| # taz.de -- Seenotretterin über Gerichtsprozess: „Das hat Menschenleben geko… | |
| > Am Freitag entscheidet sich, ob der bisher größte Prozess gegen | |
| > Seenotretter:innen eingestellt wird. Kathrin Schmidt ist eine der | |
| > Angeklagten. | |
| Bild: Überfüllte Boote, Menschen treiben im Wasser: April 2017 retteten Seeno… | |
| taz: Frau Schmidt, an diesem Freitag entscheidet sich, ob [1][ein seit 2017 | |
| laufendes Vorverfahren] gegen Sie und andere Seenotretter:innen von | |
| „Jugend rettet“, „Save the Children“ und „Ärzte ohne Grenzen“ wegen | |
| angeblicher Beihilfe zur illegalen Einreise endet. Wie geht es Ihnen | |
| gerade? | |
| Kathrin Schmidt: Ich bin zuversichtlich, dass diese Odyssee bald vorbei | |
| ist. Wir haben für den Prozesstermin mobilisiert, es kommen Freund:innen, | |
| Menschen, die uns solidarisch begleitet haben. Wir würden den Moment gern | |
| teilen. | |
| Worauf gründet Ihre Zuversicht? | |
| [2][Die Aussagen der drei Zeugen im Februar] war wohl ausschlaggebend | |
| dafür, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht fortführen will. | |
| Allerdings haben wir über die Jahre so viele absurde Dinge erlebt, dass die | |
| Forderung der Staatsanwaltschaft dann doch überraschend für uns kam. | |
| Was haben die Zeugen gesagt? | |
| Es handelt sich um Ex-Polizisten, die als Mitarbeiter einer | |
| Sicherheitsfirma an Bord der „Vos Hestia“ waren, einem Rettungsschiff der | |
| NGO Save The Children. Der Besitzer ihrer Sicherheitsfirma hat Beziehungen | |
| zur Identitären Bewegung in Italien. Die Anklage gegen uns baute darauf | |
| auf, dass diese Zeugen Dinge gesehen haben wollen, die gar nicht passiert | |
| sind. | |
| Unter anderem wurde behauptet, dass Sie mit libyschen Schleppern | |
| zusammengearbeitet hätten. | |
| Die drei konnten sich im Februar an nichts erinnern, was sie früher | |
| behauptet hatten, konnten weder klären noch beschreiben, was sie damals | |
| gesehen haben wollen. Was mich so richtig wütend macht ist, dass alles | |
| mindestens fünf Jahre früher hätte passieren können. Alle Infos, mit denen | |
| die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung jetzt begründet, waren von Beginn | |
| an bekannt. | |
| Wie sicher ist, dass der Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgt? | |
| Es gibt die sehr unwahrscheinliche Möglichkeit, dass er die | |
| Hauptverhandlung durchziehen will. Das wäre schockierend und ein Beleg für | |
| großen politischen Druck. | |
| Ein Vertreter des Innenministeriums war beim letzten Verhandlungstermin | |
| dabei und hat nicht darauf bestanden, dass es eine Hauptverhandlung geben | |
| soll. | |
| Wenn selbst der Staatsanwaltschaft die Argumente ausgehen, dann kann im | |
| Gerichtsaal auch das Innenministerium nicht argumentieren, warum es | |
| weitergehen sollte. Trotzdem ist die Regierung ja eine treibende Kraft der | |
| Kriminalisierung, die nicht nur uns trifft, sondern systematisch | |
| hauptsächlich Geflüchtete. Dass das Ministerium letztlich nicht auf einer | |
| Hauptverhandlung bestanden hat, ist kein Indiz dafür, dass es keinen | |
| politischen Druck im Hintergrund bei diesem Vorverfahren gibt. | |
| Das Vorverfahren läuft seit fast sieben Jahren. Was war für Sie in dieser | |
| Zeit wichtig? | |
| Für uns war wichtig, uns nicht einschüchtern zu lassen. Das ist uns | |
| gelungen. Wir konnten wenigstens ein klein wenig Aufmerksamkeit dafür zu | |
| schaffen, wie die Kriminalisierung läuft, wen sie betrifft und dass es in | |
| diesem Rahmen keine fairen Prozesse gibt. Dabei waren wir in einer sehr | |
| privilegierten Situation: Wir haben sehr viel Solidarität erfahren, konnten | |
| uns die besten Anwält:innen und eigene Übersetzer:innen leisten, es | |
| kamen internationale Prozessbeobachter:innen. | |
| Wie viel hat Sie dieser Prozess bisher gekostet? | |
| Der Preis lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Das geht weit über alles | |
| Materielle hinaus, auch wenn uns die Verteidigung natürlich Unsummen | |
| gekostet hat. Aber es waren eben auch Menschenleben, die verloren gingen, | |
| weil Rettungen nicht durchgeführt werden konnten. Wir hatten ein perfekt | |
| ausgestattetes Rettungsschiff, das 2017 beschlagnahmt wurde. Das ist jetzt | |
| ein Haufen Rost. [3][Save The Children hat sich komplett aus der | |
| Seenotrettung zurückgezogen.] | |
| Gab es nicht auch einen gegenteiligen Effekt – eine stärkere | |
| Solidarisierung? | |
| Die Zivilgesellschaft hat der Repression unglaublich viel entgegengesetzt. | |
| Dafür bin ich sehr dankbar. Aber die Solidarität, die für uns so deutlich | |
| spürbar war, heißt ja nicht, dass Repression nicht trotzdem weiter wirkt. | |
| Kriminalisierung und Solidarisierung sind starke Gegensätze, die sich aber | |
| nicht aufheben. | |
| Welche konkreten Folgen hatte das Verfahren für Sie? | |
| Es gab einige Jobs, die ich hätte machen wollen, aber aufgrund des | |
| Prozesses nicht bekommen habe. Offline-Bedrohungen gab es nicht, online mit | |
| Sicherheit schon, aber ich habe mich entschieden, mich davor zu schützen | |
| und soziale Medien nicht zu konsumieren. | |
| Hat der Prozess Sie daran gehindert, sich weiter in der Seenotrettung zu | |
| engagieren? | |
| Nein. Ich habe seitdem bei zwei anderen NGOs gearbeitet und unter anderem | |
| Rettungen koordiniert, derzeit leite eine Abteilung für Rettungsboote. Die | |
| anderen Angeklagten haben auch weitergemacht. | |
| 19 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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