammt aus dem am Donnerstag veröffentlichten Jahresbericht | |
[1][Pushbacks] der [2][NGO Mare Liberum]. Die deutsche Initiative ist seit | |
2018 mit einem Beobachtungsschiff in der Ägäis und hat sehr früh begonnen, | |
vor allem Griechenlands Pushbacks zu dokumentieren. Laut ihrem Bericht sind | |
in der EU im vergangenen Jahr täglich gewaltsame Pushbacks verübt worden. | |
Misshandlungen und sexuelle Übergriffe gegen Migrant:innen und | |
Flüchtlinge sind demnach die Regel. | |
Dabei werden Migrant:innen und Flüchtlinge, die etwa die griechische | |
Polizei aufgreift, nicht wie vorgeschrieben zunächst in | |
Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sondern direkt an die grüne Grenze oder | |
aufs Meer zurückgefahren und meist mit Gewalt dazu genötigt, zurückzugehen | |
oder zu fahren. | |
Schilderungen von Zeug:innen offenbarten, dass dabei Gewalt und | |
Demütigungen als „strategisches Mittel“ dienten, um Menschen vom EU-Gebiet | |
fernzuhalten, so Mare Liberum. Die Opfer seien Menschen, die aus der Türkei | |
überzusetzen versuchten. | |
## Einfach ins Wasser geworfen | |
Pushbacks gehörten mittlerweile zum „Modus operandi“ der Behörden, heißt… | |
im Bericht von Mare Liberum. Insgesamt wurden 2021 demnach fast 5.000 | |
Menschen in Rettungsinseln in türkischen Gewässern zurückgelassen. Ein | |
Aufenthalt in den nicht steuerbaren, häufig überfüllten und den | |
Meeresbewegungen ausgelieferten Gummiflößen werde von Überlebenden als | |
traumatisch beschrieben, heißt es in dem Bericht. | |
Seit Anfang 2021 sei zudem verstärkt beobachtet worden, wie Menschen von | |
griechischen Behörden in der Nähe der türkischen Küste einfach ins Wasser | |
geworfen worden seien. | |
Allein in der Ägäis – jenem Meeresgebiet im Mittelmeer, in dem Flüchtende | |
die vergleichsweise kürzesten Wege bei eher ruhiger See zurücklegen müssen | |
– starben nach Zählung von Mare Liberum 109 Menschen oder werden nach | |
Unglücken vermisst. Seit 2018 seien es mindestens 462 Tote gewesen. | |
## Schlechte Datenlage | |
Mare Liberum räumt ein, dass das Sammeln von Informationen über | |
Rechtsbrüche in dem Gebiet schwierig und die Datenlage schlecht sei. Als | |
Quellen nennt die Organisation neben Zeugenaussagen vor allem andere | |
zivilgesellschaftliche Organisationen. Mare Liberum besitzt ein eigenes | |
Schiff zur Beobachtung der Lage. Die Organisation konnte es aber wegen | |
Restriktionen der Behörden im vergangenen Jahr praktisch nicht einsetzen. | |
Die in dem Bericht zusammengetragenen Aussagen decken sich mit Tausenden | |
Schilderungen, die NGOs in den vergangenen Jahren in der Region | |
zusammengetragen haben. Pro Asyl hatte auf das Problem schon 2013 | |
aufmerksam gemacht. 2019 hatte der Spiegel berichtet, dass Griechenland an | |
der Landgrenze zur Türkei in den vorherigen zwölf Monaten fast 60.000 | |
Menschen illegal zurückgeschoben habe. Quelle waren dabei Dokumente des | |
türkischen Innenministeriums. | |
## Griechenland hatte Pushbacks lange abgestritten | |
Mit den Pushbacks verstößt Griechenland gegen seine Pflicht, Ankommenden | |
die Möglichkeit für einen Asylantrag zu geben. Dies wiegt umso schwerer, | |
als es sich bei den Zurückgeschobenen auch um Menschen aus Konfliktregionen | |
wie Afghanistan, Pakistan, Somalia und Syrien handelt. Und die Türkei | |
wiederum schiebt die Menschen in ihre Herkunftsländer ab. | |
Griechenland hatte diese Praktiken lange abgestritten – denn sie verstoßen | |
eindeutig gegen das EU-Recht. Doch weil zuletzt auch Staaten wie Polen und | |
Kroatien immer offener Pushbacks praktizieren, gingen die Staaten in die | |
Offensive: Im Oktober 2021 verlangten zwölf EU-Mitgliedsstaaten in einem | |
Schreiben an die Kommission – darunter Griechenland, Kroatien und Polen – | |
die Reform des Schengener Grenzkodex, um Pushbacks zu legalisieren. | |
22 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-illegalen-Pushbacks/!5842608 | |
[2] https://mare-liberum.org/de/unsere-mission/ | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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