# taz.de -- Jahresbericht von Amnesty International: Der Horror ist überall | |
> Russlands Angriffskrieg in der Ukraine ist „nur die Spitze eines | |
> Eisbergs“, sagt die Organisation. Dass Putin straflos morden könne, | |
> ermutige andere. | |
Bild: Der Psychiater Anatolii Pavlov dokumentiert das zerstörte Krankenhaus in… | |
BERLIN taz | Viele der [1][Grausamkeiten des Ukrainekriegs] werden in ihrem | |
ganzen Umfang erst in ferner Zukunft erfasst sein. Doch eines ist schon | |
heute klar: Seit dem Angriff auf das Nachbarland „[2][verübt Russland | |
Kriegsverbrechen] und verstößt gegen das Völkerrecht“, sagte Markus Beeko, | |
der Generalsekretär von Amnesty Deutschland, bei der Vorstellung des | |
Jahresberichts der Organisation am Montag. Amnesty habe Belege gesammelt, | |
dass die russische Armee etwa Krankenhäuser angreift und verbotene | |
Streumunition einsetzt. | |
Die russischen Gräueltaten in der Ukraine stehen aktuell im Fokus der | |
Aufmerksamkeit. Amnesty aber beobachtete im vergangenen Jahr eine Vielzahl | |
von Staaten und bewaffneten Gruppen auf der Welt, die das Völkerrecht | |
verletzen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. „Der russische | |
Angriff ist nur die Spitze eines Eisberges fehlender Durchsetzung der | |
internationanlen Ordnung“, sagt Beeko. | |
Im [3][Bürgerkrieg in der äthiopischen Provinz Tigray] etwa seien beiden | |
Seiten – also Äthiopiens Regierungsarmee und der | |
Tigray-Volksbefreiungsfront – Massaker und „schlimmste Formen | |
geschlechtsspezifischer Gewalt“ anzulasten, so Amnesty. Die Reaktion der | |
internationalen Gemeinschaft auf solche Verbrechen sei unzureichend und | |
zögerlich. Die völkerrechtliche Rechenschaftspflicht bleibe auf der | |
Strecke, multilaterale Institutionen würden geschwächt, sagte Beeko. | |
Bedeutet das, dass Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine verhindert | |
worden wäre, wenn die internationale Gemeinschaft in anderen Konflikten | |
früher und härter durchgegriffen hätte? Trifft sie deshalb gar eine | |
Mitschuld an Putins Handeln? | |
So weit wollte Beeko auf Nachfrage nicht gehen. Es sei unerlässlich, dass | |
die Staatengemeinschaft Kriegsverbrechen benenne und ahnde, sagt er. „Das | |
ist in der Vergangenheit nicht geschehen, nicht [4][in Jemen], nicht [5][in | |
Syrien] und [6][Myanmar].“ | |
## Forderung nach Konsequenzen | |
Das gelte auch für Putin. Der habe in Grosny und Syrien die Erfahrung | |
gemacht, dass sein Handeln keine Reaktionen nach sich zog. Die | |
internationale Gemeinschaft habe nicht verstanden, dass ein Tolerieren | |
solchen Handelns nur zu weiteren Verstößen ermutige. „Für die Zukunft wird | |
es wichtig sein, das zu tun, um Russland, Saudi-Arabien und anderen Staaten | |
ein klares Signal zu senden“, so Beeko. Das Mittel dafür sei die Stützung | |
internationaler Sanktionsregime. „Jede Verletzung der internationalen | |
Ordnung muss Konsequenzen haben.“ | |
Auch die Verletzung der Rechte von Geflüchteten zählt zu den großen Trends, | |
die Amnesty im vergangenen Jahr beobachtete. Illegale Zurückweisungen an | |
Grenzen, [7][sogenannte Pushbacks], hätten stark zugenommen. Zwar werde | |
Ukrainer:innen in Europa heute Zuflucht gewährt, doch dürften darüber | |
die Opfer anderer Krisen nicht vergessen werden, sagte Beeko. | |
Der bewaffnete [8][Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo] etwa habe | |
1,5 Millionen Menschen zusätzlich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Aus | |
Venezuela etwa seien gar 6 Millionen Menschen geflüchtet – nach Syrien die | |
größte Fluchtbewegung der Welt. | |
Viele der heute Flüchtenden seien mit Abschottung und gewaltsamen, | |
illegalen Zurückweisungen konfrontiert, sagte Beeko. Amnesty habe 154 | |
Länder der Erde auf entsprechende Praktiken untersucht und in 48 Staaten | |
Missachtung der Flüchtlingsrechte und die illegale Zurückweisung von | |
Flüchtenden festgestellt. „Auch an den EU-Außengrenzen wird Menschen mit | |
Gewalt der Zugang zu einem Asylverfahren verweigert“, sagte Beeko. Polen | |
habe die Pushbacks gesetzlich verankert und über 40.000 Menschen [9][zurück | |
über die Grenze nach Belarus] getrieben. | |
## Repressionen in Coronazeiten | |
Stark unter Druck geraten die Menschenrechte auch durch das Schrumpfen des | |
Freiraums für die Zivilgesellschaft. „Die Unterdrückung kritischer Stimmen | |
nahm zu“, sagt Beeko über das zurückliegende Jahr. Die Handlungsräume von | |
Journalist:innen, Anwält:innen, NGOs und Oppositionellen werden kleiner. | |
Die Coronapandemie habe diesen Trend verschärft: Repression sei vielfach | |
„unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung“ erfolgt. | |
Überhaupt habe die Pandemie die Menschenrechte unter Druck gesetzt. Wer den | |
vollmundigen Versprechungen auf ein ‚Build Back Better‘ und auf einen | |
Neustart der Beziehungen zwischen dem Globalen Süden und dem Norden | |
vertraut und auf Investitionen und Technologietransfers gehofft habe, sei | |
„bitter enttäuscht worden“. Der angekündigte Schuldenerlass für arme Lä… | |
führe faktisch nur zu einer Entlastung von insgesamt etwa 10 Milliarden | |
Dollar für etwa 40 Länder. | |
Amnesty fordert die Bundesregierung auf, sich für eine [10][Aufhebung des | |
Patentschutzes von Corona-Impfstoffen] einzusetzen. Deutschland ist einer | |
der wenigen Staaten weltweit, die einen entsprechenden Antrag von Ländern | |
wie Südafrika und Indien bei der Welthandelsorganisation WTO blockieren. | |
28 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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