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# taz.de -- Illegalisierte Seenotrettung: Iuventa-Crew wird nicht bestraft
> Ein Gericht in Trapani will keine Haupverhandlung gegen angeklagte
> Seenotretter:innen mehr führen. Es folgt dem Antrag der
> Staatsanwaltschaft.
Bild: Damals noch kein Haufen Rost: Das Schiff „Iuventa“ der NGO Jugend ret…
Berlin taz | Das Gericht im sizilianischen Trapani hat am Freitag das
Verfahren gegen die Crew des deutschen Seenot-Rettungsschiffs Iuventa
abgewiesen. Der auf seit 2017 laufenden Ermittlungen fußende Prozess war
der bisher größte gegen Seenotretter:innen in der EU. Den Angeklagten
war Schlepperei vorgeworfen worden, ihnen drohten Jahrzehnte Haft.
„Unser Fall ist ein Symbol für die Strategien, die europäische Regierungen
ergreifen, um Menschen daran zu hindern, sich in Sicherheit zu bringen“,
sagte der Angeklagte Sascha Girke. Die „fehlerhaften, politisch motivierten
Ermittlungen“ hätten zur Folge gehabt, dass Menschen im Mittelmeer
gestorben seien oder gewaltsam ins kriegsgebeutelte Libyen zurückgeschickt
wurden. „Währenddessen wurde unser Schiff dem Verfall überlassen, und wir
wurden in ein jahrelanges Verfahren hineingezogen.“ Das Verfahren sei Teil
einer „öffentlichen Diffamierungskampagne gegen die zivile Seenotrettung“
gewesen, die darauf abzielte, das harte Vorgehen gegen Rettungsaktivitäten
zu legitimieren.
Die Einstellung hatte sich indes bereits nach einer Anhörung im Februar
abgezeichnet – der letzten von insgesamt 40. Dabei hatten die drei
Haupt-Belastungszeugen sich an ihre ursprünglichen Aussagen nicht erinnern
können. Es handelte sich dabei um drei ehemalige Polizeibeamte, die 2017
für eine private Sicherheitsfirma mit Verbindungen zur rechtsextremen
Identitären auf einem anderen Rettungsschiff im Einsatz waren. Auf ihren
ursprünglichen Aussagen fußte die Anklage, die der Iuventa-Crew unter
anderem vorgeworfen hatte, mit libyschen Schlepperbanden zusammengearbeitet
zu haben. Die Angeklagten hatten dies stets zurückgewiesen.
[1][Nach der Anhörung im Februar kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss,
der Sachverhalt stelle „kein Verbrechen dar“, die Haupt-Belastungszeugen
seien „unglaubwürdig“]. Das 2017 beschlagnahmte Schiff sei wieder
freizugeben. Ein Vertreter des italienischen Innenministeriums, das im
Verfahren als Nebenkläger aufgetreten war, hatte erklärt, die Entscheidung,
ob ein Hauptverfahren durchgeführt wird, sei dem Gericht überlassen.
## 14.000 Menschen gerettet
Das Verfahren dreht sich um zwei Rettungseinsätze: im September 2016 in
libyschen Hoheitsgewässern und im Juni 2017 in internationalen Gewässern.
Dabei wurden insgesamt 404 Schiffbrüchige zunächst an Bord der Iuventa der
deutschen NGO Jugend Rettet genommen. Später wurden sie mit zwei Schiffen
der NGOs Ärzte ohne Grenzen und Save The Children nach Italien gebracht.
Die Staatsanwaltschaft hat dies als Schlepperei ausgelegt. Sie warf den
Beschuldigten vor, „in krimineller Absicht (…) Ausländer zum Zweck der
illegalen Einreise transportiert zu haben“. Neben den Haftstrafen drohten
den Angeklagten bis zu 15.000 Euro Geldbuße pro nach Italien gebrachter
Person. Insgesamt haben die Aktivist:innen der „Iuventa“ 2016 und 2017
etwas mehr als 14.000 Menschen aus dem Wasser gerettet. Sechzehnmal war das
Schiff dafür ausgelaufen. Bei rund der Hälfte dieser Missionen waren die
Angeklagten beteiligt.
Im August 2017 hatte die Staatsanwaltschaft Trapani die Iuventa
beschlagnahmt.
Das Urteil werde „einen Präzedenzfall für künftige Fälle schaffen“, hie…
beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin,
das die 2022 begonnene Vorverhandlung in Trapani verfolgt hatte. Die
Entscheidung gehe „über die direkt angeklagten Personen hinaus und betrifft
die gesamte zivile Seenotrettung als wichtige Säule der Solidarität mit
Menschen auf der Flucht“, so das ECCHR.
Elisa De Pieri vom Amnesty International sagte, die Angeklagten seien
Lebensretter und trotzdem „seit Jahren auf beschämende Weise durch die
italienischen Gerichte geschleift“ worden. Die Staatsanwaltschaft habe
„astronomisches Unrecht wiedergutmachen und das furchtlose Handeln der
Besatzungsmitglieder anerkennen“ müssen, die ihr eigenes Leben aufs Spiel
setzten, um andere zu retten. „Die Arbeit der Iuventa-Besatzung und
anderer, die Such- und Rettungsaktionen auf See durchführen, sollte niemals
kriminalisiert werden“, so De Pieri.
## Kriminalisierung nimmt zu
Nach jüngsten Berichten der NGOs Borderline Europe und Picum nimmt die
Kriminalisierung von Helfer:innen und Geflüchteten in der EU stark zu.
Humanitäre Hilfe werde von der Justiz wie Schlepperei eingestuft. Besonders
harte Strafen drohten Geflüchteten, denen die Beihilfe zur illegalen
Einreise anderer Geflüchteter vorgeworfen werde, etwa durch das Steuern
eines Bootes.
Am Montag verhandelt ein Gericht in Thessaloniki erneut über den Fall des
krebskranken Iraners Homayoun Sabetara, dem Menschenschmuggel vorgeworfen
wird. Er wurde 2022 zu 18 Jahren Haft verurteilt, weil er von Schleppern
gezwungen worden war, einen Kleinbus mit anderen Geflüchteten aus der
Türkei nach Griechenland zu steuern. Sabetara war selber auf der Flucht.
Menschenrechtsorganisationen berichten seit langen, dass bei jedem Auto
oder Boot, das ankommt, mindestens eine Person verhaftet und des Schmuggels
beschuldigt wird.
19 Apr 2024
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## AUTOREN
Christian Jakob
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