# taz.de -- Neues Abschiebegesetz: Ist Seenotrettung jetzt strafbar? | |
> Die Ampel hat sogenannte Rückführungen erleichtert und will | |
> Schleuser:innen bestrafen. Werden nun auch Fluchthelfer:innen | |
> kriminalisiert? | |
Bild: „Seenotrettung wird nicht kriminalisiert“, meinte Nancy Faeser (SPD) … | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am Donnerstag im Bundestag | |
bei der Verabschiedung des Rückführungsförderungsgesetzes: „Bei den | |
gesetzlichen Änderungen haben wir sichergestellt, dass die Seenotrettung | |
nicht kriminalisiert wird.“ Aber stimmt das wirklich? | |
In Deutschland ist die Seenotrettung, also die Rettung von schiffbrüchigen | |
Flüchtlingen, bisher nicht strafbar. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien | |
heißt es auch, dass die Seenotrettung nicht behindert werden dürfe, es sei | |
„eine zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung, Menschen nicht | |
ertrinken zu lassen“. Das Auswärtige Amt [1][bezuschusst | |
Seenotrettungsorganisationen] aufgrund eines Bundestagsbeschlusses sogar | |
mit bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr. | |
Strafbar ist in Deutschland bisher nur das eigennützige Einschleusen von | |
Ausländer:innen in die EU. Gemeint sind vor allem kommerzielle | |
Schlepper:innen, die mehrere Tausend Euro für ihre Dienstleistung verlangen | |
und dennoch die Migrant:innen oft in Lebensgefahr bringen. | |
Im ursprünglichen Regierungsentwurf für ein Rückführungsförderungsgesetz, | |
das Abschiebungen erleichtert, sollte sich an der Straflosigkeit von | |
altruistischer Seenotrettung nichts ändern. Erst in einem | |
Formulierungsvorschlag des Bundesinnenministeriums für einen | |
Änderungsantrag war eine komplizierte Formulierung enthalten, die auch die | |
selbstlose Seenotrettung strafbar gemacht hätte. Das eigentliche Ziel von | |
Faesers Vorstoß aus dem November war eine Strafverschärfung für | |
kommerzielle Schleuser:innen. | |
Auf [2][Kritik reagierte Faeser umgehend] und erklärte: „Seenotrettung wird | |
nicht kriminalisiert.“ Auch wenn sie vom Straftatbestand erfasst werde, sei | |
sie in der Regel als „gerechtfertigt anzusehen, um Gefahren für Leib und | |
Leben abzuwenden“. Gemeint ist damit ein rechtfertigender Notstand gemäß | |
Paragraf 34 des Strafgesetzbuchs. Allerdings müsse es strafbar sein, wenn | |
altruistische Schleuser:innen mit Waffengewalt die Grenze durchbrechen; | |
das Innenministerium verwies auf einen Vorfall an der kroatischen Grenze. | |
Kritiker wie David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte | |
(GFF) waren durch diese Klarstellung nicht besänftigt. Der rechtfertigende | |
Notstand erfordere immer eine Abwägung, deren Ausgang nicht sicher | |
vorhersehbar sei. Selbst wenn ein deutsches Gericht am Ende die | |
Seenotretter freispreche, könne schon das Ermittlungsverfahren belastend | |
sein. Auch könne es dabei zu Telekommunikationsüberwachung und | |
Beschlagnahmungen kommen. Es drohe eine Einschüchterung der Seenotretter, | |
ein chilling effect. | |
Die Ampelkoalition reagierte auf die Kritik und änderte kurzfristig den | |
Gesetzentwurf zum Rückführungsförderungsgesetz. Nun wird klargestellt, dass | |
die Strafverschärfung nur für Schleusungen auf dem Landweg gelte. | |
Seenotrettung wäre damit ausgeschlossen. Wohl aufgrund eines handwerklichen | |
Fehlers wurde jedoch übersehen, dass immer noch eine grundsätzliche | |
Strafbarkeit für die altruistische Einschleusung von Minderjährigen (auch | |
auf dem Seeweg) bliebe. Dies führte erneut zu Protesten, schließlich seien | |
Minderjährige besonders schutzbedürftig. | |
Das Rückführungsförderungsgesetz, das effizientere Abschiebungen vorsieht, | |
wurde an diesem Donnerstag im Bundestag beschlossen, inklusive der | |
kurzfristigen Änderung. Der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg versprach: | |
„Sollte sich herausstellen, dass es hier doch noch rechtliche Unklarheiten, | |
Ungenauigkeiten gibt, dann wird es natürlich auch da eine Klarstellung | |
geben.“ | |
Auf taz-Anfrage erklärte das Bundesinnenministerium an diesem Freitag, man | |
habe das Gesetz noch einmal geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass | |
kein Nachregelungsbedarf bestehe, denn: „Die Seenotrettung Minderjähriger | |
wird durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung nicht | |
kriminalisiert.“ | |
Angesichts des eindeutigen gesetzgeberischen Willens dürfte das Risiko | |
einer Kriminalisierung von Seenotrettern in Deutschland damit bis auf | |
Weiteres eher theoretischer Natur sein. Eine wasserdichte Formulierung | |
wäre aber möglich und sollte bei der nächsten Änderung des | |
Aufenthaltsgesetzes eingefordert werden. | |
Christian Rath | |
19 Jan 2024 | |
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Christian Rath | |
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