# taz.de -- Buch „Brennpunkt Westafrika“: Warum Menschen fliehen | |
> Aktivist und Soziologe Olaf Bernau analysiert in seinem Buch die | |
> Vielfachkrisen und Fluchtursachen in Westafrika. Optimistisch ist sein | |
> Befund nicht. | |
Bild: Pissy-Granatmine in Burkina Faso: viele Menschen, die vor dem IS flüchte… | |
Ereignisse wie im Pariser Club Bataclan, mit denen Terror ganze | |
Gesellschaften erschüttert, kennen auch die Staaten des Sahel. Im Fall | |
Malis etwa ist es das Massaker von Ogassogu am 23. März 2019. Die Miliz Dan | |
Na Ambassagou („Jäger, die auf Gott vertrauen“) ermordete da 172 Hirten aus | |
dem Volk der Fulbe. | |
[1][In Mali stürzte darüber die Regierung], selbst an der interessierten | |
europäischen Öffentlichkeit aber gehen solche Vorfälle völlig vorbei. Die | |
eskalierende Gewaltdynamik im Sahel wird am Rande wahrgenommen, von | |
Interesse ist dabei aber bestenfalls, ob der deutsche Bundeswehreinsatz nun | |
sinnvoll ist oder nicht. Koloniale Tiefenstrukturen, politisch-ökonomische | |
Auseinandersetzungen, die vom Dschihad überformt werden, bleiben im | |
Dunkeln. | |
Der [2][Aktivist Olaf Bernau] hat mit „Brennpunkt Westafrika“ nun ein Buch | |
vorgelegt, das Mikro-Ansichten, wie jene auf das Massaker von Ogassogu, zu | |
einer bemerkenswert erhellenden Regionalanalyse verschränkt. Der Dschihad | |
ist darin nur eine Facette. | |
Optimistisch ist Bernaus Befund nicht –„Vielfachkrise“ und „Dauerkrise�… | |
mit diesen Vokabeln beschreibt er die Region: In der Krise seien der | |
Territorialstaat, der gesellschaftliche Zusammenhalt, die Ökonomie, die | |
Landwirtschaft, das Klima. Die Ursachen dafür reichen lange zurück, die | |
Folge ist ein Gefühl tiefer Perspektivlosigkeit, vor allem bei jungen | |
Menschen. Viele von ihnen drängt es in die irreguläre Migration und nicht | |
wenige in den Dschihad. | |
## Recht zu gehen, Recht zu bleiben | |
Bernau schöpft seine Ansichten aus der Arbeit in einem Netzwerk, das er | |
selbst vor gut zehn Jahren mitgegründet hat: Afrique-Europe-Interact (AEI), | |
ein Zusammenschluss politischer Initiativen und sozialer Basisgruppen in | |
Europa und Westafrika. Ihre Themen: Migration und gerechte Entwicklung, | |
kondensiert in der Forderung auf ein „Recht zu gehen und ein Recht zu | |
bleiben“. | |
Was diesem „Recht zu bleiben“, der Aussicht auf ein würdiges, nicht von Not | |
gezeichnetes Leben entgegensteht, sind „Fluchtursachen“. Von diesen handelt | |
das Buch, und von Europas Verantwortung für diese. | |
Über Jahre hat Bernau Kleinbauern in ihren Kämpfe begleitet, er macht | |
greifbar, wie diese versuchen, der Klimakrise zu trotzen, und sich dabei | |
auch gegen eine europäische Agrarindustrie behaupten müssen. Er konturiert | |
die neuen Konjunkturen des Antikolonialismus. Vor allem aber spürt er den | |
Hypotheken nach, die die europäischen Herrscher hinterließen und die | |
Dekolonisierung vielerorts bis heute unvollständig lassen. | |
Und so liege der Schlüssel, der aus den regionalen Dynamiken angestauten | |
„Vielfachkrise“ zu begegnen, auch in Europa: Es müsse das begangene Unrecht | |
anerkennen und das Verhältnis zu Afrika auf dieser Grundlage neu | |
konstituieren. Nur so, darauf läuft Bernaus Analyse hinaus, könne es den | |
notwendigen Beitrag dazu leisten, Westafrikas Jugend Hoffnung zurück zu | |
geben. | |
22 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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