# taz.de -- „Materialists“ von Celine Song: Berechnende Liebe | |
> In der Komödie „Materialists“ gerät Hauptdarstellerin Dakota Johnson | |
> zwischen Chris Evans und Pedro Pascal. Liebe dreht sich um Kapital und | |
> Kalkül. | |
Bild: Begegnung mit einem „Einhorn“: Harry (Pedro Pascal) und Lucy (Dakota … | |
Zwischen Hürde und Happy End steckt oft mehr Wahrheit, als man glauben mag: | |
Romantische Komödien verraten bisweilen viel über die Zeit und die | |
Gesellschaft, in der sie entstehen. „Pretty Woman“ (1990) etwa wäre als | |
Aufstiegsmärchen ohne den Kapitalismus der Reagan/Thatcher-Ära kaum | |
vorstellbar, während „Bridget Jones“ (2001) eine Dekade später ein | |
Spiegelbild der Postfeminismus-Welle war, in der die Single-Frau zwischen | |
Karriere, Körperidealen und romantischen Sehnsüchten lavierte. | |
Celine Song nährt diese Genreweisheit und hat mit „Was ist Liebe wert – | |
Materialists“ nun einen Film gedreht, der hervorragend in den neoliberalen | |
Zeitgeist passt. Oder besser: mit dessen formendem Einfluss auf die | |
Vorstellung von Liebe und Begehren abrechnen möchte. Im Zentrum des zweiten | |
Langfilms der südkoreanisch-kanadischen Filmemacherin steht eine | |
Partnervermittlerin aus New York, die jeden noch so abstrusen Wunsch ihrer | |
überaus wohlhabenden Kunden zu erfüllen versucht. | |
Dabei geht es, selbstverständlich, zuerst um Geld. Wer nicht über ein | |
entsprechendes Vermögen verfügt, wird gar nicht erst in die Kartei | |
aufgenommen. Wer die teuren Dienste von „Adore“ in Anspruch nimmt, stellt | |
aber noch weitaus exklusivere Anforderungen an sogenannte „High-Quality | |
Matches“, mit denen die Datingagentur wirbt. | |
Dass Romantik dabei keine Rolle spielt, verdeutlicht schon der Auftakt. | |
Darin eilt Lucy (Dakota Johnson) durch die Straßen des „Big Apple“ und | |
greift hastig zum Smartphone, um einen männlichen Klienten nach seinem | |
Eindruck vom Rendezvous am Vorabend zu befragen. | |
Während sie ihm berichtet, seine vermittelte Partnerin Sophie (Zoe Winters) | |
habe den Abend als vollen Erfolg empfunden, reagiert er empört: Gewünscht | |
habe er sich eine 30-Jährige mit einem netten Lächeln – bekommen habe er | |
hingegen, wie er abfällig bemerkt, eine „fette 40-Jährige“. Auch | |
Langzeitklientin Sophie richtet Kriterien an einen potenziellen Partner, | |
die nicht weniger oberflächlich sind: Sie selbst, so berichtet sie Lucy | |
wenige Augenblicke später im Café, habe sich gar nicht erst mit ihm treffen | |
wollen, als sie hörte, er sei bereits 47 und verdiene „nur“ 140.000 Dollar | |
im Jahr. | |
## Profitmaximierung überall | |
Was Celine Song in dieser und vielen weiteren Szenen hinweg zugespitzt | |
vorführt, knüpft an ein Verständnis des Neoliberalismus an, wie es etwa die | |
[1][US-Politologin Wendy Brown] unter Rückgriff auf Michel Foucault | |
beschreibt: Ökonomische Logiken gelten längst nicht mehr nur im | |
Wirtschaftlichen, sondern durchdringen als Streben nach Profitmaximierung | |
immer mehr Lebensbereiche, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben. | |
Menschen werden in diesem Zuge auf „Humankapital“ reduziert – nicht nur a… | |
dem Arbeitsmarkt, sondern auch in anderen Feldern, die nun verstärkt als | |
Märkte begriffen werden: im Bildungswesen, im Gesundheitssektor oder, wie | |
schon im Sprachgebrauch verankert, auf dem Datingmarkt. „Vernünftig“ ist in | |
diesem System, wer seine Entscheidungen strategisch trifft, in sich selbst | |
„investiert“, und das stets mit dem Ziel, den eigenen „Wert“ zu steiger… | |
Anders ausgedrückt: In „Materialists“ ist eine gute Beziehung nicht mehr | |
als eine aufgehende Rechnung, in der Variablen wie „Einkommen“, „Alter“, | |
„Größe“, „Gewicht“ und „Haarfülle“ an die Stelle von zwischenmen… | |
Zuneigung, Leidenschaft oder gar echter Verbundenheit getreten sind. Um | |
dieses Verständnis von Liebe zu kritisieren, entwirft Celine Song | |
allerdings ein Szenario, das bisweilen selbst wie eine formelhafte | |
Versuchsanordnung anmutet. | |
## Grotesk großer Reichtum | |
Gerade als Lucy auf der inzwischen neunten von ihr eingefädelten Hochzeit | |
einer unsicheren Braut erklärt hat, jede Ehe sei letztlich nichts anderes | |
als ein Geschäftsdeal, der sich jederzeit aufkündigen lasse, trifft sie auf | |
Harry (Pedro Pascal). Eigentlich möchte sie ihn als neuen Klienten für ihre | |
Agentur gewinnen, doch Harry stimmt nur unter einer Bedingung zu: Lucy soll | |
zunächst selbst zu einem Rendezvous mit ihm gehen. Sie wehrt ab – die | |
nächste Person, die sie date, wolle sie heiraten, und das einzige Kriterium | |
dafür sei Reichtum. Am liebsten schwindelerregender, geradezu grotesk | |
großer Reichtum. | |
Schließlich gibt Lucy dennoch nach, entschlossen, Harry vom | |
Offensichtlichen zu überzeugen: dass sie nicht zu ihm passt und er sie | |
nicht heiraten wolle. Doch kaum ist dieses Spiel in Gang gesetzt, tritt | |
auch John (Chris Evans) wieder in ihr Leben. Er kellnert auf der Hochzeit | |
und erzählt Lucy im Hinterhof bei einer Zigarette von seiner stockenden | |
Schauspielkarriere und dem Chaos seiner WG. Rasch wird klar: Die beiden | |
waren einst ein Paar, und Lucys kompromissloser Anspruch an Ehe und | |
Vermögen geht nicht zuletzt auf die entbehrungsreiche Zeit mit ihm zurück. | |
Dass nicht unmittelbar offensichtlich erscheint, für welchen Mann sich Lucy | |
nach gängigen [2][„Rom Com“]-Regeln entscheiden müsste, verdankt | |
„Materialists“ vor allem dem Renommee, das sich [3][Celine Song mit ihrem | |
gefeierten Debüt „Past Lives“ (2023)] erarbeitet hat. In diesem, auf | |
mehreren Zeitebenen erzählten Film schwankt die aus Südkorea stammende Nora | |
(Greta Lee) schließlich zwischen der Sehnsucht nach ihrer Jugendliebe (Teo | |
Yoo) und der Verbundenheit zu ihrem amerikanischen Ehemann (John Magaro) – | |
und trifft, wider die Konventionen des Liebesfilmes, die Wahl, bei ihm zu | |
bleiben. | |
## Ein seltenes „Unicorn“ | |
In „Materialists“ bleibt der Ausgang immerhin bis zur Hälfte der Spielzeit | |
offen: Lucy hält zwar den Kontakt zu John aufrecht, verabredet sich aber | |
weiter mit Harry. Und der erweist sich eben nicht nur als | |
schwindelerregend, geradezu grotesk reich, sondern als etwas, das in Lucys | |
Welt als seltenes „Unicorn“ gehandelt wird: ein Mann, der in jeder | |
Kategorie, von Aussehen und Charme über Bildungsgrad und Vermögen, eine | |
makellose 10/10 erreicht. | |
John wiederum wird daneben glücklicherweise nicht schlicht als | |
romantisierter Traumprinz gezeichnet, der eigentlich herausragend zu Lucy | |
passen würde, dem aber das nötige Kleingeld fehlt. | |
Allerdings versäumt es Celine Song, ihren Figuren überhaupt individuelle | |
Konturen und menschliche Komplexität zu verleihen, die notwendig wären, um | |
wahrhaftig mit ihnen zu fühlen. Stattdessen erfüllen ihre Motive stets | |
einen einfach zu durchschauenden dramaturgischen Zweck. | |
Das gilt auch für die Wendungen der Handlung: Als eine Klientin auf einem | |
von Lucy arrangierten Date einen sexuellen Übergriff erlebt, entfaltet | |
Celine Song die Tragweite der Tat nicht, sondern nutzt sie als bloßen | |
Auslöser für eine Läuterung ihrer Hauptfigur. Was Lucy daraus „lernt“, i… | |
allerdings derart naheliegend, dass von psychologischer Tiefe kaum die Rede | |
sein kann. | |
## Gestochen scharfe Bilder | |
Paradoxerweise strahlt Celine Songs Liebesfilm, der die kalte Marktlogik | |
in Gefühlsdingen entlarven möchte, so selbst eine eigentümliche Kälte aus, | |
die noch die Kitschanflüge des Finales überzieht. Dazu trägt auch die | |
Kameraarbeit von Shabier Kirchner bei, der bereits in „Past Lives“ vor | |
allem mit statischen Einstellungen, gestochen scharfen Bildern und bläulich | |
gefilterten Sequenzen arbeitete und auch hier eine Atmosphäre nüchterner | |
Distanz schafft. | |
So sehr man „Materialists“ als Analyse des Zeitgeists bei aller | |
Überzeichnung im Kern auch zustimmen mag, und so treffsicher die düsteren | |
Folgen eines übersteigerten Selbstoptimierungswahns auch benannt werden – | |
in dem selbst Schönheitsoperationen als rationales Investment erscheinen –, | |
verliert die abschließende Botschaft so doch an Wirkung. | |
Selbst wenn sie nicht ohne Charme ist: Ganz egal, welche Variablen eine | |
Gesellschaft im Laufe der Zeit in ihre Gleichung über eine gelingende | |
Partnerschaft aufnimmt, eine wird doch immer eine Unbekannte bleiben – und | |
gerade diese macht den Unterschied, die Liebe aus. Damit verweist | |
„Materialists“ bei aller Gegenwartsdiagnose letztlich eben doch auf eine | |
ganz zeitlose Sehnsucht. | |
19 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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