# taz.de -- Griechische Regisseurin über Komödie: Ego-Ritter im 21. Jahrhunde… | |
> Die Regisseurin Athina Rachel Tsangari hat sich nie zu schweren Dramen | |
> hingezogen gefühlt. „Chevalier“ hat sie nur mit Männern gedreht. | |
Bild: Wer baut am schnellsten das Benno-Regal auf? | |
taz: Frau Tsangari, Ihr Film „Chevalier“ funktioniert wie ein Experiment. | |
Anstatt ein paar Ratten in einem Käfig zuzuschauen, blickt man auf eine | |
Gruppe Männer in einem Boot. Hatten Sie an eine Verhaltensstudie über die | |
Spezies Mann gedacht, als Sie mit der Arbeit begannen? | |
Athina Tsangari: Eher an die Weiterbeschäftigung mit der Spezies Mensch! | |
Ich kann nie sehr gut beschreiben, wie etwas startet. Meistens gehe ich von | |
einer starken Intuition aus. Warum ich den Film gemacht habe, finde ich | |
dann erst heraus, wenn er fertig ist. Bei „Chevalier“ hat es wohl einfach | |
damit zu tun, dass ich Männer liebe und dass sie schon immer meine besten | |
Freunde waren. Ich fühle mich bei Männern sicherer als bei Frauen. Sie sind | |
Kumpels, wobei ich Liebhaber von Kumpels meist schwer unterscheiden kann. | |
Das heißt, der Film entstand aus einer privilegierten Position heraus? | |
Wenn man mit Männern aufwächst, kennt man einige dieser Verhaltensmuster. | |
Zugleich geht dies mit einer Demystifizierung von Klischees einher. Mir | |
sind all diese kleinen Dinge wichtig, die man in Filmen selten sieht. Ich | |
wollte den Film unbedingt in Zusammenarbeit mit Männern durchführen. Es | |
basiert ja auf einem Drehbuch, das wiederum auf die einzelnen | |
Persönlichkeiten der Schauspieler Rücksicht nahm. Sie haben alle ihre | |
Neurosen, Ängste und kleinen Ticks in das Skript einfließen lassen. | |
Efthymis Filippou hat also nur ein loses Gerüst als Drehbuch gebaut? | |
Filippou interessiert sich nicht sehr für Plot. Es war das erste Mal, dass | |
ich beim Drehbuch mit jemandem zusammengearbeitet habe. Wir sind sehr | |
unterschiedlich, mir ging es aber um diese prüfende Diskussion, um das | |
Hin-und-her-Wälzen von Ideen. Wir waren uns einig, dass der Film ganz ohne | |
Frauen ablaufen muss, damit es keine Verwirrung unter der männlichen | |
Spezies gibt. | |
Die Männer würden sonst beginnen, um die Frau zu buhlen … Stattdessen | |
fangen sie an, untereinander Wettkämpfe durchzuführen. | |
Es ist letztlich egal, ob es eine Frau, eine Katze, ein kleiner Roboter | |
oder ein Auto ist. Nichts durfte davon ablenken, dass sie über etwas | |
anderes als um sich selbst kämpfen. Es ist eine Situation, in der man | |
eigentlich nur verlieren kann: Selbst wenn man sich mit seinen besten | |
Freunden in einem geschlossenem Raum befindet, wird man nach ein paar Tagen | |
übereinander herfallen. Die wahre Seite der Dinge kommt zum Vorschein. Wir | |
haben festgehalten, dass die Regeln für die einzelnen Spiele verborgen | |
bleiben müssen. Und dass nie bekannt wird, wie die jeweiligen Bewertungen | |
funktionieren. Es muss sich um ein Spiel handeln, das wir jeden Tag | |
spielen. Und zwar alle von uns, nonstop. | |
Ein Spiel, das Leben heißt. | |
Wir sind darauf programmiert. Wir checken uns ständig gegenseitig aus und | |
führen Evaluierungen durch, vergeben Punkte. Alles sollte ganz natürlich | |
sein. Es ist wie die Variante eines Brettspiels, wie Monopoly. Ich habe mit | |
den Schauspielern immer paarweise geprobt. Auf diese Weise sind Beziehungen | |
zwischen ihnen entstanden. Am Anfang war es für sie absolut beängstigend. | |
Sie haben Leute aus ganz unterschiedlichen Bereichen gecastet. Mit Sakis | |
Rouvas ist auch ein griechischer Popstar dabei. Wie gingen Sie bei der | |
Auswahl vor? | |
Alle sollten selbstbewusste Männer, aber mit unterschiedlichen Backgrounds | |
sein. Am Anfang hab ich wirklich überall gesucht, da es in Griechenland oft | |
schwierig ist, mit trainierten Schauspielern zu arbeiten, weil sie am | |
Theater ausgebildet sind. Unmittelbarkeit herzustellen, ist da schwierig. | |
Sie geben dir mehr, als du eigentlich willst. Für mich sind alle Performer. | |
Yiorgos Kendros, der Schauspieler, der den Arzt spielt, ist ein bekannter | |
Theaterschauspieler, der noch nie einen Film gedreht hat. Er hat meinem | |
Kameramann gestanden, dass er mich in den ersten zwei Wochen umbringen | |
wollte. Er träumte davon, mich zu erwürgen. | |
Er muss doch an Proben gewöhnt sein. | |
Er fragte immer nach. Etwa, welchen Hintergrund seine Figur hat. Ich | |
arbeite aber nicht mit solchen Informationen. In Griechenland liebt man das | |
Reden, über alltägliche bis zu sehr philosophischen Dingen. Wenn Sie in die | |
Cafés schauen, würden Sie nie glauben, dass sich das Land in einer Krise | |
befindet. Sie sind zum Bersten voll mit Leuten, die über alles etwas zu | |
sagen haben. Mir geht es darum, dass die Leute so lange weitermachen, bis | |
etwas von allein aus ihnen herauskommt. Nach zehn Tagen hat er aufgehört, | |
Fragen zu stellen und entspannte sich. Ich sagte Yiorgos, er solle sich | |
vorstellen, dass wir ein Musical proben, das nur aus Sprache besteht. Die | |
Stimmen sind die Instrumente. Es geht nur um die Komposition der Dialoge. | |
Wann weiß man, dass die Körpersprache sitzt? | |
Wenn man das Denken aufgibt, passiert etwas Körperliches. Das kommt dann | |
nur von den Darstellern. Der Körper performt das – fast wie beim Sport. | |
Und das wird dann Teil der Choreografie? | |
Ja, das ist wieder sehr intuitiv. Es fühlt sich so an, als wäre jeder mit | |
sich selbst im Reinen. Niemand macht sich mehr etwas vor. Niemand nimmt den | |
Platz des anderen ein. Jeder ist an der Stelle, die er für sich selbst | |
beansprucht hat. Das braucht Zeit. Wie beim Showdown mit den Kochrezepten | |
im Film. Das ist eine Szene, die von den Darstellern kam. Wir hatten Lunch, | |
und da die meisten Männer selbst gute Köche sind, ergab sich diese | |
Auseinandersetzung einfach. | |
Beim Wort Wettbewerb denkt man natürlich auch an die Ökonomie. Verstehen | |
Sie den Film auch als eine Parabel auf das Griechenland der Gegenwart? | |
Das steckt bestimmt darin. Ich kann das nicht voneinander trennen, aber ich | |
versuche mich mit Erklärungen über politische Lesarten zurückzuhalten. Ich | |
bin mir nicht sicher, ob ich den Film gemacht hätte, wenn ich nicht die | |
letzten vier Jahre in Griechenland gewesen wäre. Aber ich hatte nie vor, | |
einen Film über die Krise zu machen. Oder darüber, wie korrupt die Männer | |
dieses Landes, ja Europas sind. Das Wetteifern der Egos ist ja auch keine | |
rein männliche Angelegenheit. Ich habe mehr an einen Ritterorden gedacht. | |
Die Frage war, was es bedeutet, ein Ritter im 21. Jahrhundert zu sein. | |
Wie gaben Sie den Rittern den nötigen Raum? Sie haben ja an | |
Originalschauplätzen gedreht. Die Kamera bleibt eher unaufdringlich. | |
Ich habe noch nie einen Film mit so viel Dialog gemacht. Es sollte nonstop | |
geredet werden, wie in einer Screwball-Komödie. Ich liebe Screwball! Wie | |
dreht man also ein menschliches Gesicht, ohne ständig nur | |
Schuss/Gegenschuss zu filmen? Ich hatte ja nichts außer den Gesichtern, | |
kaum Landschaft. Ich wollte es wie ein Rätsel betrachten, das ich lösen | |
musste. Wir haben uns dann für Sliders entschieden, kleine Wagen, mit denen | |
wir das Geschehen umkreisen konnten. | |
Apropos Screwball: Woher kommt Ihre Affinität zur Komödie? | |
Ich habe mich als Regisseurin nie zu schweren Dramen hingezogen gefühlt. | |
Das ist wohl auch das Verbindende unserer Generation, man kann es auch bei | |
Yorgos Lanthimos sehen. Wir versuchen den großen, ernsten Themen zu | |
entkommen. Wir waren zynisch. Wir hatten die Nase voll. Aber es gibt | |
natürlich versteckte Traditionen. Diese Idee von Ironie hat schon zur | |
modernistischen griechischen Literatur gehört. Giorgos Seferis schrieb etwa | |
kühl, fast distanziert und verfügte über eine sehr feine Ironie. Er war in | |
seiner Lyrik immer einen Schritt vom Realismus entfernt. Auch mir geht es | |
darum, über bestimmte Themen zu sprechen, aber niemals direkt, nur von der | |
Seite. Ein ständiges Thema unserer Generation ist die Familie. Wie entkommt | |
man ihr, wie formt man sie? Das ist auch noch bei „Chevalier“ so. | |
Vielleicht ist es besser, sich gegenseitig aufzufressen, als in | |
vorbestimmte Rollen zurückzukehren. | |
21 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominik Kamalzadeh | |
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