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# taz.de -- Der Rechtslibertarismus des Elon Musk: Internetkrieger in erster Re…
> Auch wenn Medien es gern übersehen: Der US-Unternehmner Elon Musk ist
> rechtslibertär. Seine Einstellung wird immer extremer. Eine
> Beweisführung.
Bild: Da will man nicht mitlachen: Elon Musk
[1][Elon Musk ist auf dem Weg, zu einer historischen Figur heranzuwachsen].
Seit Langem für sein rabiates Unternehmertum und seinen visionären Geist
von BWL-Absolvent*innen gefeiert, ist Musk spätestens seit der
[2][Übernahme von Twitter] und dem [3][Rebranding zu X] für jede Laie ein
Begriff. Die Mitte September veröffentlichte Biografie über Musk aus der
Feder eines der bekanntesten Autoren des Feldes, Walter Isaacson, brachte
den reichsten Mann der Welt nun wieder einmal auf die Titelseiten – etwa
die des Stern. Neu an Isaacson Werk: Er stellt Musk nicht nur als Pionier
dar, sondern malt das Bild eines impulsiven, empathielosen Menschen mit
Drang nach kompletter Kontrolle und tiefer Ablehnung von Regeln und Normen.
Dabei gibt er einen Einblick in seine politischen Einstellungen, die sich
immer mehr zu einer extremen Form des Rechtslibertarismus entwickeln.
## Seenotrettung und AfD
Die Debatte darüber, wie diese Einsichten den Umgang mit Musk beeinflussen
sollten, blieb im deutschsprachigen Raum jedoch weitestgehend aus. Musk
selbst zwang sie wenig später auf: [4][Ende September teilte er einen
Tweet, in dem sich ein X-Nutzer kurz vor den Landtagswahlen in Bayern und
Hessen für die AfD starkmachte]. Sei sich die „deutsche Öffentlichkeit“
darüber im Klaren, fragte Musk, dass acht deutsche Schiffe zu diesem
Zeitpunkt Migrant*innen aus dem Mittelmeer retten würden?
Der Tweet ging viral, und selbst das Auswärtige Amt lieferte sich auf X
einen Schlagabtausch mit Musk, worauf hin er Seenotrettung als Invasion
beschrieb. Das überraschte Entsetzen, mit dem auf Musks rechte Hetze in
Deutschland reagiert wurde, ist bezeichnend dafür, wie sich Musk hinter der
schillernden Fassade des genialen Unternehmers in den letzten Jahren fast
unbemerkt zu einem Verfechter des Rechtslibertarismus entwickelt hat;
unbemerkt besonders für jene, die weiterhin mit Musk Geschäfte mache
wollen.
## Eigentum und Staat
Rechtslibertäre wie Musk sind Vertreter*innen einer absoluten
individuellen Freiheit, die sich maßgeblich auf das Recht auf
Privateigentum und uneingeschränkten Warenverkehr beruft. Privates Kapital
regiert die Welt Rechtslibertärer, der Staat ist ihnen mit seinen
regulierenden Funktionen traditionell ein Dorn im Auge und sollte, wie es
auch Musk immer wieder betont, darauf beschränkt sein, das Recht auf
privates Eigentum und „selbstbestimmtes“ Handeln zu sichern.
So widersetzte sich Musk etwa im Mai 2020 den offiziellen
Coronaverordnungen Kaliforniens, um in der Tesla-Fabrik in Fremont die
Produktion trotz Pandemie wiederaufzunehmen. Donald Trump gab ihm
Rückendeckung; zwei Arbeiter*innen, die sich entschieden, unbezahlte
Freistellung zu nehmen, um sich dem Gesundheitsrisiko nicht auszusetzen,
wurden fristlos entlassen.
Auch in der Tesla-Fabrik in Grünheide werden Arbeits- und
Umweltschutzauflagen mutmaßlich ignoriert, um die Effizienz der Produktion
in die Höhe zu treiben. Das zeigte zuletzt [5][eine Stern-Reportage].
Anfang September 2023 reichte die X-Kooporation Klage gegen Kalifornien
ein: Die neue Transparenzregulierung des Bundesstaates würde das Recht der
freien Meinungsäußerung bedrohen und die Betreiber sozialer Medien dazu
zwingen, die Ansichten des Staates eins zu eins zu übernehmen. Tatsächlich
sieht die Regulierung lediglich vor, dass die Plattformen ihre Richtlinien
für die Kontrolle von Desinformation, Belästigung, Hassreden und
Extremismus veröffentlichen. Doch Musk möchte keinerlei Kontrolle abgeben.
Erst recht nicht, um das vermeintlich linke Ziel der Eingrenzung von Hass
und Hetze online voranzutreiben.
## Medien und „Rassismus gegen Weiße“
In der extremrechten Version des Libertarismus, die Musk immer
offensichtlicher bewirbt, wird die individuelle Freiheit nicht nur durch
den Staat eingeschränkt und bedroht, sondern auch durch die Minderheiten,
deren Rechte er beschützen soll.
„Nehmt die Rote Pille“, riet Musk im Mai 2020 auf dem damaligen Twitter.
[6][Die „rote Pille“ wird seit langem in neurechten Kreisen als Metapher
für die „harte Wahrheit“ verwendet]; dem Großteil der Bevölkerung, der s…
gegen die rote Pille entscheidet, lebt, so das Narrativ, in seliger
Unwissenheit über die „wirklichen“ „eigentlichen“ Machtmissbräuche und
Unterdrückungsmechanismen: den Großen Austausch, Rassismus gegen Weiße,
orchestrierte Offensiven gegen weiße Männer.
Musk kämpft mittlerweile in den ersten Reihen der Internetkrieger, diese
„Wahrheiten“ zu verbreiten. Im Februar dieses Jahres geriet der
Comiczeichner Scott Adams in massive Kritik, weil er
Afroamerikaner*innen als eine „Hassgruppe“ beschrieb und „Weißen“
riet, sich fernzuhalten. Musk gab ihm auf Twitter Rückendeckung: „Die
Medien“ würden Rassismus gegen „Weiße und Asiat*innen“ ausüben. Dass es
überhaupt einen Rassismus gegen Weiße gibt, ist eine gefährliche rechte
Falschkonzeption.
Zwar mag es individuelle Diskriminierung geben, doch keinerlei historische,
institutionelle oder strukturelle Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund
ihrer weißen Hautfarbe. Musk versieht aber auch die Posts von Neonazis,
etwa jene des Iren Keith Wood, die weiße, europäische Verantwortung für den
Kolonialismus leugnen, regelmäßig mit „gefällt mir“.
Im Mai streute Musk zahlreiche Tweets, die die nachweislichen
rechtsextremen Motive und Verbindungen des Attentäters anzweifelten, der
acht Menschen in einer Shoppingmall in Texas niedergeschossen hatte. Von X
möchte er die Beschreibung „cis“ und „cisgender“ als Verleumdung banne…
## Die Lüge vom „Großen Austausch“
Sein Favorit bleibt jedoch: die Verschwörungserzählung vom „Großen
Austausch“. So würden etwa die Vereinigten Staaten aufgrund fallender
Geburtenraten ein „demografisches Desaster“ erleben. Musk ermutigt reiche
und „intelligente“ Menschen in seinem Umfeld immer wieder, mehr Kinder zu
bekommen, um so die Zivilisation vor einem Bevölkerungskollaps zu retten.
Obwohl die Geburtenrate in weiten Teilen der Welt doch steigt. [7][Welche
Zivilisation Musk „retten“ möchte? Vermutlich eine weiße, elitäre.]
Bei einem Treffen mit Katalin Novák, der ungarischen Staatspräsidentin und
Parteifreundin des autoritären Viktor Orbán, machte Musk deutlich, dass er
und die pronatalistische, migrationsfeindliche und LGBTQI-Rechte
einschränkende ungarische Regierung gemeinsam gegen den
„Zivilisationskollaps“ kämpften.
Auch Musks Liebe gegenüber seinen eigenen zehn Kindern stehen seine
neurechten Einstellungen im Weg. So brach seine transgender Tochter Vivian
Jenna Wilson medienwirksam im Juni letzten Jahres mit ihrem Vater. Schnell
fand Musk Verantwortliche: Wilson sei an ihrer Schule in Santa Monica mit
dem „Woke-mind“-Virus infiziert worden. „Neo-Marxisten“ hätten, so Mus…
Anlehnung an eine weit verbreitete Erzählung im Kulturkampf der
US-amerikanischen Rechten, „Eliteschulen und liberale Universitäten
eingenommen, um ihren Schülern beizubringen, reiche Menschen zu verachten“.
Twitter, schreibt Biograf Isaacon, sei laut Musk „von einer ähnlichen
Mentalität infiziert worden“, die „rechte und Anti-Establishment-Stimmen“
auf der Plattform unterdrücke. Musk bewirbt X jetzt als Ort, an dem jede
Einzelne durch das Teilen von Videos zur „Bürgerjournalistin“ wird, und
macht auch gleich vor, was er sich darunter vorstellt: Mit einem Cowboyhut
machte sich Musk einige Tage vor dem migrationskritischen, an Deutschland
gerichteten Tweet auf, um am Grenzübergang „Eagle Pass“ Migrant*innen
und die „Krise an der Grenze“ zu filmen.
## Unterstützung für die Republikaner
Doch Musks politisches Handeln findet nicht nur auf Twitter statt. Seit
2002 unterstützt Musk Politiker*innen der Demokraten und der
Republikaner mit saftigen Finanzspritzen. Musks Skepsis gegenüber dem Staat
ist, wie es für Rechtslibertäre typisch ist, dem eigenen
marktwirtschaftlichem Vorteil untergeordnet. Teslas Wettbewerbsfähigkeit
ist abhängig von einer ganzen Reihe an staatlichen Subventionen und
Regulationen für die E-Mobilität; SpaceX finanziert sich maßgeblich durch
öffentliche Auftraggeber wie die Nasa.
Mittlerweile wendet er sich jedoch stringent von den Demokraten ab und
nutzt X, um Wahlkampf für die Republikaner zu machen; Floridas Gouverneur
Ron DeSantis kündigte seine seine Präsidentschaftskandidatur für 2024 etwa
im Livestream mit Musk an. Auch DeSantis’ Konkurrent, Vivek Ramaswamy, der
in den Staaten als „antiwoker Kreuzritter“ bekannt ist, nannte Musk auf X
einen „vielversprechenden Kandidaten“. Ramaswamy leugnet den Klimawandel
stringent, möchte Unternehmen unter Druck setzten, „mehr zu bohren und mehr
zu fracken“, und dem Kryptosektor Rückendeckung geben – ganz nach Musks
Geschmack.
## Forschung und Mythos
Auf juristische Mittel greift Musk gern zurück, wenn sie zu seinem Vorteil
eingesetzt werden können. [8][So erhob Musk im August Klage gegen ein
Forschungsinstitut, das mit Zahlen belegte, dass auf Twitter/X seit Musks
Übernahme rechte Hetze stärker verbreitet ist:] Unter anderem wolle es
Nutzer*innen, mit deren Meinung man nicht übereinstimme, zum Schweigen
bringen. Tatsächlich liest sich der Vorwurf eher wie eine
Selbstbeschreibung der eigenen Strategie, Linke und Progressive zu
bekämpfen.
Doch auf derlei Vorwürfe reagiert Musk nur mit dem Mythos, den er um sich
gebaut hat: „Ich habe einen großen Teil meines Lebens damit verbracht,
nachhaltige Energie, Elektrofahrzeuge, Batterien und Solaranlagen zu bauen,
um die Umwelt zu retten. Das ist nicht gerade rechtsextrem“, verteidigte er
sich etwa im April 2023. Leider ist genau dieses Image einer älteren
Version Musks noch zu präsent in unseren Köpfen.
10 Oct 2023
## LINKS
[1] /Podcast-Bundestalk/!5964659
[2] /Elon-Musk-hat-Twitter-gekauft/!5891261
[3] /Elon-Musk-und-sein-digitales-Baby/!5962063
[4] /Elon-Musk-hetzt-gegen-Seenotrettung/!5964281
[5] https://www.stern.de/wirtschaft/tesla-gigafactory--schwere-verstoesse---wie…
[6] /Rechte-Red-Pill-Cyberkultur/!5941468
[7] /Elon-Musk-und-das-X/!5955322
[8] /Twitter-verklagt-NGO/!5951897
## AUTOREN
Tatjana Söding
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