# taz.de -- „Toxic Trait“ auf Tiktok: Antitoxische Selbstkritik | |
> Der Tiktok-Trend „Toxic Trait“ rückt unsere dunklen Seiten ins | |
> Rampenlicht – humorvoll und ehrlich. Doch was steckt hinter dem Phänomen? | |
Bild: Sind wir nicht alle ein bisschen toxisch? | |
„With a taste of a poison paradise, I’m addicted to you, don’t you know | |
that you’re toxic?“. Mit diesen ikonischen Zeilen macht [1][Britney Spears] | |
2003 als eine der Ersten etwas, das heute ganz selbstverständlich im | |
Sprachgebrauch angekommen ist: Menschen als „toxisch“ zu beschreiben. | |
Gemeint sind Verhaltensweisen, die verletzen und manipulieren. | |
Doch während es lange nur darum ging, andere als toxisch zu entlarven und | |
für ihr Verhalten zu kritisieren, fordert der [2][Tiktok]-Trend „Toxic | |
Trait“ dazu auf, die eigenen dunklen Seiten zu hinterfragen und öffentlich | |
zu teilen. In oft humorvollen, übertriebenen oder auch ehrlichen Beispielen | |
geben User*innen Einblick in ihre „toxischen“ Eigenheiten. | |
„Mein Toxic Trait ist, dass ich immer meinen Ex stalken muss, sobald ich in | |
einer neuen Beziehung bin“, „Ich blockiere Leute sofort, wenn ich mich | |
verletzt fühle“ oder „Obwohl ich die Wahrheit schon kenne, stelle ich | |
meinem Gegenüber trotzdem Fragen, um zu sehen, ob die Person lügt“, gehören | |
zu den Klassikern unter den Beiträgen. Der „Toxic Trait“ wird so zum | |
Spiegel für eigene Unzulänglichkeiten und, auf eine Art, auch die Grundlage | |
von „Red Flags“ [3][in Beziehungen]. | |
Das teils ironische, teils tiefgründige Analysieren von Beziehungsdynamiken | |
ist relatable für die Zuschauer*innen – jede*r hat düstere Seiten. Doch | |
obwohl die Tiktok-Psychologie gut unterhält, ist auch Vorsicht geboten. Es | |
ist zwar zunehmend populär, schon fast normal geworden, Personen als | |
„toxisch“ zu bezeichnen. | |
## Zum Toxischsein gehören also immer zwei | |
In der wissenschaftlichen Literatur taucht der Begriff aber so gut wie gar | |
nicht auf und bezieht sich nicht auf einzelne Menschen, sondern auf | |
Dynamiken. Psycholog*innen sprechen eher von „dysfunktionalen | |
Beziehungen“. Zum Toxischsein gehören also immer zwei – somit wäre es | |
vielleicht sinnvoller, den Begriff „toxisch“ auf Beziehungsstrukturen zu | |
beziehen. | |
Manche tun das und stellen sogar die These auf, dass der „Toxic Trait“ das | |
genaue Gegenteil der „Love Language“ ist, der individuellen Präferenz, | |
Liebe ausdrücken und zu empfangen. Wenn jemand durch Hilfsbereitschaft | |
seine Liebe zeigt, hat diese Person möglicherweise Schwierigkeiten, selbst | |
um Hilfe zu bitten. | |
Und Menschen, die ihre Liebe durch Worte ausdrücken, finden sich demnach in | |
Konflikten oft sprachlos wieder, da ihnen die richtigen Worte fehlen, um | |
ihre Gefühle zu vermitteln. In dieser Hinsicht ist der „Toxic Trait“ nicht | |
nur eine Liste von Fehlern, sondern auch eine Übung für mehr Liebe und eine | |
ehrlichere Kommunikation – mit anderen, aber auch mit sich selbst. | |
15 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Memoiren-von-Britney-Spears/!5963824 | |
[2] /Tiktok-in-den-USA/!6062400 | |
[3] /Forscherin-ueber-parasoziale-Beziehungen/!6022623 | |
## AUTOREN | |
Giorgia Grimaldi | |
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