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# taz.de -- Griechischer Regisseur über die Liebe: „Wir brauchen Beziehungen…
> Christos Nikous hat mit „Fingernails“ eine Science-Fiction-Liebeskomödie
> gedreht. Inspiriert hat ihn dazu auch der Irrsinn aktueller Dating-Apps.
Bild: Sind sie das perfekte Paar? Anna (Jessie Buckley) und Amir (Riz Ahmed) in…
An Fingernägeln lassen sich Herzprobleme aller Art ablesen. Die
Testmaschine in der Dramedy „Fingernails“ analysiert vor allem, ob die
Liebe zwischen zwei Menschen übereinstimmt. Anna (Jessie Buckley) und Ryan
(Jeremy Allen White) haben sich im Institut prüfen lassen, sie sind das
perfekte Paar. Doch Anna ist sich nicht sicher. Und dann begegnet sie Amir
(Riz Ahmed) und stellt ihr bisheriges Leben infrage. Mit seinem zweiten
Spielfilm gelingt dem griechischen Regisseur Christos Nikou eine schräge
Meta-Romantikomödie über menschliche Beziehungen im Zeitalter technischer
Validierung.
taz: Herr Nikou, wie kamen Sie auf die Idee, eine Art Science-Fiction-Film
über die Liebe zu machen?
Christos Nikou: Schon seit einigen Jahren versuche ich zu verstehen, was
Liebe wirklich ist. Ich habe noch immer keine Ahnung. Warum ist es
heutzutage so schwierig, Liebe zu finden? Warum nutzen Menschen Dating-Apps
und lassen sich von einem Algorithmus sagen, wer perfekt zu ihnen passt?
Warum wagen wir es nicht mehr, im realen Leben jemanden anzusprechen?
Einfach mal in einer Bar flirten, jemanden auf der Straße anlächeln.
Offensichtlich müssen wir erst mal alles über jemanden wissen, bevor wir
den ersten Schritt wagen. Dadurch geht alles Überraschende verloren, es ist
wie das Abhaken eines Einkaufszettels. Das stand am Anfang, wie sich Liebe
und Verlieben durch Technologie verändert hat.
Sie erzählen davon aber nicht in der Gegenwart, sondern in einem merkwürdig
aus der Zeit gefallenem Kontext.
Ich nenne es zeitlos. Die einzige Technologie im Film ist die Maschine, die
anzeigt, ob die Zuneigung zweier Menschen zu 100 Prozent, zu 50 Prozent
oder eben gar nicht übereinstimmt. Der Film soll ein bisschen so aussehen,
als wäre er ein wiederentdecktes Werk aus den späten Neunzigern, in dem
prophezeit wird, wie wir heute Liebe erleben. Deswegen habe ich auch sehr
viel Zeit damit verbracht, den perfekten Soundtrack dafür
zusammenzustellen, der aus nicht ganz so bekannten Popsongs der 80er und
90er besteht. Und es war auch der Grund, nicht digital, sondern auf
35-mm-Film zu drehen.
Der Film lebt auch von der Chemie der drei Hauptfiguren. Wie haben Sie Ihre
Besetzung gefunden?
Jessie Buckley war von Anfang an klar. Sie überrascht mich immer wieder,
sie hat dieses melancholische Lächeln, das den Ton des Films perfekt
widerspiegelt. Riz Ahmed ist für mich ein Chamäleon, er kann Komödie wie in
„Four Lions“ ebenso wie Drama, etwa in „Sound of Metal“. Ich hatte die
Intuition oder Hoffnung, dass die beiden gut zusammenpassen würden. Und
Jeremy Allen White entdeckte ich, wie so viele Serienfans, durch die erste
Staffel von „The Bear“. Nach einem Zoom-Call wusste ich: Er ist es.
Nach Ihrem griechischen Debütfilm „Apples“ ist es Ihr erster
englischsprachiger Film. War die Arbeit mit amerikanischen und britischen
Darsteller*innen ein Kulturschock?
Filme sind Filme, das unterscheidet sich nicht groß. Die Filmsprache ist
dieselbe. Der eigentliche Unterschied war das größere Budget. Das gab mir
mehr Freiheiten, erlaubte mir, mehr zu spielen und zu träumen. Vor jedem
Dreh legte ich einen Song auf, den alle im Cast und in der Crew anhörten,
um so in die Stimmung für die bevorstehende Szene zu kommen.
Wie haben Sie für sich den richtigen Ton gefunden? „Fingernails“ ist keine
klassische Romantikkomödie, ist zugleich anti und meta.
Das hat viel mit dem melancholischen Lächeln zu tun, von dem ich eben
sprach. Ich mag es, wenn Filme vielschichtig sind, ohne zu schwer oder
ernst zu sein. Filme wie Peter Weirs „Die Truman Show“, Michel Gondrys
„Vergiss mein nicht!“ oder [1][Mike Mills'] „Beginners“. Ihnen gelingt …
mich die perfekte Balance aus Komödie und Drama, das habe ich auch
versucht. Es ist sehr konzeptuell, aber nicht sarkastisch und zynisch,
sondern warm und humanistisch. So haben wir das Drehbuch geschrieben, aber
viel entsteht und verändert sich auch durch die Darsteller*innen, die ihren
ganz eigenen Touch einbringen.
Das unkonventionelle Erzählen hat in den letzten Jahren eine ganze
Generation griechischer Filmemacher*innen international bekannt
gemacht, von [2][Yorgos Lanthimos] bis [3][Athina Rachel Tsangari].
Inwiefern fühlen Sie sich dieser „Greek Weird Wave“ verbunden?
Diese Welle ist vor allem durch die frühen Filme von Yorgos Lanthimos und
seinem Co-Autor Efthymis Filippou geprägt, „Dogtooth“ oder „The Lobster�…
Deren Tonfall ist sarkastischer als in meinen Filmen. Was uns aber eint,
ist der Versuch, durch schräge Geschichten etwas über menschliches
Verhalten und unsere Gesellschaft auszusagen.
Haben Sie den Eindruck, dass sich Menschen angesichts sozialer Medien und
künstlicher Intelligenz wieder nach mehr Kontakt und Austausch im echten
Leben sehnen? Hoffen Sie auf eine Gegenreaktion zu virtueller Kommunikation
und Beziehungsanbahnung?
Ich bin grundsätzlich Optimist. Ich glaube fest daran, dass wir dorthin
zurückkehren, weil wir feststellen, dass es so wie jetzt nicht
funktioniert. Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen Beziehungen und
direkten Kontakt. A.I. macht mir Angst, ganz ehrlich. Wir sind Menschen,
wir müssen uns dagegen wehren, wie Roboter zu funktionieren.
Was haben Sie selbst durch den Film über die Liebe gelernt?
Liebe ist etwas, das man jeden Tag pflegen muss. Und man muss Geduld haben.
Single zu sein, heißt nicht, dass etwas mit mir nicht stimmt. Irgendwo auf
dieser Welt gibt es den oder die richtigen Menschen. Wir müssen ihnen nur
begegnen und sie erkennen.
2 Nov 2023
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## AUTOREN
Thomas Abeltshauser
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