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# taz.de -- Regisseur Emin Alper über „Burning Days“: „Ich bewirke mehr,…
> Regisseur Emin Alper zeigt in seinem Spielfilm „Burning Days“ eine
> korrupte türkische Gesellschaft. Er konnte ihn trotz Einschüchterungen
> drehen.
Bild: Kämpfen gegen die Repression: Staatsanwalt Emre und Richterin Zeynep in …
Die Abgründe, die sich in der Gegend einer abgelegenen Kleinstadt in
Zentralanatolien auftun, sind nicht zu übersehen, aber niemand will
hinschauen. Durch die skrupellose Verschwendung von Grundwasser sackt immer
mehr Boden ab, und es entstehen riesige Krater. Ein junger Staatsanwalt
wird abgesandt, den politischen Skandalen auf den Grund zu gehen. Zunächst
herzlich empfangen, wird er bald in die lokalen Intrigen hineingezogen.
Regisseur Emin Alper inszeniert seinen Politthriller „Burning Days“ als
Mikrokosmos der Situation in der Türkei. Ein Gespräch über Machtmissbrauch,
Verschwörungstheorien und leise Hoffnungen, dagegen aufzubegehren.
wochentaz: Herr Alper, in Ihrem vierten Spielfilm, „Burning Days“,
kritisieren Sie erneut autoritäre Strukturen und Korruption in Ihrer
Heimat. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Emin Alper: Die letzten Jahre waren in der Türkei wirklich erdrückend, und
ich wollte diese Situation in einem Film verhandeln. Dafür wollte ich eine
fiktive Kleinstadt erschaffen, die uns in Vielem an die Türkei als Ganzes
erinnert. Mit einem einsamen Typen, der versucht, gegen den korrupten
neopopulistischen Obersten dieser Stadt zu kämpfen, und sich selbst
plötzlich in der Position findet, zum Staatsfeind zu werden.
Sie reflektieren die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der Türkei
mit den Mitteln des Thrillers und Western. Wie haben Sie die Balance
gefunden?
Indem ich das Drehbuch immer und immer wieder umgeschrieben habe. Ich hatte
so um die 16 Fassungen. Ich verwarf immer wieder Szenen, veränderte sie
oder erfand neue. Ich begann Ähnlichkeiten zu amerikanischen Filmen
entdecken, die in den Südstaaten spielen. Auch diese Region ist sehr
konservativ und voller Vorurteile gegenüber allem, was anders ist. Das hat
viele autoritäre Bürgermeister und Sheriffs hervorgebracht. Der Film war
eine Herausforderung. Schon der Dreh war schwierig, bis dahin hatte ich
immer Arthousefilme mit kleinstem Budget gemacht. Erst im Schnitt habe ich
dann das Potential des Films erkannt und ihm die Gestalt gegeben, die er
jetzt hat.
Sie leben und arbeiten in der Türkei. Wie ist Ihre Situation als Bürger
und als Filmemacher? Werden Sie in Ihrer Arbeit behindert oder zensiert?
Film ist leider eine kostspielige Kunst. Man braucht viel Geld dafür, und
das zu finden, ist ein ernsthaftes Problem. Es gibt eine Förderung des
Kulturministeriums, aber man ringt mit einem Komitee. Das ist immer eine
indirekte Auseinandersetzung, man weiß nie genau, woran man ist. Es gibt
einen permanenten Druck, kein Geld zu bekommen oder das zugesagte Geld
wieder zu verlieren. [1][In unserem Fall forderten sie anschließend sogar
das Geld zurück, weil der fertige Film in ihren Augen nicht dem
eingereichten Drehbuch entspricht.] Und es war sehr schwierig, Förderungen
aus anderen Quellen zu bekommen. Alle haben Angst, niemand will in einen
Film investieren, der nicht von den Behörden abgesegnet ist. Auch
Schauspieler*innen stehen unter Druck. Aber sobald ein Film fertig ist
und einen Verleih hat, kann man ihn in den Kinos zeigen. Auch „Burning
Days“ lief sehr erfolgreich. Es gibt keine offensichtliche Zensur in diesem
Sinne. Unsere Zensur funktioniert indirekt.
In Ihrem Film geht es auch um Homophobie.
Das war auch die eigentliche rote Linie für die Behörden. Wenn ich in einem
Film von autoritären Strukturen erzähle, kann ich immer behaupten, es sei
nur eine Metapher für etwas anderes. Aber Homophobie ist etwas anderes, es
benennt ein konkretes Problem. Es gibt sie nicht nur in der türkischen
Gesellschaft, sie ist in den letzten Jahren zu einer staatlichen Politik
geworden. Darauf müssen wir auch als Künstler reagieren. Die Homophobie war
nicht Teil der ersten Entwürfe meines Drehbuchs, ich habe sie genau als
Reaktion auf diese staatliche Politik hinzugefügt.
Vom Staatsanwalt bis zum Journalisten sind die Figuren Ihres Films allesamt
widersprüchlich.
Ich wollte keine einfache Geschichte von Gut gegen Böse erzählen. Man kann
sich nicht sicher sein, ob ihre Absichten ehrlich und integer sind. Ich bin
davon überzeugt, dass man nicht völlig rein bleiben kann, wenn man sich
diesem Sumpf aussetzt. Deswegen habe ich die Charaktere so zwiespältig
dargestellt. Es handelt sich um einen Kampf zwischen dem Bösen und einem
kleineren Übel.
Die Einschüchterungen in der Türkei sind massiv. Bei der Premiere in Cannes
etwa erinnerten Sie an Ihre inhaftierte Associate Producerin Çiğdem Mater.
Sie war Teil der Gezi-Proteste in Istanbul, der größten Proteste in der
Geschichte der modernen Türkei, die für Erdoğan zur Obsession wurden. Er
glaubte, es wäre eine von fremden Mächten gesteuerte Aktion, um ihn zu
stürzen. Teilweise gingen Millionen von uns auf die Straße. Nicht, weil uns
jemand dazu anstiftete, sondern weil wir wütend waren. Aber der
Verschwörungstheoretiker Erdoğan und sein Umfeld sind sich sicher, dass wir
gelenkt wurden. Er fand dann ein paar Sündenböcke wie den
[2][Menschenrechtler Osman Kavala]. Sie durchkämmten das Umfeld Kavalas und
verhafteten Leute, die sie für Verbündete hielten. Darunter auch unsere
Freundin. Die Vorwürfe gegen sie bestehen wegen eines Dokumentarfilms über
die Gezi-Proteste, den sie nie gedreht hat. Doch das gilt jetzt als Beweis
für Propaganda, um Erdoğan zu stürzen. Wir waren schockiert, als wir
erfuhren, dass sie zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde und Kavala zu
lebenslänglich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte
seine Freilassung, aber die Regierung lehnte das ab.
Warum sind die Verschwörungstheorien so wirkmächtig, nicht nur in der
Türkei?
Autoritäre Führer manipulieren damit die öffentliche Meinung. Sie wissen,
dass es ein sehr gutes Werkzeug ist. Doch es hat seine Grenzen. Durch die
Wirtschaftskrise im Land gibt es immer mehr Menschen, die unzufrieden sind
und sich mit Verschwörungstheorien und Ausreden nicht mehr abspeisen
lassen. Erdoğan behauptet zwar, auch an der Krise seien ausländische Kräfte
schuld, aber viele glauben ihm nicht mehr, zumindest in den Metropolen.
Leider herrschen große Unterschiede zwischen den Großstädten wie Istanbul
den ländlichen Gebieten, was den Zugang zu Informationen betrifft. Und
damit auch, wo meine Filme gezeigt werden.
Neben Ihren Autorenfilmen inszenieren Sie inzwischen auch Serien wie „Alef“
für Streamingdienste. Ist das etwas, das Sie weiterverfolgen wollen? Oder
sehen Sie sich vorrangig als Kinoregisseur?
Es hat drei Jahre gedauert, die Finanzierung für diesen Film zu sichern,
bevor wir überhaupt drehen konnten. Diese Zeit kann ich gut nutzen, um für
einen der Streamingdienste zu arbeiten. Aber es ist ein zweischneidiges
Schwert. Ich schreibe für Serien keine eigenen Drehbücher, sondern
inszeniere nur. Aber als Regisseur finde ich dort einen gewissen kreativen
Spielraum zu experimentieren und Dinge auszuprobieren. Das gefällt mir.
Was hält Sie trotz dieses Drucks weiterhin in der Türkei?
Weil ich mehr bewirke, wenn ich hierbleibe. Ich glaube nicht, dass ich im
Ausland drehen könnte. Meine Teams sind von hier, meine Inspirationen sind
hier. Außerhalb wäre ich nicht produktiv. Andererseits, wenn es so
weitergeht und sich in Zukunft nichts zum Besseren wendet, wer weiß. Nach
dem erneuten Sieg Erdoğans gibt es womöglich bald nichts mehr zu verlieren.
Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Landes?
Die Situation ist düster, aber nicht aussichtslos. Ich wollte mit diesem
Film ein Zeichen setzen, dass wir kämpfen werden. Die Schluchten werden der
Sturz derjenigen sein, die ihre Macht missbrauchen. Durch die
Wirtschaftskrise hat die Regierung an Popularität verloren, viele Menschen
sind unzufrieden. Aber Erdoğan wurde wiedergewählt. Der Kampf geht weiter.
3 Oct 2023
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## AUTOREN
Thomas Abeltshauser
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