# taz.de -- Umweltzerstörung in der Türkei: Im Namen des Profits | |
> Bergbauprojekte und Waldbrände zerstören in der Türkei wertvolle | |
> Ökosysteme. Ein Gesetzentwurf bedroht weitere Wälder und Olivenhaine. | |
Bild: Ein Feuer wütet in einem Waldgebiet in Cesme in der Nähe von Izmir | |
Seit Wochen leidet die Türkei unter Dürre. Immer wieder kommt es zu | |
Waldbränden in Izmir, Manisa, Hatay, Mersin, Bilecik und weiteren Regionen | |
in zum Teil riesigem Ausmaß. Allein in Izmir sollen 10.000 Hektar Wald | |
verbrannt sein, eine Fläche so groß wie Heidelberg. Auch Wohngebiete sind | |
betroffen. Über 50.000 Menschen wurden evakuiert. Zwei Menschen kamen ums | |
Leben, Tausende Bäume und Tiere verbrannten und verbrennen weiterhin. Aber | |
wer trägt die Verantwortung? | |
Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte Ende Juni, dass fast alle Brände | |
durch Menschen verursacht seien und dass die Regierung bereits alle | |
notwendigen Maßnahmen ergriffen habe. [1][Das Gegenteil ist der Fall]. Vor | |
Ort kämpft die Zivilbevölkerung zum Teil mit Wasserflaschen gegen die | |
Flammen. Anwohner*innen berichten von verzögertem Einsatz der | |
Feuerwehr. Opposition und Umweltverbände kritisieren den Mangel an | |
Vorbeugemaßnahmen und sehen die Bauaktivitäten in Waldgebieten als | |
Hauptursache. | |
Unter der Regierung der rechtspopulistischen AKP haben der Bau von neuen | |
Stromleitungen und Straßen zu Bergwerken sowie der Lastwagenverkehr und | |
Sprengungen massiv zugenommen. Statistiken der türkischen Forstbehörde | |
zeugen von den Folgen dieser Maßnahmen: Seit 2002 wurden 366.287 Hektar | |
Wald durch Brände zerstört. Zwischen 2010 und 2019 brannten jährlich etwa | |
7.300 Hektar. Im vorigen Jahr waren es sogar 27.485 Hektar. | |
Obwohl die Brände bereits massive Schäden am Ökosystem angerichtet haben, | |
entschied die Regierung über die Freigabe weiterer Waldregionen für die | |
wirtschaftliche Nutzung. Zwischen 2020 und 2024 waren das insgesamt 145.312 | |
Hektar Waldfläche für die Bebauung und den Bergbau, davon allein 2024 | |
23.053 Hektar. Gerüchte sagen, dass beauftragte Personen Wälder gezielt für | |
Bauprojekte in Brand setzen. Doch die Regierung braucht keine Brandstifter | |
mit Benzin – sie entzündet die Wälder durch Gesetzesbeschlüsse. | |
## Von Bauunternehmen bezahltes Gutachten | |
Am 20. Juni, also noch eine Woche vor dem Ausbruch der Waldbrände, wurde | |
ein weiterer für die Umwelt destruktiver Gesetzentwurf angenommen. Wenig | |
verwunderlich wurden Bäuerinnen und Bauern sowie Umweltorganisationen von | |
der Ausschusssitzung ausgeschlossen, Vertreter*innen von | |
Bergbauunternehmen hingegen waren zugelassen. | |
Der Gesetzentwurf soll die Freigabe landwirtschaftlicher Flächen für den | |
Bergbau vereinfachen und die Umweltverträglichkeitsprüfungen beschleunigen. | |
Besonders umstritten ist Artikel 11, der die Enteignung von Olivenhainen | |
für den Bergbau ermöglicht. Laut der Regelung sollen die Olivenbäume in den | |
fraglichen Regionen so weit wie möglich umgesetzt werden, was Experten | |
augenscheinlich für möglich halten. | |
So erklärte Prof. Dr. Mücahit Taha Özkaya, Dozent an der Universität | |
Ankara, das Versetzen der Olivenbäume stelle für die Umwelt kein Problem | |
dar. Allerdings klärte die linke Tageszeitung Evrensel kurze Zeit später | |
auf, dass Özkaya gegen Bezahlung ein Gutachten für ein Bergbauunternehmen | |
verfasste. Özkayas Behauptung, die Bergwerke im Latmos-Gebirge würden weder | |
die Olivenwirtschaft noch die Umwelt gefährden, ist mit entsprechender | |
Skepsis zu behandeln. | |
Studien belegen erhebliche Umweltverschmutzung, ein erhöhtes Krebsrisiko | |
und Gefahren für das Trinkwasser. Zudem wurden Olivenbäume und | |
Pistazienkiefern gefällt, und das Dorf ist durch veränderte Flussläufe bei | |
starkem Regen von Hochwasserkatastrophen bedroht. Die Gefahr ist der | |
[2][Zivilbevölkerung und den Umweltorganisatione]n bekannt: Das | |
Gesetzvorhaben ist nichts anderes als ein Plünderungserlaß. | |
## Begehrte Rohstoffe | |
Das geplante Gesetz würde nicht nur Ökosysteme erheblich zerstören, sondern | |
auch zu Ernährungsunsicherheit, verstärkten Auswirkungen des Klimawandels | |
sowie Abwanderung führen, was wiederum die Bekämpfung der Klimafolgen und | |
die Vorbeugung von Waldbränden, sofern überhaupt noch Wälder erhalten | |
bleiben, erheblich erschweren würde. | |
Laut Gesetzentwurf sollen strategische und kritische Mineralien vom | |
Energieministerium in Abstimmung mit staatlichen Stellen, darunter das | |
Verteidigungsministerium, festgelegt werden. Für deren Erschließung kann | |
eine beschleunigte Enteignung eingeleitet werden, entschieden von einem | |
Sondergremium. Die Türkei besitzt [3][73 Prozent der weltweiten | |
Bor-Reserven], ein Rohstoff, der vor allem in der Militär- und | |
Raketenindustrie gefragt ist. | |
99 Prozent des EU-Bedarfs werden aus der Türkei gedeckt, die den | |
Rohstoffabsatz auch weit über die Grenzen Europas vorantreibt. So wurde im | |
Oktober 2024 ein Abkommen mit China zur Förderung seltener Erden | |
unterzeichnet. Auch für Deutschland ist die Türkei ein wichtiger | |
Rohstoffpartner: Kupfer, Chrom und Bor sind unverzichtbar für die deutsche | |
Industrie. Im Jahr 2023 importierte Deutschland rund 887 Kilogramm Bor und | |
Tellur aus der Türkei. | |
Insbesondere das Bor ist auf EU- und US-Listen für „kritische Rohstoffe“ | |
aufgeführt, da es schwer ersetzbar ist und bei der Transformation vor allem | |
für Solarenergie und Elektromobilität eine zentrale Rolle spielt. Gefördert | |
werden diese kritischen Rohstoffe nur in wenigen Ländern. | |
## Beteiligung deutscher Firmen | |
Deutsche Unternehmen investieren aktiv in den türkischen Bergbausektor, | |
hauptsächlich durch den Export von Maschinen und Ausrüstungen sowie durch | |
Kooperationen mit türkischen Partnern. Im Jahr 2024 exportierte Deutschland | |
Maschinen, Reaktoren und Kessel im Wert von 6,82 Milliarden US-Dollar in | |
die Türkei, was einen bedeutenden Anteil der deutschen Exporte ausmacht. | |
Diese Partnerschaften und Investitionen zeigen, wie tief deutsche | |
Unternehmen in den skrupellosen Raubbau des türkischen Bergbausektors | |
verstrickt sind. Im Namen von Macht, Energiesicherheit und technologischem | |
Fortschritt wird Leben zerstört – für Kohle und Profit, Hand in Hand. | |
17 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Waldbraende-in-der-Tuerkei/!5788176 | |
[2] https://www.labournet.de/internationales/tuerkei/soziale_konflikte-tuerkei/… | |
[3] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2018/02/10/tuerkei-besitzt-fast… | |
## AUTOREN | |
Sinem Vardar | |
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