| # taz.de -- Lebensmittelversorgung in der Ukraine: Brot fürs ganze Land | |
| > In einer Bäckerei in Kiew backen Freiwillige jeden Tag Hunderte Brote. | |
| > Dort wird versucht, die humanitäre Krise in der Ukraine aufzuhalten. | |
| Bild: Die wichtigste Aufgabe in der Kiewer Bäckerei: Teig kneten | |
| Kiew taz | Schon ab dem frühen Morgen wird auf Hochtouren gearbeitet und | |
| selbst auf der Straße duftet es nach frisch gebackenem Brot. Ungefähr ein | |
| Dutzend Leute drängt sich in einem kleinem Raum und jeder hat zu tun. Einer | |
| schleppt Säcke mit Mehl, ein anderer schneidet Butter in Stücke oder fettet | |
| Backformen ein. Und dann gibt es da noch den verantwortungsvollsten Job: | |
| den Teig für das Brot kneten. Innerhalb einer Stunde füllen sich die Regale | |
| mit Dutzenden Brotlaiben. Der Ort des Geschehens: die Kiewer Bäckerei | |
| „Gutes Brot von guten Menschen“ – alle, die hier arbeiten, sind | |
| Freiwillige. | |
| „Der Krieg, das sind nicht nur Tod und Angriffe, sondern das ist auch eine | |
| humanitäre Krise. Deshalb sind wir hier, um unseren Leute zu helfen“, sagt | |
| der 26-jährige Wladislaw Malaschtschenko, der Gründer der Bäckerei. Er hat | |
| eine heisere Stimme und müde, aber freundliche Augen. Seine Hände und die | |
| Ärmel seines Pullovers sind mit Mehl bestäubt. „Gestern haben wir unser | |
| Brot nach Tschernihiw geschickt, heute geht eine Lieferung nach | |
| [1][Irpen]“, zählt der junge Mann die Namen ukrainischer Städte auf, wo | |
| jetzt aufgrund der Kämpfe die Versorgungslage mit Lebensmitteln extrem | |
| schwierig ist. | |
| Bis vor einem Monat wurden hier Muffins, Kuchen, Croissants und | |
| Konditoreiwaren gebacken, jetzt jedoch nur noch das, was in Zeiten des | |
| Krieges am wichtigsten ist: Brot. Die Bäckerei gibt es bereits seit einigen | |
| Jahren und sie ist in der Ukraine sehr bekannt, weil sie einer der | |
| führenden sozialen Betriebe des Landes ist. Ihre Einzigartigkeit besteht | |
| darin, dass alle Mitarbeiter*innen die unter der fachkundigen | |
| Anleitung eines professionellen Bäckers arbeiten, mentale | |
| Beeinträchtigungen, wie Autismus oder das Downsyndrom haben. | |
| Sie sind es auch, die die bestellten Waren ausliefern. In zahlreichen | |
| Interviews hat Wladislaw immer wieder hervorgehoben, dass diese | |
| Personengruppe in der Ukraine immer benachteiligt sei, er ihnen jedoch die | |
| Möglichkeit geben wolle, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Doch | |
| Russlands Krieg gegen die Ukraine hat alles verändert. „Das sind besondere | |
| Menschen. Wir haben ihnen vor dem Beginn des Krieges zwar erklärt, was | |
| Krieg ist und dass dieser Fall eintreten könnte, aber sie nehmen die Gefahr | |
| anders wahr“, sagt Wladislaw und fügt hinzu: „Bei einem Luftangriff oder | |
| einer Bedrohung können sie sehr schnell in Panik geraten. Da tragen wir | |
| dann eine Verantwortung, die in einer kritischen Situation schwer zu | |
| händeln ist.“ | |
| ## Eine andere Atmosphäre im Krieg | |
| Daher ist von den 20 Mitarbeiter*innen mit Einschränkungen, die | |
| durchschnittlich 40 Jahre alt sind, jetzt nur eine Person übrig geblieben. | |
| Das ist der 57-jährige Aleksandr, der nicht nur weiter in der Bäckerei | |
| arbeitet, sondern jetzt auch hier wohnt. Einige der Angestellten sind in | |
| Kiew bei ihren Familien geblieben, andere wurden von ihren Verwandten aus | |
| der Stadt oder sogar ins Ausland gebracht. Diejenigen, die in speziellen | |
| Einrichtungen lebten, wurden zusammen mit diesen evakuiert. Wladislaw sagt, | |
| er bemühe sich, den Kontakt zu seinen Schützlingen zu halten, doch das sei | |
| jetzt sehr schwierig. „Ich hoffe sehr, dass nach dem Krieg alle an ihren | |
| Platz zurückkehren und wieder in der Bäckerei arbeiten werden.“ | |
| Jetzt herrscht in der Bäckerei eine ganz andere Atmosphäre. Nachdem | |
| Wladislaw seine Familie ins Ausland brachte, kehrte er nach Kiew zurück. | |
| Für ihn war klar: er würde weitermachen. Doch woher die Leute nehmen, um | |
| Brot zu backen, das in den ersten Wochen der russischen Angriffe zur | |
| Mangelware wurde? „Außer Öfen hatten wir weder die Fertigkeiten zum | |
| Brotbacken noch spezielle Geräte“, erinnert sich Wladislaw an die ersten | |
| Tage des neuen Lebens der Bäckerei. | |
| Dann entschied sich der junge Unternehmer, eine Anzeige zu schalten, um | |
| Freiwillige zu suchen. „Ich habe sofort viele Antworten erhalten, von | |
| Bekannten, aber auch mir unbekannten Menschen. Jetzt haben wir einen | |
| Brotbackmeister, er bringt den anderen die Techniken bei und gibt so auch | |
| sein Wissen an die neue Freiwilligen weiter“, erzählt Wladislaw. | |
| Jeden Tag werden in der kleinen Bäckerei 400 bis 800 Brote gebacken. Die | |
| Menge hängt davon ab, wie viel Mehl zur Verfügung steht. In der Regel | |
| erhält das Unternehmen die Backzutaten entweder von Freiwilligen oder es | |
| bestreitet den Einkauf mit eigenen Mitteln. Freiwillige spielten laut | |
| Wladislaw beim gesamten Prozess der Brotherstellung eine sehr wichtige | |
| Rolle. „Vor Kurzem ist unsere Teigmischmaschine kaputtgegangen. Handwerker | |
| sind gekommen und haben alles kostenlos repariert“, sagt er. | |
| ## Auf Tschernihiw fallen ständig Bomben | |
| Der Ansatz der Freiwilligkeit ist für die Bäckerei alles. „Uns wurde oft | |
| angeboten, unsere Produkte zu kaufen. Aber ich bin aus Prinzip dagegen. | |
| Jetzt ist Krieg, da müssen wir den Bedürftigen helfen, so gut wir können“, | |
| ist der Gründer der Bäckerei überzeugt. „Wir laufen gerade einen Marathon | |
| und alle haben es schwer. Doch bald wird es ein Ende geben und dieses Ende | |
| heißt Sieg.“ | |
| Auf die Frage nach seiner persönlichen Motivation antwortet Wladislaw mit | |
| einem Beispiel. In seiner Bäckerei gibt es zwei Freiwillige, denen es | |
| gelang, aus Tschernihiw zu fliehen. Die Stadt ist ständigen Bombardierungen | |
| ausgesetzt. „Die Jungs haben erzählt, dass in ihrer Stadt die Leute für ein | |
| Stück Brot alles zu geben bereit sind. Und jetzt liefern wir unser Brot | |
| dorthin. Das ist meine größte Motivation“ sagt Wladislaw. Außerdem kämen | |
| jeden Tag Freiwillige, die bei der Territorialverteidigung, der Polizei, in | |
| Krankenhäusern und Menschen mit geringem Einkommen helfen, um frisches Brot | |
| zu holen. Deshalb müsse es eben weitergehen, das ist die Verantwortung | |
| gegenüber denjenigen, die auf Hilfe warten. | |
| Geld, das an die Bäckerei gespendet wird, gibt Wladislaw für Mehl und die | |
| Instandhaltung des Betriebes aus. Einen Teil der Spenden legt er aber auch | |
| für die Anschaffung eines weiteren, größeren Ofens zurück. „Ich möchte m… | |
| Brot backen, um noch mehr Menschen helfen zu können“, sagt er. | |
| Gerade backt eine weitere Ladung rötlicher Brote in dem Ofen. Sobald das | |
| Brot abgekühlt ist, wickeln Freiwillige es in Papier ein und binden es | |
| sorgfältig mit einer Schnur zusammen – so bleibt es länger frisch. In der | |
| Nähe der Bäckerei hat bereits ein Freiwilligenbus geparkt, um in wenigen | |
| Minuten Hunderte Brote zu den Menschen zu bringen, die schon auf sie | |
| warten. Schon landet die nächste Fuhre im Ofen. Und so geht es jeden Tag, | |
| ohne Unterbrechung, bis zum Ende des Marathons. Bis zum Tag des [2][Sieges | |
| in diesem Krieg]. | |
| Die Autorin war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter | |
| Stiftung | |
| Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
| 28 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anastasia Magasowa | |
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