# taz.de -- Russische Kriegsverbrechen: Chefankläger ermittelt in Den Haag | |
> Auf Ersuchen von 39 Staaten hat der Chefankläger am Weltstrafgericht ein | |
> Verfahren zur „Situation in der Ukraine“ eröffnet. Was bedeutet das? | |
Bild: Der Chefankläger der Weltgemeinschaft: Karim Khan in Den Haag | |
DEN HAAG taz | Wladimir Putin wird nicht ausdrücklich erwähnt. Das | |
Ermittlungsverfahren, das der Chefankläger am Internationalen | |
Strafgerichtshof, Karim Ahmad Khan, am Mittwoch eröffnete, bezieht sich | |
ganz neutral auf die „Situation in der Ukraine“, von 2013 bis heute. Khan, | |
ein Brite, wird mögliche Verbrechen aller Seiten untersuchen: | |
[1][Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.] Um | |
den Vorwurf des Angriffskriegs geht es bisher jedoch nicht. | |
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist kein UN-Gericht, sondern | |
beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag, dem römischen Statut, das von | |
123 Staaten, inklusive Deutschland, ratifiziert wurde. Die Großmächte USA, | |
China und Russland sind nicht beteiligt. Ihre Staats- und | |
Militärführer:innen können aber für Verbrechen auf dem Gebiet von | |
anderen Staaten vor dem IStGH verantwortlich gemacht werden. | |
Derzeit geht es noch nicht um ein Gerichtsverfahren, sondern um | |
Ermittlungen des Anklägers, also die Suche nach Beweisen und ihre | |
Bewertung. Laut dem römischen Statut gibt es drei Wege, wie ein derartiges | |
Ermittlungsverfahren zustande kommen kann. Der erste Weg ist eine | |
Überweisung durch den UN-Sicherheitsrat. Das ist im Ukraine-Fall aber | |
faktisch ausgeschlossen, weil Russland dort ein Vetorecht hat. | |
Der zweite Weg geht von einzelnen IStGH-Mitgliedstaaten aus. Als erster | |
Staat ersuchte zunächst nur Litauen den Chefankläger um Ermittlungen. | |
Binnen weniger Tage folgten aber 38 andere Staaten von Australien bis | |
Ungarn. Auch Deutschland ist dabei. | |
Als dritter Weg kann der Chefankläger auch selbst ein Verfahren einleiten. | |
Er braucht dazu aber die Zustimmung einer Vorprüfungskammer des Gerichts. | |
Einen entsprechenden Antrag hat Khan am Dienstag gestellt. Jetzt muss eine | |
Kammer aus drei Richter:innen entscheiden, die aus Japan, Italien und | |
der Demokratischen Republik Kongo kommen. | |
## Verbrechen auf der Krim | |
Khans Vorgängerin Fatou Bensouda führte bereits seit 2014 Voruntersuchungen | |
zur Situation in der Ukraine durch. Dabei ging es um die Niederschlagung | |
der Euro-Maidan-Proteste sowie Verbrechen auf der von Russland 2014 | |
annektierten ukrainischen Halbinsel Krim und bei [2][Kämpfen um die | |
Volksrepubliken Donezk und Luhansk ab 2014]. | |
2019 kam Bensouda zum Schluss, dass auf der Krim zahlreiche | |
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. | |
Auch bei den Kämpfen in der Ostukraine habe es Kriegsverbrechen gegeben. | |
Sie ließ dabei offen, welche Seite verantwortlich war. Auffällig ist, dass | |
sie das Delikt des Völkermords nicht erwähnte, obwohl Putin die Invasion in | |
die Ukraine doch damit rechtfertigte, die Ukraine verübte in den | |
Volksrepubliken einen Genozid. | |
Einen Antrag an die Vorprüfungskammer stellte Bensouda damals aber nicht. | |
Das mag eine Folge der Coronabelastung gewesen sein und auch mit dem | |
Amtswechsel von Bensouda zu Khan 2021 zusammenhängen. Khan stellte erst | |
jetzt, drei Jahre nach den Schlussfolgerungen Bensoudas, den entsprechenden | |
Antrag. Offensichtlich hat erst die russische Invasion die Ukraine auf den | |
Radar des Chefanklägers gehoben. | |
Das von den 39 Staaten initiierte Verfahren beschränkt sich aber | |
ausdrücklich nicht auf die alten Vorgänge. Bei der Untersuchung der noch | |
andauernden Invasion steht Khan aber naturgemäß noch am Anfang, so dass | |
nicht mit kurzfristigen Ergebnissen zu rechnen ist. | |
Einen Haftbefehl, zum Beispiel gegen Wladimir Putin könnte Khan nicht | |
selbst ausstellen. Er bräuchte dafür wiederum die Zustimmung der | |
IStGH-Vorprüfungskammer. Das gleiche gilt für eine Anklage gegen bestimmte | |
Personen. Der Strafprozess würde dann vor dem Internationalen | |
Strafgerichtshof in Den Haag stattfinden. | |
## Ohne einen Machtwechsel in Moskau geht wenig | |
Unter Kriegsverbrechen versteht man zum Beispiel gezielte Angriffe auf die | |
Zivilbevölkerung oder die Misshandlung von Kriegsgefangenen. Dabei müssen | |
die Taten nicht nur gerichtsfest dokumentiert werden. Sie müssten auch der | |
russischen oder ukrainischen Staatsführung zugerechnet werden können. | |
Exzesse einzelner Soldaten oder Truppenteile genügen in der Regel nicht. | |
Seit 2018 ist der IStGH auch für das Verbrechen der „Aggression“, also des | |
Angriffskriegs zuständig. Hier sind die Hürden für ein Verfahren aber so | |
hoch, dass es faktisch nur mit russischer Zustimmung eingeleitet werden | |
kann. Denkbar wäre ein Verfahren wegen Putins Angriffskrieg also wohl erst | |
nach einem Machtwechsel in Moskau. | |
Bei Kriegsverbrechen sind die Hürden niedriger. Zwar ist auch die Ukraine | |
kein Vertragsstaat des Römischen Statuts. Sie hat sich aber in zwei | |
Erklärungen von 2014 und 2015 der Rechtsprechung des IStGH für alle | |
Verbrechen ab November 2013 unterworfen. Damit kann der IStGH zumindest | |
Verbrechen auf ukrainischem Boden untersuchen. | |
4 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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