# taz.de -- Aktivisten über Fluchthilfe-Repression: „Es trifft vor allem Fl�… | |
> Homayoun Sabetera saß drei Jahre in Griechenland in Haft – wegen | |
> angeblicher Schlepperei. Engagierte aus der Soli-Kampagne erklären das | |
> System dahinter. | |
Bild: Will auch aufzeigen, wie konkret die Kriminalisierung von Geflüchteten w… | |
Der 60-jährige krebskranke Homayoun Sabetara sitzt seit drei Jahren in | |
Griechenland im Gefängnis. 2021 floh er aus dem Iran nach Berlin, um zu | |
seinen Töchtern zu gelangen. Weil er das Auto steuerte, in dem er mit | |
anderen Geflüchteten saß, wurde er der Schlepperei beschuldigt. Ohne | |
Beweise wurde er zu 18 Jahren Haft verurteilt. Seine Tochter Mahtab und das | |
#FreeHomayoun-Team kämpfen seit Jahren für seine Freilassung, die nun | |
endlich vom Gericht in Thessaloniki verkündet wurde. Die taz hat mit | |
Engagierten über den Fall und das System dahinter gesprochen. Anne Noack | |
und Kiana Ghaffarizad sind Teil des Kampagnenteams #FreeHomayoun und | |
leisten ehrenamtlich Bildungs- und Aufklärungsarbeit rund um die | |
Kriminalisierung von Migrant*innen. Julia Winkler ist Prozessbeobachterin | |
von der NGO Borderline Europe. | |
taz: Wie geht es Ihnen? | |
Kiana Ghaffarizad: Als wir uns direkt nach dem Prozess umarmt haben, | |
wussten wir alle nicht, ob wir weinen oder lachen sollten. Mahtab | |
wiederholte die ganze Zeit, sie wisse gar nicht mehr, wie sich jetzt ein | |
„normales Leben“ anfühlen würde nach all dieser Zeit. Zuerst einmal ist | |
viel Freude da und die Erleichterung, dass dieser dreijährige Horror und | |
das ewige Warten vorbei sind; das Nichtwissen, ob Homayoun die Zeit im | |
Gefängnis überlebt. Es wird aber in den nächsten Tagen auch eine gewisse | |
Ernüchterung kommen, da wir alle wissen, was es noch für ein langer Weg | |
ist, bis Homayoun zumindest in Thessaloniki ein einigermaßen würdiges | |
Leben führen kann. | |
taz: Welche Umstände führten zu seiner Freilassung? | |
Anne Noack: Es gab fehlende Übersetzung, mangelnde juristische Aufklärung | |
und nicht zuletzt die Tatsache, dass Homayouns Verurteilung auf einer | |
einzigen Zeugenaussage basierte, dieser Zeuge jedoch nie vor Gericht | |
erschienen ist, um befragt zu werden, wodurch die Aussage gar nicht | |
belastbar ist. Das Gericht hat dies jedoch ignoriert und Homayoun zu 18 | |
Jahren Haft verurteilt. Sein Anwalt Harry Ladis hat daraufhin Berufung | |
eingelegt. Auf diesen Berufungsprozess hat Homayoun zunächst 1,5 Jahre | |
gewartet, bis April 2024. Dann wurde er erneut verschoben, eben auf den 25. | |
September. Dank dem großartigen Anwaltsteam wurde Homayouns Strafmaß von | |
18 Jahren auf 7 gekürzt, von denen er 3 bereits abgesessen hat und den Rest | |
auf Bewährung freigelassen wird. | |
taz: Ab wann [1][werden Geflüchtete denn des Schmuggels beschuldigt]? | |
Julia Winkler: Das bloße Steuern eines Bootes oder Autos oder die | |
Unterstützung de*r Fahrer*in – zum Beispiel durch das Überprüfen des | |
Motors – reichen aus, um jemanden der „Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ | |
schuldig zu sprechen. In der Konsequenz trifft es vor allem Flüchtende | |
selbst, welche als Schmuggler*innen kriminalisiert werden. Dieser | |
Umstand wird durch systematische Rechtsverletzung, darunter willkürliche | |
Verhaftungen, Misshandlung und Nötigung sowie die systematische | |
Verweigerung des Zugangs zu Rechtsbeistand und Übersetzungs- und | |
Verdolmetschungsdiensten weiter verschärft. Da es sich bei den Betroffenen | |
um eine strukturell vulnerable Gruppe handelt, die sich zudem in der Regel | |
ab Zeitpunkt der Verhaftung in der Untersuchungshaft befindet, werden all | |
diese Rechtsverletzungen für gewöhnlich jedoch nicht angefochten und | |
Betroffene zusätzlich auf der Basis fragwürdiger Beweise und zahlreicher | |
Verfahrensfehler zu langen Haftstrafen verurteilt. | |
taz: Wie hoch ist der Anteil solcher Geflüchteter, die nach einer | |
Verurteilung doch noch freigelassen werden? | |
Winkler: Dazu gibt es keine Daten. Wenn Betroffene eine gute anwaltliche | |
Vertretung haben, ist davon auszugehen, dass diese gegen erstinstanzliche | |
Urteile Berufung einlegt. Da die meisten Betroffenen jedoch von | |
Pflichtverteidiger*innen vertreten werden und Gerichtsdokumente in | |
der Regel nur auf Griechisch im Gefängnis erhalten, ist dies extrem | |
erschwert. In Berufungsverfahren mit guter anwaltlicher Vertretung können | |
Urteile oftmals so reduziert werden, dass Betroffene in der Regel ihre | |
Mindesthaftzeit zu diesem Zeitpunkt bereits abgesessen haben und entlassen | |
werden können, so wie im Fall von Homayoun. Die Freispruchquote liegt | |
jedoch nur bei circa 8 Prozent. | |
taz: Wie hat sich der Aktivismus von #FreeHomayoun auf den Fall | |
ausgewirkt? | |
Ghaffarizad: Die Kampagne #FreeHomayoun wurde überhaupt erst dadurch | |
möglich, dass Mahtab Sabetara ihre Geschichte erzählt hat. Zusammen mit | |
Aktivist*innen von der Seebrücke Schweiz hat Mahtab Sabetara dann die | |
Kampagne gestartet. Uns ging es in erster Linie darum, Mahtab und Homayoun | |
direkt zu unterstützen. Darüber hinaus wollten wir Aufklärungsarbeit | |
leisten, das „Schmugglernarrativ“ hinterfragen. | |
Noack: Einerseits hat die Kampagne eine direkte Unterstützung für | |
Homayouns Tochter Mahtab geschaffen, aber auch bei allem, was ihr Vater | |
an juristischer oder finanzieller Unterstützung brauchte. Darüber hinaus | |
hat die Kampagne hervorgehoben, dass Homayoun kein Einzelfall ist, und | |
Aufmerksamkeit auf die Systematik dahinter gelenkt, sodass hoffentlich auch | |
die über 2.000 weiteren betroffenen Personen davon profitieren können, | |
indem sie aus der Unsichtbarkeit geholt werden. | |
taz: Wie haben die Jahre im Gefängnis das Leben des Betroffenen und das | |
seiner Familie verändert? | |
Ghaffarizad: Das Leben der beiden lag auf Eis. Beide Kinder mussten ihr | |
normales Leben als Studierende und Sozialarbeiterin und Klavierlehrerin | |
unterbrechen. | |
Noack: Stattdessen mussten sie sich plötzlich mit juristischen | |
Angelegenheiten auseinandersetzen und Wege finden, ihren Vater im Gefängnis | |
zu unterstützen. Sei es emotional, aber auch mit finanziellen Mitteln, da | |
im Gefängnis alles sehr teuer ist. | |
taz: Was passiert jetzt genau? | |
Noack: Homayoun wird jetzt zurück nach Trikala ins Gefängnis gebracht. Dort | |
muss er die Formalitäten für seine Freilassung erledigen und sollte dann in | |
den nächsten Tagen freigelassen werden. Nach seiner Freilassung wird er | |
aber erst mal in Griechenland bleiben müssen. | |
Ghaffarizad: Die ersten Schritte nach seiner Entlassung werden hoffentlich | |
sein, dass er seine Kinder in die Arme nehmen kann und sie alle in Freiheit | |
ein riesiges Festmahl genießen werden. Dann kann sich um Homayouns | |
medizinische Versorgung gekümmert werden. | |
taz: Was bedeutet die Freilassung für [2][die breitere Bewegung]? Wie | |
könnte sie zukünftige Fälle beeinflussen? | |
Ghaffarizad: Die Kampagne hat aufzeigen können, was immer abstrakt bleibt: | |
Migrationspolitik, Frontex, Grenzregime, [3][Kriminalisierung von | |
Geflüchteten] – dass das nicht abstrakte Strukturen sind, sondern wie sie | |
sich konkret auf ein Menschenleben auswirken in all den verschiedenen | |
Etappen. | |
28 Sep 2024 | |
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