# taz.de -- 20 Jahre Frontex: Abschottung wird erwachsen | |
> Die EU-Grenzschutzpolizei Frontex wurde vor zwei Jahrzehnten gegründet. | |
> Klar ist: Festung Europa und Menschenrechte – das geht nicht zusammen. | |
Bild: Aktivist:innen 2015 am Rand des G6 – Innenministertreffens in Moritzbur… | |
Zwanzig Jahre alt wird heute [1][Frontex, die EU-Grenzschutzagentur,] und | |
was soll man sagen, nach den Jugendjahren, in denen schließlich fast jeder | |
über die Stränge schlägt, schaut sie nun einer wahrhaft glänzenden Zukunft | |
als europäische Grenzschutzpolizei entgegen. | |
Ein „einheitliches und hohes Kontroll- und Überwachungsniveau“ – das | |
wollten die EU-Regierungschefs, als sie an diesem Samstag vor genau 20 | |
Jahren den Aufbau von Frontex beschlossen. Aber Grenzschutz galt da noch | |
als nationale Angelegenheit. Schmale sechs Millionen Euro gab es für | |
Frontex, um die damals 25 Staaten beim sichern von fast 14.000 Kilometern | |
EU-Außengrenze zu „unterstützen“, wie es im Mandat hieß. | |
Aber die Zeiten, als Druckerpapier selbst mitgebracht werden musste und | |
Büros ungeheizt blieben, sind vorbei. 924 Millionen Euro bekommt Frontex, | |
mittlerweile ein klares Lieblingskind unter den EU-Behörden, in diesem | |
Jahr. Grenzschutz ist heute Top-EU-Priorität, das Budget wird künftig noch | |
dicker. „Smarte Grenzen“, KI, schlaue Drohnen, Daten von Spionagesatelliten | |
und Flugzeuge – die Agentur kann sich heute leisten, was gut und teuer ist. | |
Erwachsenwerden ist nicht leicht, bei Frontex war das nicht anders. Denn es | |
war nicht nur das Geld, das in jungen Jahren knapp war. Widersprüchliche | |
Anforderungen und Eltern, die zu viel wollen – das tut Heranwachsenden | |
nicht gut. Frontex sollte die Grenzen dicht halten und gleichzeitig die | |
Menschenrechte achten. Wie das gehen soll, weiß keiner. Identitäts- und | |
Rollenkonflikte waren absehbar, Überforderung und Liebesentzug ebenso. | |
Frontex geriet früh auf die schiefe Bahn, war in ständige Prügeleien | |
verwickelt, nicht nur in Griechenland. | |
## Vermeintlich verweichlicht | |
Und trotzdem, auch das ist ja eine Erfahrung, die viele in der Jugend | |
machen müssen, wird man schnell mal gebullied, wie man heute so sagt, oder | |
vielleicht besser: ausgegrenzt. Frontex erging es etwa in Polen und | |
Kroatien so. Die Regierungen wollten sie beim Grenzschutz nicht mitspielen | |
lassen. Sie fürchteten, die vom EU-Recht vermeintlich verweichlichte | |
Agentur würde nur stören bei ungehemmten Massenpushbacks, und lehnte | |
Frontex’ Hilfe ab. So weit muss es auch erst mal kommen. | |
Jugendliche kriegen es schon mal mit Polizei und Jugendamt zu tun, das war | |
bei Frontex ganz ähnlich. Das Parlament setzte mit einem Fundamental Rights | |
Officer schon früh eine Art Erziehungsbeihilfe ein, doch die rief eher | |
Trotzreaktionen hervor. Es wurde schlimmer, die EU-Antibetrugsbehörde Olaf | |
und der [2][Spiegel ] knöpften sich Frontex vor. Betrug, Lügen, Pushbacks, | |
Gewalt: Am Ende musste Direktor Fabrice Leggeri gehen. | |
Leggeris Nachfolgerin, die Finnin Aija Kalnaja war gerade acht Wochen im | |
Amt, [3][da wurde sie das erste Mal verklagt]: Am 8. Oktober 2022 ging beim | |
EU-Gerichtshof in Luxemburg die [4][Klage des Kongolesen Jeancy K.] ein. | |
Der wollte in Griechenland Asyl beantragen, stattdessen wurde er „gewaltsam | |
entführt, auf ein ‚Todesfloß‘ gebracht, kollektiv ausgewiesen und in Seen… | |
ausgesetzt“, schreibt die NGO Front-LEX, [5][die die Klage formulierte]. K. | |
sei Opfer „mehrerer solcher Mordversuche“ geworden. Einmal habe er zusehen | |
müssen, wie sein Freund ertrank. | |
Dies sei nur einer von mindestens 43.000 solcher Pushbacks allein in der | |
Ägäis, die seit Januar 2020 „von der griechischen Küstenwache und Frontex | |
gemeinsam durchgeführt“ worden seien. Front-LEX ist eine NGO, die auf | |
Menschenrechtsklagen gegen Frontex spezialisiert ist. So was hat auch nicht | |
jeder. | |
## Ein schönes Listenplätzchen | |
Auch bei der Empathieentwicklung zeigten sich früh Defizite. Und was | |
Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, sagt man. Da wundert es nicht, | |
dass Human Rights Watch zwei Tage vor Frontex’ 20. klagt, diese würde, wenn | |
sie Migrantenboote im Mittelmeer in Seenot entdeckt, normalerweise nur | |
staatliche Stellen informieren, aber keine Notrufe an alle Schiffe in der | |
Nähe ausgeben. Das habe zu „tragischen Schiffbrüchen“ beigetragen sowie | |
dazu, „dass Menschen zwangsweise in Länder zurückgeschickt werden, in denen | |
sie misshandelt werden.“ | |
In diesem Frühjahr ergatterte der geschasste Ex-Direktor Leggeri dann | |
[6][ein schönes Listenplätzchen für die EU-Wahl beim rechtsextremen | |
Rassemblement] National. Wie ein europäischer Hans-Georg Maaßen kann er als | |
Abgeordneter nun fünf Jahre lang gegen alles wettern, was seinen | |
Ex-Untergebenen womöglich im Weg steht. | |
Was will man mehr? Und dass Menschenrechte und geschlossene Grenzen | |
zusammengehen, das glaubt heute in der EU kaum jemand noch ernsthaft. So | |
kann Frontex heute, im jungen Erwachsenenalter, tun, wofür sie in die Welt | |
gebracht wurde. Als einzige ihrer Behörden, die die EU für würdig erachtet, | |
eine Uniform zu tragen, soll sie auf Dauer die Grenzen dichthalten, | |
patrouillieren in und abschieben aus Transitstaaten, Fluchtrouten | |
überwachen und blockieren, auch weit vor den Toren Europas. | |
26 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.frontex.europa.eu/ | |
[2] https://www.spiegel.de/ausland/fabrice-leggeri-ngos-werfen-ehemaligem-front… | |
[3] /Die-Rolle-von-Frontex-im-Grenzregime/!5900343 | |
[4] https://jacobin.de/artikel/frontex-vertuscht-menschenrechtsverletzungen-ola… | |
[5] https://www.front-lex.eu/aija-kalnaja | |
[6] /Wegen-Verbrechen-gegen-Menschlichkeit/!6006706 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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