# taz.de -- Griechischer Fim „Meteora“: Abstand zur Wirklichkeit | |
> Metaphysik des Kinos: Spiros Stathoulopoulos erzählt in seinem Spielfilm | |
> „Meteora“ eine Liebesgeschichte zwischen Mönch und Nonne. | |
Bild: Pastorale Idylle: Urania (Tamila Koulieva) und Theodoros (Theo Alexander). | |
Das Setting von Spiros Stathoulopoulos’ „Meteora“ wirkt derart aus der | |
Realität gefallen, dass es eigentlich nur als symbolische Landschaft | |
verstanden werden kann. Zwei Klöster des Meteora-Komplexes, einer | |
pittoresken Weltkulturerbe-Stätte in der Bergregion Thessaliens, thronen | |
auf hoch in den Himmel ragenden Sandsteinfelsen. | |
Hierhin zogen sich die ersten Geistlichen schon im 11. Jahrhundert aus | |
Schutz vor Verfolgern zurück. Im besten Wortsinn ist dieser Ort | |
„abgehoben“. Wenn in den Morgenstunden Nebelschleier zwischen den schmalen | |
Felsplateaus aufsteigen, scheinen die Klöster tatsächlich von der irdischen | |
Welt losgelöst. „Meteora“ ist das griechische Wort für „schwebend“, u… | |
unwirkliche Erhabenheit, die diese Beschreibung evoziert, macht einen | |
Gutteil der verrätselten Faszination von Stathoulopoulos’ Film aus. | |
In den Klöstern von Meteora spielt eine Liebesgeschichte, der nicht nur | |
geografisch Steine in den Weg gelegt sind. Die irdische Liebe zwischen dem | |
griechischen Mönch Theodoros und der russischen Nonne Urania rüttelt auch | |
an den Wertevorstellungen ihrer Religion. | |
## Der Geist der Vormoderne | |
Zugang zum Nonnenkloster findet man nur über eine Seilwinde, an der ein | |
Netz befestigt ist. In den Glaubensgemeinschaften herrscht noch der Geist | |
der Vormoderne. Stathoulopoulos hat einen distanzierten dokumentarischen | |
Blick für die religiösen Zeremonien. Sie setzen einen interessanten | |
Kontrapunkt zu den pastoralen Panoramen, die der Regisseur wie Establishing | |
Shots zwischen den intimeren Szenen platziert. Die Innenwelten der beiden | |
Klöster zeichnet eine asketische Strenge aus: Rohe Felswände, christliche | |
Insignien und matter Kerzenschein verleihen „Meteora“ eine gedrückte, | |
leicht repressive Atmosphäre. | |
Woher die Liebe zwischen Theodoros und Urania in einer derart | |
abgeschotteten Welt rührt, thematisiert Stathoulopoulos nicht. Die | |
gemeinsamen Gottesdienste sind die einzigen Gelegenheiten, bei denen sie | |
sich begegnen könnten. Zurück in ihren Gemäuern, kommunizieren sie über | |
Lichtzeichen. Hier sind der Mönch und die Nonnen mit ihren Zweifeln | |
alleingelassen. Können ihre weltlichen Gefühle wirklich so falsch sein, | |
wenn sie doch alle Gottes Geschöpfe sind? Zumindest Urania empfindet eine | |
tiefe Schuld. In ihrer Kammer hält sie die Hand über die Flamme einer | |
Kerze. | |
Die große Distanz, die diese Liebe zu überwinden hat, veranschaulicht | |
Stathoulopoulos mit einem Stilmittel, das die Symbolkraft der Bilder – den | |
Abstand zur Wirklichkeit sozusagen – noch überhöht. Das Innenleben seiner | |
Protagonisten wird durch Animationen im Stile byzantinischer Ikonografien | |
visualisiert. Die Geschichte eröffnet mit einem Triptychon, in dem die | |
Liebenden noch durch einen Felsen in ihrer Mitte getrennt werden. In einer | |
zentralen Sequenz steigt Theodoros später in die Höhle des Minotaurus | |
hinab, wo er einem ans Kreuz gehängten Jesus zwei Nägel in die Hände | |
schlägt. Vom aus den Wunden strömenden Blut wird er durch die Gänge des | |
Labyrinths wieder ans Tageslicht, in die Arme von Urania gespült. | |
## Hermetische Zeichen | |
Die Vermischung von christlicher Bildsprache und griechischer Mythologie | |
ist nur ein erzählerisches Element, das in „Meteora“ Rätsel aufgibt. Selt… | |
verlässt Stathoulopoulos das hermetische Zeichensystem mythischer | |
Überhöhung – nicht einmal, wenn er Theodoros und Urania beim Sex in einer | |
Höhle filmt. Doch sobald Theodoros das Kloster verlässt und mit den | |
Menschen in den umliegenden Dörfern in Kontakt tritt, bricht eine | |
Wirklichkeit in die stilisierte Inszenierung ein, die der strengen Form | |
einen unberechenbaren Naturalismus entgegensetzt. Diese Momente | |
erzählerischer Offenheit konturieren den Konflikt der Figuren viel besser | |
als ihre gedämpften inneren Monologe. | |
Das neue griechische Kino hat in den vergangenen Jahren mit Regisseuren wie | |
Giorgos Lanthimos und Athina Rachel Tsangari international für Furore | |
gesorgt. Spiros Stathoulopoulos steht dagegen noch (oder wieder?) in der | |
klassizistischen Tradition eines Theo Angelopoulos. „Meteora“ sieht sich | |
mehr der Metaphysik des Kinos verpflichtet als den schroffen Verwerfungen | |
des Lebens. | |
12 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
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