| # taz.de -- Seenotretter der Iuventa vor Gericht: Unter Ausschluss der Öffentl… | |
| > In Sizilien endet nach dreistündiger Verhandlung das Vorverfahren gegen | |
| > 21 Seenotretter*innen. Ob es zu einer Hauptverhandlung kommt, bleibt | |
| > unklar. | |
| Bild: Die vier Seenotretter*innen der Iuventa mit ihren Anwälten | |
| Trapani taz | Rund 100 Menschen hatten am Hafenbecken in der Nähe des | |
| Gerichtsgebäudes eine Kundgebung aufgebaut und dort auf die Beschuldigten | |
| gewartet. „Obwohl ihr physisch nicht mit uns drinnen im Gerichtsaal sein | |
| durftet, wart ihr trotzdem da“, sagte der Seenotretter Sascha Gierke nach | |
| der Verhandlung. Die öffentliche Unterstützung sei sehr wertvoll für die | |
| [1][Angeklagten, denen 20 Jahre Haft] drohen. „Wir haben gezeigt, dass es | |
| nicht um uns geht, sondern um Hilfe für Menschen auf der Reise, dass die | |
| machbar ist, dass sie effektiv sein kann.“ | |
| Das Verfahren dreht sich um zwei Rettungseinsätze: im September 2016 in | |
| libyschen Hoheitsgewässern und im Juni 2017 in internationalen Gewässern. | |
| Dabei wurden insgesamt 404 Schiffbrüchige zunächst an Bord des Schiffs | |
| „Iuventa“ der deutschen NGO Jugend Rettet genommen. Später wurden sie mit | |
| zwei Schiffen der NGOs Ärzte ohne Grenzen und Save The Children nach | |
| Italien gebracht. | |
| Die Staatsanwaltschaft hat dies als Schlepperei ausgelegt. Sie wirft den | |
| Beschuldigten vor, „in krimineller Absicht (…) Ausländer zum Zweck der | |
| illegalen Einreise transportiert zu haben“. Neben den Haftstrafen drohen | |
| den Angeklagten bis zu 15.000 Euro Geldbuße pro nach Italien gebrachter | |
| Person. | |
| Der Anwalt Nicola Canestrini versuchte am Samstag unter anderem | |
| durchzusetzen, dass den Beschuldigten die wichtigsten Prozessdokumente | |
| übersetzt zur Verfügung gestellt werden. Zudem habe es Unregelmäßigkeiten | |
| bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegeben. Schließlich zog er in | |
| Zweifel, ob die Rechtsgrundlage für das Verfahren verfassungsgemäß ist. | |
| Letztlich, so Canestrini nach der Verhandlung, gehe es aber „nicht darum, | |
| was hier im Gericht läuft, sondern um das, was bis heute weiter auf See | |
| geschieht. Deshalb ist es so wichtig, dass die Öffentlichkeit zuschaut.“ | |
| ## „Wir brauchen eine öffentliche Debatte | |
| Doch die musste am Samstag draußen bleiben. Beobachter*innen und | |
| Medien waren nicht zugelassen. Das Europäische Zentrum für Bürger- und | |
| Menschenrechte ECCHR aus Berlin und andere NGOs, die Beobachter*innen | |
| nach Trapani geschickt hatten, hatten bis zuletzt vergeblich versucht, eine | |
| Zugangsberechtigung zu erhalten. | |
| Canestrini beantragte, die nächsten Verhandlungstermine für | |
| Beobachter*innen zu öffnen. „Ich habe schon in Ägypten, Nordirland und | |
| der Türkei Prozesse geführt. Nirgendwo war die Öffentlichkeit | |
| ausgeschlossen“, sagte Cannestrini. Ein öffentliches Verfahren sei ein | |
| „Kernwert der Demokratie und des Rechtsstaats“. Die Staatsanwaltschaft | |
| beantragte allerdings, auch den Rest der Vorverfahrens geschlossen zu | |
| führen. Der Richter kündigte an, dies bis zum nächsten Verhandlungstermin | |
| am 5. Juli zu prüfen. | |
| Der Prozess in Trapani sei für die „gesamte Zivilgesellschaft von größter | |
| Bedeutung“, sagte Annina Mullis von den Demokratischen Jurist*innen der | |
| Schweiz, die nach Trapani gereist war, aber vor der Tür warten musste. | |
| „Deshalb darf er nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Wir | |
| brauchen eine öffentliche Debatte und hoffen, dass die Staatsanwaltschaft | |
| ihre Position überdenkt.“ Die Juristin Allison West vom ECCHR sagte: | |
| „Italien versucht, zivile Seenotrettung und Beihilfe zum Menschenschmuggel | |
| gleichzusetzen. Damit werden Gesetze zum Schutz von Menschen auf der Flucht | |
| als Waffe gegen jene eingesetzt, die sich mit ihnen solidarisieren“. | |
| Viele jener, die aus [2][Libyen über das Mittelmeer fliehen], versuchten | |
| Verbrechen zu entkommen, die nach Erkenntnissen des ECCHR Verbrechen gegen | |
| die Menschlichkeit darstellen. 2019 hatte das ECCHR eine Beschwerde bei der | |
| UN-Sonderberichterstatterin für die Situation von | |
| Menschenrechtsverteidigern eingereicht. Diese forderte daraufhin, die | |
| Ermittlungen einzustellen. Trotzdem beschloss der Staatsanwalt, 2022 | |
| Anklage zu erheben. | |
| ## Antwort auf das Verfahren: Weitermachen | |
| Bei der Kundgebung in Trapani am Samstag wurden Sprecher*innen von | |
| einigen der insgesamt 17 weiteren Solidaritätsaktionen in anderen | |
| europäischen und nordafrikanischen Städten zugeschaltet. „Wir dürfen eins | |
| nicht vergessen: Am härtesten trifft die Repression die Flüchtenden | |
| selbst“, sagte eine Rednerin. Sie spielte auf eine [3][ganze Reihe von | |
| Verfahren in diesen Wochen] an, in denen die Justiz in Griechenland und | |
| Italien Geflüchtete wegen Schlepperei angeklagt hat, weil sie Boote | |
| gesteuert haben sollen. | |
| Nur ein kleiner Teil der Angeklagten war indes am Samstag in Trapani | |
| erschienen – nämlich jene 4 deutschen Seenotretter*innen, die auf der | |
| Iuventa im Einsatz waren. Die übrigen 17, Crewmitglieder auf Schiffen der | |
| NGOs Ärzte ohne Grenzen und Save The Children, waren nicht gekommen. Die | |
| beiden NGOs wollen dem Vernehmen nach erst abwarten, ob es überhaupt zu | |
| einem Hauptverfahren kommt. Das kann noch Jahre dauern. | |
| In Sichtweite der Kundgebung lag die mittlerweile völlig verrostete Iuventa | |
| – das Schiff, mit dem die fraglichen Rettungen durchgeführt worden waren. | |
| Die Staatsanwaltschaft hatte es im August 2017 auf Lampedusa beschlagnahmt | |
| und erst im vergangenen Herbst wieder freigegeben. Ebenfalls im Hafen von | |
| Trapani war am Samstag das [4][Rettungsschiff Sea Watch 4]. Das war erst in | |
| der vergangenen Woche mit 140 Geretteten nach Sizilien gekommen und | |
| schließlich in den Hafen von Trapani gefahren – auch als Solidaritätsgeste. | |
| Die Besatzung für den anstehenden nächsten Einsatz ist seit dem vergangenen | |
| Sonntag auf dem Schiff in Quarantäne. | |
| Unter ihnen ist auch der aus Hamburg stammende Dariush Beigui. Er ist einer | |
| der Angeklagten in dem Iuventa-Verfahren. Doch er ging am Samstag nicht in | |
| den Gerichtssaal, weil er als Teil der nächsten Sea Watch Crew in | |
| Quarantäne blieb. „Unsere Antwort auf die Repression kann nur sein, | |
| weiterzumachen“, sagte Beigui am Samstag in Trapani. „Deswegen gehe ich | |
| jetzt wieder auf das Schiff.“ | |
| 21 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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